False Confidence

ℱ𝒶𝓁𝓈ℯ 𝒞ℴ𝓃𝒻𝒾𝒹ℯ𝓃𝒸ℯ

Jungkook Pov.

Drei Stunden sind bereits vergangen, seitdem ich das Krankenhaus verlassen habe.
Mit einer gepackten Tasche stehe ich nun wieder am Eingang. Jedoch kann ich mich nicht recht dazu überwinden reinzugehen, denn der Kloß, welcher sich vorhin in meinem Hals gebildet hat, ist immer noch da.

Bevor ich aber die Flucht ergreifen kann, zwinge ich mich dazu einen Schritt nach vorn zu machen und somit den Bewegungsmelder der Tür auszulösen. Zeitgleich öffnet diese sich.
Einmal in Bewegung, wage ich es nicht noch einmal anzuhalten. Die Gänge ziehen schneller als sonst vorbei und meine Lunge fühlt sich an, als ob ich gesprintet wäre. Dabei bin ich so langsam gegangen, wie nur möglich.
Mit jedem Schritt werden meine Knie weicher und die Tasche über meiner Schulter schwerer.

Auf dem Weg hier her habe ich folgenden Entschluss gefasst:
Wenn er mir jetzt nicht sagt, was mit ihm los ist, wenn ich ihn frage, dann wars das. Und ich werde ihn fragen und zwar zu 100%!
Jetzt schon völlig fertig mit den Nerven, drücke ich die Türklinge herunter und betrete den Raum.
Wie erwartet liegt er in seinem Bett und hat die Augen geschlossen. Wahrscheinlich schläft er die Narkose noch etwas aus.

Leise stelle ich deshalb die Tasche in den Schrank, schnappe mir einen Stuhl und setze mich vorsichtig neben sein Bett.
Immer wieder fliegen meine Augen zu der Krankenakte. Die Versuchung ist wirklich groß, aber damit würde ich sein Vertrauen wahrscheinlich noch mehr brechen, als er meins bereits gebrochen hat.
Eins weiß ich jetzt schon. Egal, wie schlimm sein Geheimnis sein wird, verletzt bin ich nur deswegen, weil er es mir nicht anvertraut hat.
Und ehrlich gesagt, fühlt es sich auch so an, als ob er das nie wirklich vorgehabt hätte.

Taehyung weiß alles von mir. Wirklich alles. Und er hat nicht mal das Vertrauen zu mir, mir etwas zu sagen, wofür er absolut nichts kann. Niemand ist freiwillig krank.
Meine Augen wandern weiter durch das Zimmer. Überrascht bleiben sie aber beim nächsten Mal auf dem Nachttisch hängen, welcher neben seinem Bett steht.
Denn neben diesem typischen Telefon, welches man auf jedem solcher Tische findet, liegt eine Brille.

Hat er einfach nur eine Sehschwäche? Ist es das, was er mir nicht sagen will? Eine fucking Sehschwäche?!

Bevor ich mich aber in meinen Gedanken verliere, wird meine Aufmerksamkeit durch eine leichte Bewegung seinerseits von dieser Brille gerissen.
Mein Herz setzt für einen Moment aus, als ich direkt in seine tiefschwarzen Augen sehe.
Ein monotoner Ausdruck liegt auf seinem Gesicht. Da ist nichts, was meine Unsicherheit mindern könnte. Keine Freunde, keine Dankbarkeit dafür, dass ich seine Sachen geholt habe oder bei ihm am Bett sitze. Nicht mal die kleinste Regung gibt er von sich. Er schaut mich einfach nur an.

Nervös streiche ich meine nassen und kalten Hände an meiner Hose ab.
"Hey, ich bin wieder da", gebe ich überflüssiger Weise zur Kenntnis.
Noch immer keine Reaktion.
"Ich hab deine Sachen in den Schrank gestellt. Ich hoffe, dass alles da drin ist, falls du was brauchst."

"Danke", krächzt er und zwingt sich ein leichtes Lächeln auf sein Gesicht.
Wieder vergeht ein kurzer Moment, indem wir uns einfach nur anschweigen.

"Tae....ich..", versuche ich meine Frage zu formulieren. Doch er schneidet mir das Wort ab.
"Nein, nicht!", will er mich etwas lauter zum Schweigen bringen. Ich lasse mich davon aber nicht unterkriegen.

"Was verheimlichst.." setze ich erneut in einem ruhigen Ton an. Mein Herz schlägt so stark, dass es mir jeden Moment aus der Brust springen könnte.

"Jungkook, Nein!", ermahnt er mich ein weiteres Mal.
Dieses Mal hat er so viel Nachdruck in seine Stimme gelegt, dass ich Angst habe ihn mit jedem weiteren Wort zum ausrasten zu bringen.
Augenblicklich sammelt sich so viel Wut und Enttäuschung in mir an, dass sich meine Augen heute erneut mit Tränen füllen.

"Wieso nicht?!", wütend sehe ich ihn an. Mein Kinn zittert total und über meine Wangen laufen die ersten Tränen.

"WEIL ES NIEMANDEN WAS ANGEHT?!", brüllt er mich nun an.
"WARUM HÖRST DU NICHT AUF ZU FRAGEN, WENN ICH NEIN SAGE?!"

"NIEMANDEN?! BIN ICH ETWA NIEMAND FÜR DICH? SCHÖN ZU WISSEN!
ABER FÜRS FICKEN HATS GEREICHT ODER WAS?
AUßERDEM HAST DU MIR NICHT ZU SAGEN, WANN ICH AUFHÖREN SOLL ZU FRAGEN! WAS SOLL ICH MACHEN, WENN DU MIR KEINE GESCHEIHTE ANTWORT GIBST!", schreie ich mit der gleichen Intensität zurück.
Von dieser Aktion überrascht entgleisen ihm seine Gesichtszüge kurz in einen unerwarteten Ausdruck.
Liebend gern, würde ich jetzt einfach in mich zusammen brechen und anfangen zu heulen.
Jedoch treibt die Wut mich voran.
Zudem baut sich ein so unendlicher Schmerz in meiner Brust auf. Ich Idiot habe wirklich geglaubt, dass Taehyung mehr als nur einen 'Niemand' in mir sieht.

"IM GEGENSATZ ZU DIR HABE ICH WENIGSTENS DEN ANSTAND UND FRAGE DICH. ICH KÖNNTE GENAUSO GUT IN DEINE AKTE SCHAUEN! ABER DER HERR ERGREIFT SELBST DIESE CHANCE NICHT UND LÜGT MICH WEITER AN!
EHRLICH TAEHYUNG ICH HABE DIR ALLES VON MIR ANVERTRAUT UND DU REDEST MIT MIR NICHTMAL ÜBER DEINE KRANKHEIT?"

"ICH HAB MONOCHROMIE! OKAY? ICH BIN EINFACH FARBENBLIND! JETZT WEIßT DU MEIN GEHEIMNIS, WELCHES DU UNBEDINGT WISSEN WOLLTEST! UND? TU ICH DIR JETZT LEID?
ABER WARUM REDEN WIR ÜBERHAUPT NUR ÜBER MEINE PROBLEME, WENN DU DOCH AUCH WELCHE HAST?!

WARUM ZUM FICK, ARBEITEST DU IN DIESEM CLUB? IST DEIN SELBSTWERTGEFÜHL SO GERING, DASS DIR FREMDE LEUTE ERZÄHLEN MÜSSEN, WIE GEIL DU DOCH BIST?
GEBE ICH DIR NICHT GENUG DAS GEFÜHL VOLLKOMMEN PERFEKT ZU SEIN?
WARUM MACHST DU DICH SO KLEIN?
JEDER IN DER SCHULE NUTZT DICH AUS. WIRKLICH JEDER! UND ES TUT MIR LEID, DAS ZU SAGEN, ABER DEIN FLASCHES SELBSTBEWUSSTSEIN ÄNDERT NICHTS DARAN! DU BIST DERJENIGE, DER SICH SELBST ANLÜGT!"

Wütend funkeln mich seine Augen an, aus denen auch schon ein paar Tränen geflossen sind.
Seine Worte schießen wie Munition in meine Brust und lassen den Schmerz immer unerträglicher werden.
Jedes Wort bleibt mir im Hals stecken.
Ohne irgendwas zu erwidern, nehme ich mir meine Jacke, welche ich vorher über den Stuhl gehangen habe, stehe auf und verlasse den Raum. Hinter mir fliegt die Tür mit einem lauten Knall wieder zu.