8. Kapitel

5 0 0
                                    

1945

Auch Mrs. Roosevelt war nicht frei von Rassismus und Antisemitismus als sie jung war, aber sie hatte im Laufe ihres Lebens ihre Einstellung geändert. Noch 1918 äußerte sie sich kritisch und abwertend gegenüber Juden und war in den damals weit verbreiteten Meinungen gefangen. Auch so ein absurder Gedanke wie „Blutreinheit" war ihr als junge Frau nicht fremd gewesen und sie erinnerte sich mit einem großen Unbehagen daran, wie ihr Ehemann stolz darauf gewesen war, dass er kein jüdisches Blut in seinen Adern fließen hatte. Die legendären Roosevelts waren auch nur Kinder ihrer Zeit, aber sie haben sich weiterentwickelt und kamen zu ausgewogeneren Urteilen.

Mrs. Roosevelt und ihren Mann verband nicht so viel, wie es nach Außen hin den Anschein hatte, aber sie schämten sich beide nicht, Fehler zu machen und ihre Meinungen zu ändern, wenn ihnen klar wurde, dass sie sich geirrt hatten und so gelang es ihnen im Gegenteil zu vielen anderen Angehörigen ihrer sozialen Klasse, Vorurteile zu überwinden und eine bessere Zukunft zu gestalten. Aber sie waren definitiv keine Heiligen. Mrs. Roosevelt bereute es, dass sie sich erst relativ spät für die Rechte der Menschen, die damals noch als Negroes bezeichnet wurden, einsetzten. Auch was Deutschland betrifft, hatten sie viel zu lange weggeschaut.

Als Maria Meyer Wachmann, eine jüdische Frau von London, Mrs. Roosevelt anschrieb, dass sie jüdischen Flüchtlingen aus Deutschland helfen sollten, antwortete sie: „Leider bin ich verpflichtet, in der gegenwärtigen Situation alle Kontakte mit ausländischen Regierungen in die Hand meines Mannes und seiner Berater zu legen."

Als junge Frau und später ab 1933 als First Lady hielt sie sich genau an alle Regeln. Erst mit den Jahren entwickelte Mrs. Roosevelt einen gelasseneren Umgang mit der ihr zugewiesenen Rolle und nahm mutiger und selbstbewusster Stellung. „Ich habe mich zu lange der Illusion hingegeben, dass die Alliierten der jüdischen Bevölkerung in Europa am besten helfen würden, wenn sie möglichst schnell den Krieg gewinnen. 1938 markiert einen Wendepunkt in ihrem Denken. Zum einen wegen der Kristallnacht in Deutschland, zum anderen wegen ihrer Erfahrungen mit Rassismus in den Südstaaten. Die beiden Ereignissen standen für Mrs. Roosevelt in einem gewissen Zusammenhang. Sie würde nie vergessen, wie sie aus erster Hand davon erfuhr, dass 91 Juden ermordet und 30 000 weitere verhaftet wurden. Außerdem wurden mehr als 1000 Synagogen zerstört. War Marlene gemeinsam mit anderen Jugendlichen auf der Straße dabei gewesen? Marlene war zu diesem Zeitpunkt 15 Jahre alt. Zu alt, um als Minderjährige ein Visum für die Vereinten Staaten zu bekommen. Aber verfügte sie tatsächlich über genug Reife, um mitzubekommen, was in dieser Nacht passiert war? Mrs. Roosevelt spürte plötzlich ein großes Unbehagen Marlene gegenüber. Wie konnten diese seelenruhig weiterleben, während die jüdischen Nachbarn verfolgt und ermordet wurden? Vielleicht hatte Marlene sogar Steine auf die Fensterscheiben von jüdischen Geschäften geworfen? Hätte Marlene ihr das erzählt? Mrs. Roosevelt wollte nach Nürnberg fahren und sich dort die Kriegsverbrecherprozesse anschauen, auch um darüber zu berichten. „Never again". In Nürnberg würde Mrs. Roosevelt den Kriegsverbrechern gegenüber sitzen. Vor allem Männern. Die Staatsanwälte und Richter würden die Verhöre leiten.

Kurz nach den Vorkommnissen in Deutschland wurde Mrs. Roosevelt nach Birmingham, Alabama zu einer Konferenz eingeladen. Damals herrschte in den Südstaaten noch die Gesetze der Rassentrennung. Als sie ankam, wurde sie mit einem großen Applaus empfangen. Sie sah sofort ihre Freundin Mary Mc Leod Bethune und setzte sich wie selbstverständlich zu ihr. Zur ihrer Verblüffung merkte Mrs. Roosevelt erst, als sie schon saß, dass die Menschen nach Hautfarben getrennt worden waren. Ein Polizist klopfte ihr auf die Schulter und forderte sie auf, sich umzusetzen. Sie blieb aber sitzen und setzte sich auch die folgenden Tage während der Konferenz immer wieder zu verschiedenen Gruppen. Die Polizei folgte ihr dabei auf jeden Schritt, wagte es aber nicht, sie festzunehmen.

Eleanor Roosevelt in ImbachWhere stories live. Discover now