24. Kapitel

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2015

Lag es an der Schule, dass er sich so deprimiert fühlte? Feynsinn spürte schon seit Wochen, immer nur Dunkelheit und Schwere um sich herum. Kraftlosigkeit und noch viel schlimmer: große Unlust. Nichts inspirierte ihn. Er fuhr zu Katharina. Nichts hielt ihn mehr am Schreibtisch. Er zerknüllte die geplante Unterrichtsstunde. Das Wohnzimmer von Katharinas Wohnung ging zur Straße und er konnte Licht bei ihr sehen. Aber sie öffnete ihm nicht. Er ging zum Kiosk um die Ecke und holte sich ein Bier. Er öffnete die Flasche draußen auf dem Platz und warf den Bierdeckel in den Mülleimer. Das war hier überall so. Alle tranken auf der Straße aus den Flaschen und stellten die leeren Flasche dann ab. Es war auch normal, dass Leute durch die Straßen gingen und nach leeren Flaschen suchten, um sie gegen Pfandgeld zu tauschen. Er fühlte sich nach dem ersten Schluck schon wieder besser und quatschte ein bisschen mit den Betreibern des Kiosks.

Als er später noch einmal bei Katharina klingelte, öffnete sie ihm. Sie war ziemlich müde. Sie ließ sich herumkriegen. Aber die Nacht wollte sie alleine verbringen. Er hatte schon Sonntage erlebt, an denen sie den ganzen Tag mit verbissener Miene vor ihrem Notebook saß. Er fühlte sich zunehmend wie ein Störenfried in ihrem Leben. Es wurde auch nicht besser, als Katharina beschloss, noch mehr Sport zu treiben. Im Gegenteil, das schränkte die gemeinsame Zeit noch mehr ein. Nach der Arbeit strampelte sie jetzt Stunden auf ihrem Radtrainer oder stand auf dem Cross-Trainer, den sie bei Ebay günstig erstanden hatte und das Wochenende war genau verplant mit Lauftraining.

Die letzte Lehrprobe war wieder einmal eine Katastrophe gewesen. „Sie müssen antizipieren und reagieren!", wiederholte sein Schulleiter, der dieses Mal mit bei der Besprechung war. Die Fachleiter hatten schon die Hoffnung aufgegeben und seinen Schulleiter angesprochen, weil sie ihn für ungeeignet für den Lehrberuf hielten. Während er unterrichtete, tuschelten der Fachleiter und der Schulleiter hinten angeregt miteinander und schüttelten dabei immer wieder mit dem Kopf. „Ihr Französisch ist eine Katastrophe", war das Schlusswort des Fachleiters, der selber nur gebrochen Französisch sprach.

Es dauerte eine Weile, bis Feynsinn alles für die aufwendig vorbereitete Unterrichtsstunde in seiner Tasche verstaut hatte. Nach der Stunde hatte er wie immer die nervenden Prüfer bewirtet. Er brachte das Tablett mit den Plätzchen und der leeren Thermoskanne in die Küche. Die angebissenen Käse- und Wurstbrötchen schmiss Feynsinn angeekelt in den Mülleimer. Er hatte den Schulalltag so satt. Der Umgang mit Schülern lag ihm, aber diese permanente Kontrolle und die zermürbenden Kommentare der Fachleiter machten ihn fertig. Auf den Schulleiter verspürte er einen regelrechten Hass. Ronald wollte sich mit ihm zum Joggen treffen, aber er sagte ab. Ronald wusste nichts von seinen Misserfolgen in der Schule.

Er fuhr auf seinem Rad durch die Kölner Innenstadt. „Fuck you." Erst dachte er es nur. Dann sprach er es leise murmelnd aus. Fuck you!. Er sah den Schulleiter vor sich, dann Katharina. Fuck you. Er sah das Lehrerkollegium vor mir. Fuck you und als er einen Betrunkenen fast umfuhr, weil dieser auf der Straße herum torkelte, schrie dieser Feynsinn laut an: „Fuck you!" Konnte der Typ seine Gedanken lesen? Sie schienen genau auf einer Wellenlänge zu sein. Zufälle gab es nicht. Auf jeden Fall nicht in Köln. Am Brüsseler Platz bog er zu seinem eigenen Erstaunen in die Mastrichter Straße und überquerte den Ring. Es regnete, erst leicht, dann immer stärker. Die Straßen waren leer und so konnte er mit Tempo die lange Ehrenstraße hinunterfahren. Seine Brille beschlug. Durch den Regen konnte er die Geschäfte links und rechts an der Straße nur undeutlich sehen. Er hatte den Eindruck, dass er die Straßen in der Kölner Innenstadt ohnehin schon so wie eine Ratte ihren Käfig kannte.

Feynsinn steuerte an der bläulich in der Pfütze schimmernden WDR-Lichtinstallation vorbei und dann über die Domplatte. Auch hier waren kaum Menschen. Vereinzelt liefen Figuren mit ihren Regenschirmen auf der sich durch den Regen spiegelnden Betonfläche herum. Dann fuhr er über die Hohenzollern-Brücke. Die meterlangen Gitter waren voller kleiner Schlösser. Liebespaare kamen hierher, um gemeinsam ein Schloss aufzuhängen. Tausende von kleinen Schlüsseln lagen unten auf dem Boden des Rheines. Er fragte sich, ob der ein oder andere Schlüssel es von Köln bis nach Holland schaffen würde oder ob alle für ewig rund um die Brücke liegen bleiben würden. Er war seit fünf Jahren in Köln und hatte miterlebt, wie es erst einige wenige Schlösser waren und wie sie immer mehr wurden. Inzwischen hingen sie eng nebeneinander. Er fuhr auf der anderen Rheinseite auf die Rheinuferpromenade. Er fuhr schnell. Meine Kleidung wurde nass, weil er keinen Regenschutz dabei hatte. Unter der Brücke in Mülheim schrie er in voller Lautstärke in den Autolärm hinein: „Fuck you, fuck you, fuck you", bis seine Stimme völlig versagte und er nur noch Schmerzen in seiner Kehle hatte. Im Kafischnaps, einer kleinen Szenekneipe in Mülheim, ließ er sich auf einen Stuhl fallen. Er konnte nicht mehr. Sein Kopf war leer. Er bestellte sich eine warme Kartoffelsuppe und den gedeckten Apfelkuchen mit Schlagsahne. Die nette Studentin an der Theke brachte ihm ein Handtuch und ein ausgeleiertes T-Shirt, das hier irgendwann einmal liegen geblieben war. Er zog sich um und aß.

Eleanor Roosevelt in ImbachWhere stories live. Discover now