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>> Rasmus <<

Kleine Zweige ziehen an meinen Haaren und zerkratzen mir die Oberarme während ich durch den Wald renne. Mein Herz schlägt so heftig wie ein Trommelwirbel und meine Atmung ist in ein Keuchen übergegangen. Trockene Äste knacken unter meinen Schuhen, wodurch die Vögel oben in den Bäumen aufgeschreckt werden. Immer wieder blicke ich über meine Schulter nach hinten, um zu sehen, ob er mir noch folgt, denn seine Schimpfwörter hallen noch immer zu mir herüber. So schnell ich kann ändere ich die Richtungen, renne um Büsche und Bäume herum, springe über umgestürzte Baumstämme. Vor mir befindet sich nichts weiter als Wald. Nur die grüne Hölle. Und hinter mir mein Stiefvater, der immer wieder schreit, dass er mich erwischen wird. Er wird mich nutzlosen Bastard erschießen. Meine Beine werden immer schwerer und die Sicht verschwimmt langsam, denn ich bin so erschöpft, aber dann bemerkte ich ein Auto zwischen den Bäumen. Ein schwarzer Mercedes. Je näher ich komme, desto klarer kann ich erkennen, dass eine Frau neben dem Auto steht und mit sich selbst spricht. Nein, sie spricht nicht mit sich selbst - sie telefoniert. Sie ist wunderschön mit langen braunen Haaren, die ihr über die Schultern fallen und die Hälfte ihres Rückens bedecken. Dann beugt sie sich vor zum hinteren Teil des Wagens, wo ein kleines Kind sitzt. Ein kleines Mädchen, soweit ich das erkennen kann.

Ein ohrenbetäubender Knaller durchbricht die Stille des Waldes. Vor meinen Augen bricht die Frau in sich zusammen. Ich erstarre an Ort und Stelle, direkt neben einem Baum, und umklammere den Stamm, als könnte er mich beschützen. Das Echo des Knalls verhallt langsam und der Schrei des Kindes dringt durch die gespenstische Stille und meinen Schock. Ohrenbetäubend dringt der Schrei zu mir herüber. Was soll ich tun? Kann ich überhaupt etwas tun? Ich bin selbst noch ein Kind und mein Stiefvater ist irgendwo da draußen und will mich töten. Während ich immer noch darüber nachdenke, was ich tun kann, erscheint mein Stiefvater auch schon neben dem Auto. Sein Gang ist lässig und das Gewehr liegt auf seiner linken Schulter. Er scheint richtig relaxed. Grinsend sieht er zu Boden. Lacht er etwa über die verletzte Frau? Das kleine Mädchen zerrt an dem Gurt, welcher sie in ihrem Kindersitz sichert und sie schreit immer lauter nach ihrer Mutter. Geoffrey tritt näher zu der offenen Tür, beugt sich zu dem Kind vor und sagt irgendetwas zu ihr. Was sagt er? Hat er ihr gedroht? Schlagartig wird es still und er richtet sein Gewehr auf sie. Oh Gott...

Ruckartig setze ich mich im Bett auf und ein leiser Schmerzenschrei kommt über meine Lippen, denn meine Rippen protestieren gegen diese schnelle Bewegung. Mein Herz schlägt wie verrückt in meiner Brust und ich presse eine Hand über meinen Mund, denn eine ungewohnte Übelkeit überkommt mich. Was war das denn für ein Traum? Eine komplett neue Version der Ereignisse. Bis jetzt hatte sich nie etwas an den Ereignissen dieses einen Vormittags geändern. Ich habe den schrecklichen Tag immer und immer wieder in meinen Träumen durchlebt- wie eine Endlosschleife. Vergleichbar mit Bill Murray in Und täglich grüßt das Murmeltier.

Ich versuche mich zu beruhigen und atme langsamer ein und aus. Meine Hand streicht immer wieder über meine Kehle, so als könnte ich die Übelkeit wegmassieren. Es scheint zu helfen, denn mein Magen beruhigt sich ein wenig. Langsam sinke ich zurück ins Kissen und schließe die Augen. Was für ein Start in den Tag! Das ruckartige Erwachen sorgte dafür, dass der Schmerz in meinem Körper zurückkam. Nicht nur meine Rippen tun weh sondern auch in meinem Kopf pocht es wie wild, als würde jemand mit einem Vorschlaghammer darin arbeiten. Als ich meinen linken Arm hebe, um nach den Schmerztabletten, die auf dem Nachtschränkchen liegen, zu greifen, sehe ich, dass mein Handgelenkt dunkelblau und lila schimmert. Und natürlich ist es geschwollen. Verdammte Scheiße! Es sieht wirklich übel aus und heilt auf keinen Fall in zwei Tagen. Sofort sehe ich mir auch die andere Hand an und muss feststellen, dass sich der Zeige- und Mittelfinger ebenfalls kunterbunt verfärbt haben. Großartig! Mit einem tiefen Seufzen schließe ich die Augen wieder. Was soll ich jetzt machen? Es hat mich schwerer getroffen als anfangs angenommen. Muss ich wirklich zu Linc gehen? Ein tiefes Knurren kommt aus meiner Kehle. Sam sollte nicht erfahren, wie schlimm es mich wirklich getroffen hat, aber das würde er sobald ich Linc einen Blick auf meinen malträtierten Körper werfen lasse. Mist! Ich bin am Arsch!

Kiss of DarknessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt