21. Kapitel

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2015

Feynsinn war zum ersten Mal im militärhistorischen Museum in Dresden. Endlich Osterferien. Sein Cousin Ronald hatte ihn von Köln nach Dresden mitgenommen und genau vor dem Museum abgesetzt. Feynsinn wollte sich die Architektur des Stararchitekten Daniel Libeskind anschauen. Er blieb lange vor dem Gebäude stehen. Das Museum der Bundeswehr gehört zu den bedeutendsten Geschichtsmuseen Europas. Er ging durch die Gänge. Im Zentrum der Ausstellung drehte sich alles um die Ursachen und Folgen von Gewalt und Krieg. Feynsinn war fasziniert von dem keilförmigen Neubau, durch den die Fassade des ursprünglichen Arsenalgebäudes aus dem 19. Jahrhundert durchbrochen wurde. Die über 10 000 Exponate beeindruckten ihn, genauso aber auch der geschickte Einsatz von Licht und Schatten.

"Mogadischu zählt zu den gefährlichsten Städten der Welt." Auf der langen Autofahrt hatte Feynsinn von der somalischen Hauptstadt im Radio einen langen Beitrag gehört. „Wieder zwei Anschläge nahe dem Peace Hotel in der somalischen Hauptstadt. Der Fahrer eines Autos hatte sich in die Luft gesprengt. Eine zweite Explosion ereignete sich durch einen Lastwagen. Zu den Anschlägen bekannte sich die islamistische Miliz Al-Schabab." Feynsinn wurde nachdenklich. Sein Denken war eher assoziativ als analytisch. Er blieb an dem Wort „Peace Hotel" hängen. Wie optimistisch ein Hotel Frieden zu nennen in der gefährlichsten Stadt der Welt.

Als Feynsinn vor den Vernichtungswaffen stand, lief ihm ein Schauer über den Rücken. Er dachte darüber nach, dass die Bundesrepublik Deutschland zu den großen Waffenlieferanten zählt. Vor allem die weltberühmten V 2 erschreckte ihn. Diese Waffe war eine Rakete. Sie war so groß, dass sie über mehrere Stockwerke ragte. Ganz oben stand ein Puppenhaus. Als er im oberen Stockwerk der Ausstellung ankam, sah er das kleine alte Spielzeug. Es war in London aus einem zerstörten Haus gerettet worden, in das die K 2 eingeschlagen war. Dieser Anblick rührte ihn so sehr, dass er Tränen in den Augen bekam. Genau in diesem Moment sah Feynsinn Katharina zum ersten Mal. Sie arbeitete bei der Bundeswehr, aber das wusste er da noch nicht. Er hätte bei ihr eher auf Lehrerin oder Journalistin getippt. Ihr iPhone hatte während der Führung vibriert und sie war hinausgegangen. Anschließend hatte sie ihre Gruppe verloren und war Feynsinn in der Ausstellung begegnet. Sie hatten sich nur kurz gemustert. Katharina war in Sachsen, weil sie gerade eine Fortbildung machte. Sie hielt Feynsinn für einen Kollegen, der auch die Gruppe verloren hatte und winkte ihm zu, dass er ihr folgen sollte. Sie kannte sich aus und wusste, wo die anderen sich nach der Führung trafen. Feynsinn schlug vor, ins Museumscafé zu gehen. Sie war sofort einverstanden.

Als Feynsinn klar wurde, dass sie bei der Bundeswehr arbeitet, musste er schlucken. Er hatte seinen Zivildienst im Altenheim gemacht. Feynsinn gehörte zu den letzten Jahrgängen, in denen die jungen Männer nach dem Abitur entweder Zivildienst oder Bundeswehr erwartete. Die Bundeswehr gehörte wie die Polizei zu den Feindbildern. Das reflexartige Aufbegehren gegen die „Staatsgewalt" nervte Feynsinn, aber trotzdem war er überrascht, dass sie bei der Bundeswehr arbeitete. Niemand in seinem Freundeskreis wäre auf den Gedanken gekommen, zur Bundeswehr zu gehen. Feynsinn musterte Katharina eingehend, während sie zu einem richtigen Vortrag anhub. „Seit 2001 stehen alle militärischen Laufbahnen in den Streitkräften auch Frauen offen. Inzwischen sind von den 185 000 Berufs- und Zeitsoldaten schon 18 000 Frauen". Feynsinn konnte sich nur doch dunkel daran erinnern, dass eine Elektronikerin sich 1996 als Soldatin beworben hatte und abgelehnt wurde. „Langfristig plant die Bundeswehr 15 Prozent Frauenanteil zu erreichen. Im Sanitätsdienst soll es sogar genauso viele Frauen wie Männer geben. Inzwischen nehmen sogar mehr als 300 Soldatinnen an Auslandseinsätzen wie in Afghanistan teil." Feynsinn hörte Katharina zu. Er war grundsätzlich immer allem offen gegenüber. Aber beim Thema „Töten" war der nicht bereit zum Kompromiss.„Das könnte ich einfach nicht", sagte er und er merkte, wie er sie gleichzeitig anflirtete. „In letzter Konsequenz heißt doch euer Dienst an der Waffe, dass du zum Töten ausgebildet wirst. Das kannst du doch nicht ausblenden". „Wer sagt denn, dass ich das ausblende? Es klingt vielleicht abstrakt, aber es ist immer eine Frage der Verteidigung, so legitimiere ich das vor mir selber. Ich verteidige mein eigenes Leben und das der Zivilbevölkerung, die ich schützen will".

Eleanor Roosevelt in ImbachWhere stories live. Discover now