Kapitel 10

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PoV Eren
Unterwegs holten wir noch Connie, Jean und Ymir ab, die sich zu dritt auf die Rückbank quetschten. Die Brünette schien sehr angespannt heute und ich merkte, wie Levi öfter nach hinten sah. Ob wegen ihr oder etwas anderem konnte ich aber nicht sagen. „Gehörst du jetzt eigentlich offiziell dazu?", fragte Connie und rückte seinen Mundschutz richtig. So nah an Jean zu sitzen gefiel ihm nicht. Ich hätte auch Plätze mit ihm getauscht, aber Levi meinte, dass Connie da heute durchmüsse. Ich zuckte mit den Schultern, sah zu dem Ältesten im Auto und blickte ihn hilflos an.

Gehörte ich dazu? War ich einer von ihnen? Nächste Woche würden sie mich gar nicht sehen, vielleicht danach nie wieder. Wenn mit Levi etwas Unangenehmes passieren würde, würde ich vermutlich nicht mehr zur Gruppe gehen. „Ab wann wusstest du, dass du dazu gehörst?", fragte ich schließlich.

Connie überlegte kurz, kam aber schnell zu einer Antwort: „Als ich mich nicht mehr geschämt habe mit ihnen drüber zu reden." Ich nickte abwesend. Ob ich mir das auch passieren würde? Dass ich mich nicht mehr schämte?

Heute war es warm, das Wetter war echt schön, alle trugen ein T-Shirt, ich trug einen dünnen Pullover. Ich wollte nicht, dass man die Löcher und Flecken an meinem Arm sah. Sie waren gestern wieder vermehrt worden. Ich konnte einfach nicht schlafen und musste irgendwie runter kommen. Ich wusste, dass das was ich tat falsch war, doch ich konnte einfach nicht widerstehen. Es schien so einfach. Wie der einfachste Weg endlich schlafen zu können.

Schon bei dem Gedanken daran das nicht mehr zu haben, diese Option nicht mehr zu haben, begann ich zu schwitzen, mein Gesicht wurde heiß und mein Sichtfeld verschwamm immer mehr. Die Stimmen im Hintergrund wurden immer verzerrter und leiser bis sie irgendwann ganz verstummten und nichts mehr zu hören war. Absolut gar nichts. Nichts außer meinem hektischen Atmen und meinen Herzschlag, der wie ein Presslufthammer in meinem Kopf arbeitete.

Schon wieder eine Panikattacke. Sie hatten es sicher mitbekommen, ich konnte Panik in ihren Gesichtern erkennen. Jean versuchte auf mich einzureden, doch ich hörte nichts. Er hätte sagen können, was er wollte, ich hörte nichts.

Ich begann noch hektischer zu atmen. Die Panik stieg. Plötzlich eine Hand die Jeans von meiner Schulter entfernte. Ich folgte der Hand mit meinem Blick, versuchte nichts außer dieser Hand wahrzunehmen.

Levi sah mich ruhig an. Keinerlei Emotionen waren in seinem Gesicht zu erkennen. Ich starrte ihm panisch in die Augen, versuchte meinen Atem unter Kontrolle zu kriegen. „Zählen Eren.", meinte er nur. „30.", brachte ich schweratmend raus und starrte ihn weiter an. „Weiter." - „29."

„Minus 3." - „26."

„Plus 9." - „31. Nein 35."

„Minus 8." - „27."

„Minus 12." - „15."

Ich merkte, wie ich ruhiger wurde. Ob es daran lag, dass mein Kopf etwas zu tun hatte oder ob es daran lag, dass Levi sehr beruhigend auf mich wirkte, das wusste ich nicht genau. Aber egal was es war, es wirkte.

Als ich wieder zu mir kam, merkte ich, dass das Auto bereits leer war und Hanji mit der Gruppe gerade in das Sportzentrum ging. „Besser?", fragte Levi ruhig und ich nickte. „An was hast du gedacht?"

Schweigend sah ich ihn an. Wie sollte ich das erklären? Wie sollte ich sagen, dass ich Angst bekommen habe ohne Heroin zu leben? Mein Gott, wie erbärmlich war ich eigentlich.

„Eren du wirst das überstehen, ja? Du wirst das schaffen." - „Wie kannst du dir sicher sein? Ich bin ein Wrack! Ich denke nur drüber nach, dass ich ohne das Zeug klar kommen muss und bekomme Panik. Wie soll das sein, wenn es wirklich soweit ist? Wie kannst du dir sicher sein, dass ich das schaffe?", Tränen verließen meine Augen, fuhren meine Wange hinunter und tropften schließlich von meinem Kinn.

„Weil ich das auch durch hab. Und ich war da nicht mal halb so gut drauf wie du." - „Vielleicht bist du einfach nur viel stärker als ich.", murmelte ich und wischte mir durchs Gesicht.

Ich hasste diese Ausbrüche. Das hatte ich oft. Und gerade in solchen Fällen, in Fällen in denen ich keine Kontrolle mehr über meine Emotionen hatte, half mir die Droge. Und wie gerne ich sie jetzt nehmen wollen würde.

„Ich bin nicht so stark, Eren. Glaub mir.", damit beugte sich Levi ein Stück vor, streckte seine Hand zu meinen Knien, öffnete das Handschuhfach und holte eine Packung Zigaretten hervor, nahm sich eine raus und hielt mir die Packung hin. „Ich dachte ich soll nicht-", fing ich an, doch er unterbrach mich.

„Du sollst dir nicht irgendwas spritzen. Rauchen ist zwar auch nicht das Beste, aber es hilft zum Runterkommen." Ohne zu zögern griff ich nach der Packung, nahm eine Zigarette und ließ sie mir von Levi anzünden. Er ließ die Fenster runter und schnallte sich ab. Ich tat es ihm gleich.

„Was meintest du?" - „Wobei?", fragte er. „Du hast gesagt, dass du nicht so stark wärst. Aber du sitzt hier, bist komplett ruhig geblieben und konntest mich dazu auch noch beruhigen. Du hilfst all diesen Leuten ohne selber komplett durchzudrehen."

Und nun passierte etwas, was ich in der - zugegebenermaßen ziemlich kurzen - Zeit bisher noch nicht gesehen hatte. Levi schmunzelte. Es war kein Lächeln, schon gar kein Lachen oder Grinsen, er schmunzelte amüsiert und schüttelte den Kopf. „Du wirst es eh noch merken, also erzähle ich es dir jetzt.", er nahm noch einen Zug der Zigarette.

„Die Panikattacken, die du kennst, sind anders, als die, die ich beinahe jede Nacht durchmache. Ich habe meine eigenen kleinen Probleme, Eren. Und auch, wenn ich euch helfen kann, bleibt für mich keine Kraft mehr. Ich hab den Kopf dafür nicht. Wenn immer ich die Gelegenheit bekomme aus der Situation zu fliehen, nutze ich sie und verschwinde. Das ist keine Stärke, das ist eine Form der Schwäche."

Während er die ersten Sätze sprach blies er den Rauch aus und wandte seinen Blick aus dem Fenster. „Ich bewundere dich.", gab ich zu und erntete einen verwirrten und dennoch amüsierten Blick. „Wofür?"

„Für deine Ruhe. Ich merke dir nicht im geringsten an, dass es dir schlecht gehen könnte. Du wirkst verdammt stark und für diese Maske, die du - egal ob für uns oder für dich - aufrecht hältst, bewundere ich dich." - „Bist du noch high?", er warf den Zigarettenstummel aus dem Fenster und ich tat es ihm gleich.

„Ich denke nicht." - „Dann bist du verrückt."

Schweigen. War ich verrückt? Vermutlich. Aber war das in diesem Fall etwas Schlechtes? Vermutlich. „Bist du bereit?", fragte Levi und ließ die Fenster wieder hoch fahren. Dabei nickte er zur Eingangstür des Zentrums. „Was werden die anderen sagen?", die Unsicherheit, die Levi mir eben noch nehmen konnte, kam wieder und das machte sich deutlich bemerkbar.

„Sie werden gar nichts sagen. Das haben sie alle bereits hinter sich. Was meinst du wie Connie reagiert hat, als er das erste Mal mit meinem Auto fahren sollte. Oder wie Sasha reagiert hat, als sie ihre Jacke ausgezogen hatte und alle ihre dünnen Arme angegafft haben. Tch, Idioten. Niemand verurteilt dich für irgendwas, Eren. Versuch das zu verankern.", damit öffnete er die Autotür. Der Kleinere stieg aus, ich tat es ihm gleich und gemeinsam gingen wir ins Zentrum.

Die Frau beim Empfang gab Levi die Karte für die Halle, die extra für uns gemietet wurde und drückte uns die Gurte in die Hand.

„Denk dran Eren, du bist nicht alleine mit deinen Ängsten, niemand wird dich verurteilen.", war das Letzte, was Levi zu mir sagte, ehe wir in die Halle traten und Marco und Ymir bereits an der Wand klettern sahen.

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Schreibe gerade den Epilog. Und um das Ganze hier ein wenig zu beschleunigen, werden ab sofort mindestens 2 Kapitel täglich kommen. Eines Mittags, wenn ich aufwache und eines Abends :)

Let me save your life [Ereri/Riren]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt