28. „Wer hat es denn verdient?"

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... oder „Was ist bloß verkehrt mit dir?"

„Könnt ihr das nicht hinter verschlossenen Türen tun?" Von beiden unbemerkt war Abbadon an seine Tochter und ihren Liebhaber herangetreten. Jasper löste sich betont langsam von Liv - soviel Zeit musste sein - und schenkte ihr ein unwiderstehliches Lächeln, bevor er ihre Stirn küsste und sich an den amtierenden Seelenfänger wandte.
„Könnten wir, aber wo bliebe der Reiz?" Er zwinkerte Abbadon zu, wohlwissend, dass er die Geduld des Herrn gehörig auf die Probe stellte. Sofort schob er die Information hinterher, die den Seelenfänger ablenken müsste. „Die Engel, Herr, sie waren es, die Liv verfolgt haben."

Wieder hörte Liv das Entsetzen aus Jaspers Stimme heraus, dennoch wollte oder konnte sie sein Empfinden nicht nachvollziehen. Es war für sie weit weniger befremdlich, dass eine gegnerische Gruppierung - Ying und Yang hin oder her - ihren Tod wollte, als ihr Bruder oder ihre Mutter.

Abbadon nickte. „Ich weiß Bescheid. Deshalb war ich auf dem Weg zu euch, als ihr euch hier öffentlich, in meinem Haus, aneinander vergangen habt." Liv grinste ihren Erzeuger, der während seiner Worte das Gesicht deutlich verzogen hatte, süffisant an. Das störte ihn also? Es würde ihr eine Freude bereiten sich in ihren letzten Stunden in jeder verdammten Ecke dieses Hauses an Jasper zu vergehen.

Abbadon seufzte, nachdem er feststellen musste, dass weder seine Tochter, noch der Dämon ein schlechtes Gewissen hatten. Bemüht darum keinesfalls einen Einblick in ihre Gedankenwelt zu nehmen, bedeutete er ihnen ihm zu folgen.

Jasper spürte Livs Widerwillen ihrem leiblichen Vater in die Bibliothek zu folgen bei jedem ihrer zögerlichen Schritte. In ihr tobte ein Wirbelsturm an Gefühlen: Neugierde und Enttäuschung, Sehnsucht und Wut, Aufregung und Trotz. Beruhigend streichelte er deshalb mit dem Daumen über die weiche Haut ihrer Hand und schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln, was sie jedoch nur mechanisch erwiderte.

Angekommen in der riesigen Bibliothek, forderte Abbadon sie auf sich zu setzen. Ohne Umschweife begann er ihnen zu berichten, was er wusste, nämlich, dass Fenix und die Engel zusammenarbeiten würden.

„Warum?" In Jaspers Kopf arbeitete es. Warum würden die Engel die friedliche Koexistenz zwischen ihnen und den Dämonen gefährden? Geben und nehmen, das lief seit Jahrtausenden rund. Kein Grund das Schema zu ändern. Er rieb sich symbolisch über die Stirn, um ganz divalike anzudeuten, dass ihm die Situation Kopfschmerzen verursachte, die er aber natürlich nicht empfinden konnte. Eine drängende Frage schwebte über dem Ganzen.
Warum würde sich Fenix gegen seinen Vater und seine Art wenden?

In all den Jahren habe ich lernen müssen, dass es nur zwei Dinge gibt, die das Handeln jedes Lebewesens bestimmen", fuhr Abbadon nach einer Pause fort. „Die einen lassen sich von der Liebe leiten. Ihr Ziel ist es, Menschen im Allgemeinen zu helfen oder den Menschen zu erobern, dem sie ihr Herz geschenkt haben, diesen zu beschützen und zu verhindern, dass ihm Schlimmes widerfährt. Eifersucht, Neid, Missgunst - all das lässt sich zurückführen auf die Liebe." Er lächelte. Für die Liebe zu seiner Gefährtin hatte er in Kauf genommen, dass sein Sohn oder seine Tochter die Bürde des Seelenfängers würde tragen müssen. Diese Schuld würde ihn die Dauer seines bald kommenden menschlichen Lebens niederdrücken. Seufzend fuhr er fort.
„Die anderen werden geleitet von ihrer Gier nach Macht, dem Wunsch andere zu unterwerfen, zu beherrschen, ihren Reichtum zu mehren, unbesiegbar zu sein." Seine Miene trug sein Bedauern deutlich zur Schau. „Beide Motoren treiben die Protagonisten in unserem Schauspiel an."

Liv verzog das Gesicht. Was sollte denn diese Ausdrucksweise? Sie verkniff sich einen Kommentar und wartete ab. Je weniger sie sagte, desto schneller war dieses Gespräch hoffentlich vorbei.

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