25. Kapitel

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1998

Berta war eine Erasmus-Studentin aus Sevilla. Feynsinn war ihr im Studentenwohnheim begegnet. Sie wohnte auf demselben Flur wie er und so trafen sie sich abends und am Wochenende in der Küche oder im Aufenthaltsraum vor dem Fernseher. Die offene Architektur des Gebäudes sorgte für Transparenz und förderte die demokratischen Prozesse. Er stand am Küchenschrank, um in seinem Fach nach Keksen zu suchen. Die Küche stank nach verbranntem Essen. Auf der Arbeitsfläche lagen Reste von Gemüse und die aufgerissene Packung mit Paella-Reis. Auf dem verdreckten Herd stand die Pfanne herum. Sie kam mit dem schmutzigen Teller aus dem Aufenthaltsraum. Er holte sich eine Milchflasche aus dem Kühlschrank. „Heute putzt du aber bitte, nachdem du gekocht hast." „Du hast mir gar nichts zu sagen. Du klaust meine Kekse. Was ist das für eine scheinheilige Doppelmoral?"

Feynsinn schaltete die Kaffeemaschine aus und goss sich den abgestandenen Kaffee aus der Glaskanne ein. Sie stand ihm mit dem Rücken gegenüber und der bunte Rock war ihr viel zu eng. Er goss die sauer gewordene Milch in den Abguss, spülte die Flasche durch, verschloss sie wieder und öffnete die neue Milchflasche mit einem Plopp. Als Feynsinn an ihr vorbei ging, um die leere Flasche in die Ablage für Pfandflaschen zu lege, drehte sie sich um. „Die Küche war schon dreckig." „Das stimmt nicht, also mach bitte nachher sauber." „Keiner macht hier sauber!" „Doch!" „Nein!" „Du spinnst doch völlig!" „Du bist typisch Deutsch!"„Ich hasse dieses schlechte Wetter, dieses Danke-Bitte-Dankeschön. Ich halte es nicht mehr aus in Deutschland zu leben." Feynsinn trat mit aller Kraft gegen den Kühlschrank und biss sich vor Wut auf die Unterlippe.

Er schmiss die Milchflasche auf den Steinboden. Berta zuckte zusammen. Die weiß-bläuliche Flüssigkeit vor ihren nackten Füßen vermischte sich mit einer rötlichen, weil eine Scherbe ihren Zeh verletzt hatte: „Alle Deutschen sind Nazis". „Lern erst einmal richtig Deutsch! Faschisten gibt es auch in Spanien!" „Verdammt, wir stehen kurz vor dem Examen und ihr spielt hier Drama", sagte Timm aus Jülich, der in die Küche kam um sich über den Lärm zu beschweren. „Feynsinn, du hast Putzdienst." Danach war es ziemlich lange ruhig. Die anderen Studenten in ihren kleinen Zimmern, hatten die Fenster zugemacht und blieben an ihren Schreibtischen sitzen. In der Küche wurden die Scherben aufgefegt und in den Mülleimer geworfen. In der kleinen Besenkammer, die zum zentralen Telefon umgebaut worden war, telefonierte Berta laut auf Spanisch. Feynsinn putzte die Küche und ihm liefen die Tränen. Er weichte den Herd ein, während er das Altglas zum Container und die Pfandflaschen zum Supermarkt brachte. Die meisten im Wohnheim waren erleichtert, als Berta einige Tage später von ihrem großen Bruder in dem kleinen roten Auto abgeholt wurde. Feynsinn hatte den Deckel der Milchflasche angemalt, durchlöchert und an eine silberne Kette gehängt. Bevor Berta ins Auto gestiegen war, hatten sie sich überraschend innig umarmt. Sie hielt den metallenen Deckel der Milchflasche zwischen ihren Fingern. Immer wieder ließ sie das leichte Metall des Deckels gegen die Autotür fallen, bis ihr Bruder sie dazu aufforderte, endlich damit aufzuhören. „Entschuldige, es tut mir leid. Es kommt nicht wieder vor", das waren Feynsinns Worte gewesen, als er sie zum ersten Mal nach dem Streit in der sauberen Küche getroffen hatten.

Eleanor Roosevelt in ImbachWhere stories live. Discover now