sixtytwo

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Bei Zac angekommen, öffnete mir überraschenderweise seine Mutter die Tür.
Normalerweise war Serena immer ziemlich künstlich und perfekt hergerichtet, aber jetzt stand sie mit ungemachten Haaren, tiefen Augenringen und einem Schlafanzug vor mir.
Sie sah mich überrascht an, so als hätte sie überhaupt nicht auf die Überwachungskamera geguckt, bevor sie die Tür geöffnet hatte. In meinem Magen bildete sich ein unangenehmer Knoten. Ich kannte Zac's ganze Familie seit meiner Kindheit, meine Mom hatte sich früher ab und zu mit Serena getroffen und einen Spa Day gemacht und normalerweise hatte ich mich nie wirklich näher mit Serena beschäftigt, aber gerade empfand ich tiefes Mitleid für sie.
,,Victoria? Was machst du denn hier?", fragte sie verwirrt.

Ich überlegte fieberhaft, ob ich ihr sagen sollte, dass Zac mir erzählt hatte was sein Vater für eine Scheiße abgezogen hatte, aber stattdessen antwortete ich ausweichend: ,,Zac hat mir erzählt, dass ihr im Moment eine schwere Zeit durchmacht, deswegen dachte ich, dass ich mal vorbeischaue."

Entkräftet fuhr sich Serena mit beiden Händen über das Gesicht und ließ mich dann herein.
,,Er hat dir alles erzählt, oder?"

Leicht nickte ich, denn jetzt war es zu spät um etwas zu leugnen.
,,Tut mir leid", sagte ich leise. Sie sah weg und schlang ihre Arme um sich, so als wäre ihr kalt. Oder so, als würde sie sich nach Fürsorge sehnen.
Ich überwand mich und umarmte sie vorsichtig. Serena war in den Vierzigern und sie als siebzehnjährige zu versuchen zu trösten kam mir ziemlich lächerlich vor, aber ich wusste echt nicht, was ich sonst tun sollte.
Sie atmete leise aus und dann umarmte sie mich tatsächlich ziemlich fest zurück. Einen Moment rührte ich mich nicht und ich musste zwei Mal hinhören, um das leise Schluchzen zu hören. Diese immer zu so distanzierte, künstliche Frau, von der ich jahrelang gedacht hatte, dass sie alles einen Scheiß interessierte, weinte doch tatsächlich in meinen Armen.
Und mein Herz brach beinahe, als ein leichtes Zittern ihren Körper ergriff.

Im unpassendsten Moment kam Zac auch in den Eingangsbereich und sah seine Mutter weinend in meinen Armen. Und aus eigener Erfahrung wusste ich, wie weh es tat, seine eigene Mutter weinen und leiden zu sehen.
Zac's Haare waren zur Abwechslung ohne Gel und er trug eine Jogginghose und ein Pullover. Ganz offensichtlich nahm die Trennung nicht nur seine Mutter, sondern auch ihn mit.

Serena löste sich von mir und wischte ihre Tränen weg, bevor sie sich ein Lächeln aufzwang.
,,Tut mir leid, das war unangebracht. Ich bin oben", sagte sie dann nur und bemühte sich wieder ihre Fassade aufzubauen.

Sie war bereits am Ansatz der Treppe, als ich sagte: ,,Wenn etwas ist, könnt ihr immer zu uns kommen. Schon klar, dass Callum ein wichtiger Geschäftspartner von Dad ist, aber wir werden euch immer helfen."

,,Das schätze ich sehr, Victoria. Du bist ein gutes Mädchen", erwiderte Serena ungewöhnlich sanft, bevor sie wirklich die Treppen nach oben ging, um vermutlich zu ihrem Schlafzimmer zu gehen.

Sobald sie außer Sicht- und Hörweite war, sah Zac mich an. ,,Was willst du hier, Vic?", fragte er mich ernst.

,,Du bist mein Freund. Ich bin hier, weil ich für dich da sein will."

Zac zog beide seine Brauen hoch, bevor er spöttisch schnaubte. ,,Ich brauche deine Hilfe nicht, du kannst gehen."

,,Ich bin extra vorbeigekommen", sagte ich und verzog das Gesicht.

,,Du wohnst nur einen Block weiter, das ist kein Umweg für dich. Außerdem habe ich dich nicht darum gebeten, also geh einfach", knurrte er.
Ich atmete tief ein und aus, um ihn nicht anzumeckern, bevor ich meine Schuhe und meine Jacke auszog und ihn abwartend ansah. Einen Moment lieferten wir uns ein Blickduell, bevor Zac aufgab und nach oben ging.
Stumm folgte ich ihm.

Ich war noch nie in Zac's Zimmer. Es war relativ schlicht und dunkel eingerichtet, aber dennoch stilvoll und nicht zu überladen. Ziemlich modern, so wie die ganze restliche Einrichtung in der Villa.
Zac rollte sich ohne ein weiteres Wort in seine dunkelgraue Bettdecke ein und schloss die Augen, so als würde es ihn kein Stückchen interessieren, dass ich überhaupt hier war. Und das glaubte ich ihm.
Ich wusste ganz genau, dass ich gewissermaßen eine Grenze überschritt, als ich mich neben ihn auf das Bett legte und an die Decke starrte.
Natürlich mit genügend Abstand.

Jetzt schenkte mir Zac endlich seine Aufmerksamkeit, denn er starrte mich völlig entgeistert an. Auch das ignorierte ich, starrte nur weiter an die Decke und sagte dann: ,,Jetzt sag mir endlich, was los ist. Nimmt dich das alles so sehr mit?"

,,Mein Dad und ich sind uns so ähnlich, dass wir praktisch ein und dieselbe Person sind. Normalerweise war das immer gut zu wissen, weil er immerhin ein ziemlich erfolgreicher Geschäftsmann ist. Aber mittlerweile widert es mich an, dass ich so bin wie er. Ich lüge und interessiere mich nicht dafür, was mit allen anderen ist. Und das aller schlimmste ist, dass es mir die meiste Zeit über ziemlich egal ist."
Die Tatsache, dass er so ehrlich war, überraschte mich mehr, als ich es ihm zeigte. ,,Und zum ersten Mal in meinem Leben weiß ich jetzt, wie beschissen es dich anfühlt, wenn jemand so zu einem selbst ist. Er hat unsere Familie zerstört, für eine Frau, die gerade mal drei Jahre älter ist als sein eigener Sohn. Meine Mom ist nicht mehr sie selbst und ich weiß nicht, was ich tun soll", gestand er leise.

Jetzt drehte ich mich um und sah ihn an. Er starrte in meine Augen und als ich den verletzlichen Ausdruck in seinen Augen sah, hätte ich ihn am liebsten umarmt. ,,Tut mir wirklich leid, Zac. Aber nur weil ihr euch so ähnlich seid, heißt das nicht, dass du das gleiche tust wie er. Der erste Schritt zur Besserung ist es, seine eigenen Fehler einzusehen. Danach kannst du dich bessern", versicherte ich ihm. ,,Sich selbst seine eigenen Fehler und Makel einzugestehen, tut weh. Vor allen Dingen, wenn man genau weiß wohin sie führen können. Aber du kannst das ändern. Damit du nie jemanden das antust, was dein Dad euch angetan hat."

Zac nickte leicht, bevor er näher an mich rückte. Fragend sah ich ihn an, immer darauf vorbereitet, den Rückzug anzutreten.
,,Ich weiß, dass Ethan es hasst, wenn ich dir zu nah komme. Aber ich brauche gerade jemandem, dem ich nah sein kann", gestand er mit rauen Unterton in den Stimme und ich sah ihm förmlich an, wie schwer es ihm fiel, das auszusprechen.
Leise atmete ich aus, bevor ich mich aufrichtete und meine Arme ausbreitete.
Zac folgte mir und schloss mich so fest in seine Arme, dass ich kurz das Gefühl hatte, nicht mehr atmen zu können. Dann entspannte ich mich und erwiderte seine Umarmung. Ich wusste, dass Zac gerade keinen Hintergedanken hatte und sich lediglich nach etwas körperlicher Zuneigung sehnte, also war es für's erste in Ordnung.
,,Danke", sagte er dann, als er sich nach einigen Minuten von mir löste. ,,Ich war ein Arschloch, als deine Mom gestorben ist. Obwohl ich genau wusste, wie beschissen es dir ging, habe ich kein bisschen Rücksicht genommen. Tut mir leid, Vic. Das hast du nicht verdient."

,,Schon in Ordnung", erwiderte ich, weil ich nicht wusste, was ich erwidern sollte. Diese Seite von Zac kannte ich nicht.
,,Komm schon, zieh dich um. Wir gehen was mit den anderen essen, Abwechslung wird dir gut tun."

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jul 01, 2020 ⏰

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the great VictoriaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt