9. Kapitel

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2015

Schneeflocken fielen als weiße Rasterpunkte vom Himmel. Sie hinterließen weiße Flecken auf dem grau getünchten Stadtgarten. Der Park in der Kölner Südstadt sah im Winter immer so trostlos aus. Der Himmel war bedeckt. Feynsinn hatte Weihnachtsmusik auf seinem alten mp3-Player. Die weißen Ohrstöpsel waren unter seiner Mütze verschwunden. Es war eiskalt. Der See war zugefroren. Das kam zu selten vor, so dass er keine Notwendigkeit sah, Schlittschuhe zu besitzen. Viele Spaziergänger gingen aufs Eis. Einige rutschten auf einer Eisbahn, die sie vom Schnee befreit hatten. Andere fuhren Hand in Hand Schlittschuh. Ganze Gruppen vertrieben sich ihre Zeit mit ihren bunt vermummten Kindern. Sie rauchten und tranken Tee aus Thermoskannen.

Als Feynsinn dann von der Kölner Südstadt Richtung Quartier Latäng ging, überfiel ihn eine Melancholie. Er ging weiter durch die weißen Schneepunkte und blieb kurz auf dem Rathenauplatz stehen und schaute zur Synagoge. Irgendetwas stimmte nicht mit ihm. In zwei Wochen war Weihnachten und er war nicht glücklich, im Gegenteil. Er dachte an seinen kleinen Tannenbaum, den er spontan im Supermarkt gekauft hatte. Mit Strohsterne und kleinen Christbaumkugeln hatte er ihn liebevoll bestückt. Kurz hatte er eine Vorfreude auf Weihnachten empfunden, aber als seine Freundin ihm dann schon wieder absagte, hielt er es alleine zu Hause nicht mehr aus. Seine Stimmung war auf dem Tiefpunkt. Sie waren noch nicht lange zusammen, aber ich hatte mir dieses Mal wirklich Hoffnung gemacht.

Auf der Brüsseler Straße ging er Richtung Belgisches Viertel. Dort kam er an einem Ashram vorbei. Sie hatten „Tag der Offenen Türe". Feynsinn hatte erst Vorbehalte. Sekten, Gurus, Sexualpraktiken, Manipulation und Gehirnwäsche. Der Innenhof strahlte eine Ruhe aus. Es gab einen kleinen Teich mit Goldfischen und eine Holzveranda. Alles sah sehr sauber und einladend aus. An der Rezeption begrüßte ihn ein junger Mann mit halb langen Haaren, der Arhat hieß. Alle wurden hier mit indischen Vornamen gerufen. Arhat zeigte ihm die verschiedenen Räume. Oben auf der großzügigen Dachveranda standen Feynsinn und Arhat beide lange draußen und atmeten einfach nur. Feynsinn beeindruckte die Oase mitten in der hektischen Großstadt und auch die Ausstrahlung von Arhat.

Alles sah sehr indisch aus und am Freitagabend gab es auch im Restaurant indische Küche. Die große Meisterin trug indische Kleidung. Es gab Singen und dann einen kleinen Vortrag. Das war schon alles ziemlich merkwürdig. Die Menschen im Ashram wirkten nett, sehr vernünftig und ruhig. Die Meisterin mit dem süddeutschen Akzent sprach über die Sehnsucht anzukommen. „Mein Neffe war schon im Kindergarten auf der Sinnsuche", erzählte sie. „Mit jedem Lebensabschnitt verband er die Hoffnung, endlich glücklich zu werden. Auf der Grundschule war sein einziges Ziel, auf das Gymnasium zu gehen. Kaum dort angekommen, war er nach einigen Tagen auch dort unglücklich". Feynsinn musste schlucken und hatte Tränen in den Augen. Auch er hatte im Kindergarten die große Hoffnung gehabt, dass in der Grundschule alles richtig sein würde. Dann hatte er riesige Hoffnungen auf die Zeit im Gymnasium gehabt. Dann hoffte er darauf, dass das Leben nach dem Abitur endlich anfangen würde. Doch das Leben war nie so toll, wie er es sich erhofft hatte. „Es gibt nur ein Rezept gegen deine Traurigkeit, Angst und Orientierungslosigkeit". Die Meisterin machte eine lange Pause. Feynsinn schaute sich um und sah glückliche Gesichter. Einige nickten sanft und weise mit ihren Köpfen und applaudierten, als die Meisterin ihren Vortrag mit folgenden Worten beendete: „Ihr sollt nicht mehr draußen suchen! Stellt euch eurer inneren Leere. Jeder Mensch hat diese Leere in sich und nur durch das Aushalten der Leere, kommst du zur Stille und dann zum Glück". Feynsinn zog seine durchnässten kalten Schuhe wieder an und ging alleine den Weg zu Fuß nach Hause. Er spürte seiner Einsamkeit und inneren Leere nach und empfand sie als unerträglich vor allem in Kombination mit den nassen Schuhen. Er machte noch einmal einen Abstecher bei seiner Freundin, aber klingelte nicht. Auch am Kiosk vom Brüsseler Platz ging er vorbei. Draußen baumelte am Haken ein Bieröffner.

Am Wochenende nahm er an einem Seminar zum Thema „Intelligenz des Herzens" teil. Das Thema Liebe und Beziehung. Sehnsucht nach einem anderen Menschen. Er saß mit anderen in einer Kleingruppe im Schneidersitz zusammen. Frauen waren vor allem unglücklich in der Liebe. Die Männer hatten berufliche Probleme, fühlten sich ausgebrannt. Nach der Austauschphase blieben alle sitzen und fühlten dem Gehörten nach. Langes Schweigen. Feynsinn hielt die Stille kaum aus und ging auf die Toilette. Als er zurück kam, wurde weiter geschwiegen. „Meist suchen wir Liebe und Anerkennung im Außen und sind frustriert und enttäuscht, wenn das nicht funktioniert. Der Weg zu einem erfüllten Leben mit und ohne Partnerschaft beginnt damit, die Liebe in uns selbst, in unserem Alleinsein zu finden – nur von hier aus ist echte Begegnung möglich". Plötzlich hatte die Gruppenleiterin dann doch noch angefangen zu sprechen. Dann war es wieder still.

Eleanor Roosevelt in ImbachWhere stories live. Discover now