37. Kapitel

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Marlene Mebus, geborene Himmelreich starb mit 86 Jahren. Sie war eine bekannte und geschätzte Frau und hatte sich aktiv ins soziale Leben eingebracht. Mehr als 400 Menschen kamen zu ihrer Beerdigung und niemand schien von ihrem Leben in der Ukraine zu wissen. Nach seiner Rückkehr aus Polen hatte Feynsinns Großvater eines Abends wie früher vor Marlenes Tür gestanden und um ihre Hand angehalten. Gegen den Willen seiner Mutter löste er die angekündigte Verlobung mit der Adeligen und heiratete meine Großmutter. Später adoptierte Carl Mebus auch Feynsinns Mutter, seine leibliche Tochter.

Feynsinns Großmutter hatte ihm oft davon erzählt, wie begeistert sie als junges Mädchen von den Nationalsozialisten gewesen war und wie radikal sich ihre Sichtweise änderte, als sie das erste Mal nach Polen reiste. „Da konnte ich mir nichts mehr vormachen und ich war mit dem wahren Gesicht der Deutschen konfrontiert." Feynsinns Großeltern wohnten bis zu ihrem Lebensende in Kuebart, wo auch schon Marlenes Eltern und Großeltern gewohnt hatten. Carl Merbusch setzte seine wissenschaftliche Arbeit in den Laboren in Leverkusen fort.

Viele Jahrzehnte später verklagten Opfer die Bayer AG auf Schadensersatz, weil Medikamente und Krankheitserreger an ihnen und vielen anderen KZ-Insassen von Auschwitz erprobt wurden. Die Bayer-Werke beriefen sich juristisch darauf, dass die IG Farben während des Zweiten Weltkrieges nichts mit der heutigen Bayer AG zu tun haben.

Eine Frau reichte 1993 Klage gegen die Bayer AG ein. Das Kreuz aus Buchstaben, das von links nach rechts und von oben nach unten gelesen das Wort Bayer ergibt, hatte sich für immer in ihr Gedächtnis eingeprägt. Für Feynsinn war dieses Logo mit dem Y in der Mitte so vertraut wie die ersten zehn Zahlen in farbigem Layout oder das Alphabet in der Grundschule. Josef Mengele benutzte in Auschwitz Flaschen mit demselben Aufdruck. Sein Großvater hatte von den Gaskammern und der Massenvernichtung in Auschwitz gewusst. Feynsinn erinnerte sich daran, wie oft sein Großvater sagte: „Jeden einzelnen Tag muss ich mit diesem Albtraum leben." Diesen Satz wiederholte er so häufig, dass Feynsinn als Kind ihn nie in Frage stellte. Feynsinn hatte sich nie gefragt, was sein Großvater „mit diesem Albtraum" meinte. Der Satz war irgendwann bedeutungslos geworden und erst jetzt verstand Feynsinn die ganzen Ausmaßen der Äußerung seines Großvaters. Eine seiner Aufgaben war es, Testreihen für die Medikamente an den Menschen zusammenzustellen. Nach dem Krieg wurde er in Nürnberg verurteilt. Für ihn sprach, dass er der Familie seines Nachbarn half, die später für ihn aussagten. Aber es spielte sicherlich auch eine große Rolle, dass er für den Wiederaufbau der Chemie-Industrie unerlässlich war. Die Amerikaner wollten Deutschland wieder aufbauen, um einen guten Wirtschaftspartner zu haben.

Eine Frau, die im Zusammenklage mit der Klage gegen die Bayer AG seinen Großvater kennenlernte, bat ihn, gemeinsam mit ihr nach Auschwitz zu fahren und in den Ruinen der Gaskammern ein Dokument zu unterzeichnen, das beweisen würde, was in Auschwitz passiert war. Feynsinns Großvater stimmte sofort zu. Wiederum zehn Monate später schrieb sie ihm, dass sie ihm vergeben habe. Wir können nicht ändern, was passiert ist. Aber wir können verändern, wie wir uns dazu verhalten."

Sie hatten noch keine Rückmeldungen von den Experten in den Vereinigten Staaten, ob Eleanor Roosevelt tatsächlich einige Wochen 1945 im Haus mit Feynsinns Großmutter Marlene gelebt haben könnte. Während das ganze Leben und die Schriften von Mrs. Roosevelt genau dokumentiert und ausgewertet worden ist, sind die Wochen, die sie 1945 in Kuebart verbracht haben könnte, kaum dokumentiert. Belegt ist nur, dass Eleanor Roosevelt rechtzeitig am 26. Juni 1945 zur Gründungsveranstaltung der Vereinten Nationen in Washington ankam, was aber nicht einem Aufenthalt davor in Kuebart widerspricht. Die Aufzeichnungen für ihren Roman ließ sie zurück. Sie ließ auch ihren ursprünglichen Plan, nach Nürnberg zu den Kriegsverbrecherprozesse zu fahren, fallen.

Feynsinn war seiner Frau Hope dankbar, dass sie ihm bei den Recherchen zu seinem Roman half und dazu motivierte, weiter zu schreiben. Seit Anfang des Jahres 2020 wohnten die beiden zusammen in Wien. Hope hatte im Holocaust-Museum in Washington gekündigt und fing im März bei der UN in Büro für Peace and Security an. Feynsinn hatte seine Beamtenstelle in Köln gegen eine schlecht bezahlte Stelle an einem privaten Gymnasium in Wien gewechselt.

Eleanor Roosevelt in ImbachWhere stories live. Discover now