26. Kapitel

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2015

Seine Haare waren fettig, sein Bett voller Krümel. Es roch ekelhaft. Er aß Ravioli aus der Dose und beobachtete vom Bett aus seinen Kater. Auf seinem Notebook hörte er sich Videos von Helmut Schmidt an. „Vom Blute her bin und war ich schon immer Demokrat." Feynsinn mochte seine hanseatisch trockene Art und wie souverän Helmut Schmidt in jeder Situation wirkte. Er spulte einzelne Sequenzen mehrmals ab, weil ihm der Wortwitz und die gelungene Rhetorik so beeindruckte. „Sie sind auf einem Irrweg!" Feynsinn zuckte im Halbschlaf zusammen und fühlte sich wortwörtlich persönlich angesprochen. Hellwach richtete er seine Aufmerksamkeit auf Helmut Schmidt, der sich mit seiner vehementen Rede an die RAF-Terroristen wandte. War eben noch alles beliebig und relativ, trennte Helmut Schmidt die Welt in Gut und Böse. Er unterschied den richtigen Weg von der falschen Abbiegung.

Die RAF-Terroristen waren keine intellektuellen Menschen mehr, die sich auf dem Papier und mit dem gesprochenen Wort gegen ihre Nazi-Väter auflehnten und an einer Erneuerung der Gesellschaft arbeiteten, sondern Terroristen, die Menschen umbrachten. Sein Kater säuberte sich eifrig mit seiner kleinen rundlichen Zungenspitze sein weißes Fell. Er mühte sich richtig ab, um an alle Stellen zum kommen. Stundenlang arbeitete er an sich. Erst kam der weiße Bauch dran, wo das Fell lang und kuschelig war. Er strengte sich enorm an, seinen Nacken zu drehen. Feynsinn verglich sich mit seinem Kater und fühlte sich nutzlos und träge. Aus dem Kopfkissen stach eine Feder an seinen Hals. Er zog die kleine weiße Feder am stechenden Federkiel aus dem Kissen heraus und pustete sie dann in Richtung Katzenkorb. Dort verschwand sie auf dem weißen Fell seines Haustieres. Aber bevor Feynsinn diesem Gedanken weiter nachging, blieb er an einer weiteren Frage hängen. Sein ganzes Nachdenken ging ihm so auf die Nerven, dass er mechanisch anfing, seine Küche aufzuräumen und zu putzen. Er zog das dreckige Bettzeug ab und lüftete die ganze Wohnung durch. Er machte so laut Musik an, dass sein komischer Nachbar Manfred bei ihm klingelte. Feynsinn beschloss, ihn so richtig heftig aus seinem Türrahmen heraus anzupöbeln. Aber er spürte, dass er den Zenit überschritten hatte. Für so einen Auftritt brauchte er einen Killerinstinkt. Feynsinn vermisste die Schlagkraft seiner inneren Negativität. Seine Aggressivität war weggeschmolzen. Er ergab sich. Entschuldigte sich höflich an der Haustür. Machte die Musik leiser. Konnte sich plötzlich wieder vorstellen, als Lehrer in die Schule zu gehen.

Er rief Frau Fliege, die Schulsekretärin an. „Guten Tag Herr Feynsinn. Sind Sie wieder gesund? Eine Frau namens Hope aus Amerika hat für Sie hier in der Schule angerufen." Er hatte ganz vergessen, seine Schwester nach Hopes E-Mail-Adresse zu fragen. Zu seiner Überraschung hatte er gar nicht lange unentschuldigt gefehlt. In seiner Vorstellung hatte er für immer oder zumindest Monate den Lehrerjob hingeschmissen. Aber er war Donnerstag krank geworden. Sie hatten ihn sofort nach Hause geschickt und ihn auch für Freitag als krank verbucht, ohne dass er sich krank gemeldet hatte. Samstag und Sonntag war Wochenende. Montag war der freie Brückentag für das ganze Kollegium gewesen und Dienstag Christi Himmelfahrt. Wie viel Angst er die ganze Zeit gehabt hatte, umsonst. Er hatte krank im Bett gelegen. Als er sich ein Attest bei einem Freund von Ronald holte, sprach dieser ihn aber auf seinen psychischen Zustand an. Er guckte ihn einen kurzen Moment sprachlos an. Dann erzählte er von der Willkür und dem Druck in der Schule, von Katharina, seinem Vater und dem Selbstmord seiner Mutter. Der Arzt riet ihm, sich einfach eine Weile vom Referendariat beurlauben zu lassen, vielleicht auch die Schule zu wechseln und übernahm es sogar für ihn, bei der Bezirksregierung anzurufen.

Feynsinn war erleichtert. Außerdem hatte die nette Frau von der Bezirksregierung durchblicken lassen, dass der Schulleiter, unter dem er so gelitten hatte, einen denkbar schlechten Ruf hatte und bald nicht mehr in seinem Amt tätig sein würde. Auch gerade seine Fachleiter waren in Fachkreisen dafür bekannt, willkürlich Referendaren das Leben schwer zu machen. „Lassen Sie sich auf keinen Fall entmutigen! Halten Sie durch, wir brauchen Typen wie Sie an den Schulen." Feynsinn beschloss erst einmal, sich noch die Woche krank schreiben zu lassen. Er fing in der Küche an, alle aufgerissenen Packungen in den Eimer für den gelben Punkt zu werfen. Die Konservendosen spülte er durch, auch wenn er nicht daran glaubte, dass es da wirklich ein Fließband gab, wo Menschen den ganzen Müll vorsortieren mussten. Er war davon überzeugt, dass alles zusammen verbrannt wurde. In Köln waren viel zu große Verbrennungsöfen für den Müll gebaut worden waren. Beim Abspülen überlegte er sich, ob es in Köln auch ein Krematorium gab und musste sich dann doch wieder übergeben. Irgendwo mussten doch die Menschen verbrannt werden, die als Urne bestattet wurden. Feynsinn hatte sich durchgesetzt, als es darum ging, seiner Mutter ein würdevolles Grab zu gestalten. Seine Mutter durfte auf keinen Fall verbrannt werden. Sein Vater und seine Schwester waren für ein kostengünstiges Urnengrab gewesen.

Eleanor Roosevelt in ImbachWhere stories live. Discover now