5. Kapitel

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1933

Die völkische Bewegung hatte ein überwiegend männliches und protestantisches Klientel. Der Ehemann von Frau Jacobi ging regelmäßig zu den Treffen der Völkischen, die sich in Opladen in der Aula der Adolf-Hitler-Schule trafen. Das Ehepaar vertrat gemeinsam in diesen Kreisen die Meinung, dass die deutsche Rasse einer wesensgemäßen Religion bedurfte. Im Rahmen ihrer Familien und ihrer Treffen bildeten sie gewissermaßen eine reine Urzelle dieser neuen Spiritualität, die ihnen in den beiden Konfessionen am Sonntagvormittag völlig zu fehlen schien. Herr Jacobi forschte zur germanischen Götterwelt und stellte Schriften zusammen zu den heimischen Götter- und Heldensagen.

Marlene war so beseelt davon, zu einem besondern Volk zu gehören, das noch Großes bewegen würde. Gleichzeitig gefiel ihr das Geheimnisvolle, was die Treffen umgab. Frau Jacobi hatte Matthias und sie immer wieder nachdrücklich darum gebeten, niemanden, nicht einmal Luise oder ihren Eltern von den spirituellen Riten in der Villa Jacobi zu erzählen. „Das innere Erleben darf nicht durch Plaudern zerstreut werden." Immer wieder ging es auch um Reinigung. So gab es bei Familie Jacobi genaue Essenvorschriften und auch die Kleidung folgte einer besondern Ordnung. Sie hielten sich immer ein wenig Abseits von den gewöhnlichen Menschen. Sie lebten geschützt auf dem Hügel eine neue Lebensform einer neuen deutschen Elite. Natürlich hatte Frau Jacobi sich auch schon Gedanken darüber gemacht, wen ihre Kinder heiraten könnte. Sie hatten deutschlandweit Kontakte mit Gleichgesinnten. Viele der Völkischen waren Frau Jacobi zur sehr „Mittelstand". Sie fühlte sich zu einer höheren Klasse berufen. Wagner und erhobene Kultur regierten in ihrem Haus. Aber sie war zuversichtlich, die richtigen Ehepartner zu finden. Erste völkische Vereinigungen gab es schon lange vor dem Ersten Weltkrieg. Sie richtete sich immer vor allem gegen innere Feinde. In der Weimarer Republik lehnten die Völkischen dann vor allem die Marxisten, die linken Parteien aber auch die Demokratie ab.

Den ganzen Nachmittag hatten alle fleißig gearbeitet und die Räume für den Abend hergerichtet. Marlene schaute vom großen Salon hinaus auf den nach unten abfallenden Garten und die Eiche und Buchen, die geheimnisvoll schimmernden Rhododendren. Aus allen Räumen wurden Sessel und Couchgarnituren in den großen Salon geräumt. Matthias wurde wie ein Aktmodell in einem Zeichenkurs auf ein Podest gestellt, das mit Teppichen ausstaffiert war.

„Guten Abend, meine Freunde des Lichtes und der germanischen Urkraft", begrüßte Frau Jacobi die versammelten Gäste zu Beginn des Abends. Ihr Bauch zeichnete sich deutlich unter der weißen schlicht bestickten Bluse ab. „Heute Abend werde ich euch helfen, euch wieder mit eurer reinen und unverfälschten Lebenskraft zu verbinden. Solange ihr mit dem Leben kämpft, kommt ihr nicht in eure Kraft und Stärke, die aber tief in euch wie ein Quell der Heiligkeit schlummert. Ich verbinde euch mit euren tiefsten Wünschen und Begierden. Werdet zu dem, zu dem ihr berufen seid!" Marlene lauschte ergriffen in die langen Pausen  hinein, die Frau Jacobi zwischen ihre Absätze setzte. Die Dämmerung hatte inzwischen eingesetzt und Marlene ahnte die Kraft und Geborgenheit der Natur um sie herum. Noch brannten keine Kerzen im Haus oder Fackeln, die sie am Nachmittag bereits im Garten aufgebaut hatten, um die Sonnenwende zu feiern. Die Seelen sollten die Kraft des längsten Tages bis zum letzten auszukosten. Die Sonnenenergie schien noch lange im Abendhimmel und den Bäumen und Sträuchern nachzuwirken.

Dann fuhr Frau Jacobi unvermittelt fort: „Ihr wisst, der innere Feind macht uns schwach. Wir aber entscheiden uns für das Licht und die Reinheit. Wir werden nie aufgeben und werden voranschreiten und jedem Feinde trotzen. Wir werden nie zulassen, dass die Marxisten uns unsere starke völkische Seele absprechen. Lasst sie in ihrem Materialismus untergehen! Unsere Seelen aber werden überleben und unser Volk durch die Jahrtausende tragen. Trotzen wir den üblen Juden, die uns durch ihren weltumspannenden Kapitalismus einspannen wollen in ihr Netz der Knechtschaft. Wir produzieren unsere eigenen Stoffe. Essen von selbst getöpferten Teller und trinken heimischen Tee aus Tassen aus unserer Mutter Erde. Wir werden ein freies selbstbestimmtes Volk sein! Weg mit dem Papst aus Rom, der uns mit Schuldgefühlen zu unmündigen Idioten reduziert! Wir aber kennen unseren Wert und unsere heilige, edle Aufgabe. Wir schützen unser Leben! Nie werden wir den Feministinnen glauben, die Familien zerstören und Abtreibungen auf schändlichste Weise betreiben und dafür sorgen, dass unser deutsches Geschlecht in einigen Jahrzehnten schon vom Aussterben bedroht ist. Verunreinigt durch Mischehen, Bastarde, die unser Blut verfälschen. Wir aber sind die Lichtgestalten des ewigen germanischen Volkes". Frau Jacobi versank in tiefe Trance. Dann erklangen die rauschhaften Klängen aus der Wagner-Oper. Alle lauschten ergriffen. Die Kinder zündeten die Kerzen und Fackeln in Haus und Garten an und die Abenddämmerung ging in die Nacht über.

Eleanor Roosevelt in ImbachWhere stories live. Discover now