6. „Wie ein Haustier?" (Vergangenheit)

797 69 31
                                    

Vergangenheit
♾♾♾♾♾
vor 5465 Tagen

„Mama, was ist das?" Liv und ihre Eltern machten einen Spaziergang durch den Epping Forrest. Während Liv ihnen Löcher in den Bauch zu jedem Blatt und jeder leeren Hülse fragte, an denen sie vorbei kamen, langweilte sich Jasper zu Tode und versuchte deshalb herauszufinden, wo sich die fliegenden Federflitzpiepen der beiden Menschen aufhielten. Oder wenigstens einer von ihnen. Einer würde ihm reichen. Seine Laune wurde immer schlechter, weil er sie nicht finden konnte, um sie ein bisschen zu ärgern. Oder sich zu unterhalten. Unterhalten würde auch gehen. Erstmal.

Niemand konnte sich vorstellen wie sehr er sich langweilte. Die Eltern, die er für Liv gefunden hatte, machten einen verdammt guten Job. Wirklich. Wenn sie in der Nähe waren, brauchte seine Liv ihn garnicht. Einerseits war das super und er klopfte sich selbst auf die Schulter, weil er anscheinend das perfekte Paar gefunden hatte. Andererseits war er ja wirklich ein Fan von sich, aber mehr als fünf Jahre lang nichts tun außer sich selbst zu feiern, war sogar für ihn zu viel des Guten. Er wollte doch nur ein bisschen reden. Wirklich.

Die Menschen behüteten und betüddelten Liv so sehr, dass er es manchmal nicht mitansehen konnte, wie sehr sie sie liebten. Er wusste - Dämon hin oder her -, dass es nicht selbstverständlich war, ein Kind - was nicht sein eigenes war - so bedingungslos zu lieben, wie sie es taten. Ja, er hatte einen verdammt guten Job bei der Auswahl der beiden gemacht.

Aber man ...  er langweilte sich.

In der Baumkrone der großen Eiche rechts von ihnen raschelte es. Er konnte nicht widerstehen und glitt in Richtung der grünen Blätter. Komm schon. Er wollte doch nur spielen. Wirklich.

Die dusseligen Daunendumpfbacken zierten sich schlimmer, als eine bescheidene Frau, der man Juwelen schenkte. Schlimmer, als ein Gourmet auf Diät, dem man feinstes Wagyu vorlegte. Schlimmer, als eine Nonne, vor der Adonis, Casanova und er in Person standen. Man.

Die nahmen ihren Job echt nicht ernst. Wie konnten die auf ihre Menschen aufpassen, wenn sie nicht da waren? Wenn sie lieber mit ihm Verstecken spielten, als nah bei ihnen zu sein? War ihnen ihr Job so egal? Waren sie so selbstgefällig? Zumindest Letzteres konnte er mit einem fetten Ja beantworten. Das waren hochnäsige, hochmütige Heiligenscheinhampelmänner.

Als ihn das Gefühl überkam, war es zu spät. Plötzlich hörte er Livs Eltern ihren Namen schreien. Laut. Panisch. Angst flutete sein Nervensystem. Versagt. Versager.

***

Ohne nachzudenken oder einen Plan zu haben sprang er hinter Liv her. Er dachte nicht darüber nach, dass ihre Eltern ein zweites, lautes Platschen hören und sich gegebenenfalls wundern würden, was das war. Es gab nur eins. Nur eins was zählte. Liv.

Unter den besorgten Schreien der beiden Menschen tauchte er in das Brackwasser ein, hob Liv vorsichtig in seine Arme und zwang sich selbst nicht genau hinzusehen. Die Bilder würden ihn bis in alle Ewigkeit verfolgen. Mindestens. Falls der Herr ihn nicht vorher umbrachte.

Sie durfte nicht sterben. Bitte Liv, stirb nicht.

Ihre Lider flatterten. Er flüsterte beruhigende Worte und fuhr sachte mit seinen Händen über ihren Körper. Die Schmerzen mussten immens sein, denn ihr Körper hatte einfach abgeschaltet. Ohnmächtig lag sie in seinen Armen, die Atmung so flach, dass er schreien könnte vor Angst. „Bitte, bitte, bitte." Sein Flehen verhalte dumpf am Fuß des Brunnens.

Guardian DemonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt