Chapter 22

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Pov. Maudado

So lang ich Manu schon kannte und ich kannte ihn sicher schon eine halbe Ewigkeit, hatte ich mich nie geschätzter gefühlt als jetzt. Ich brauchte es grade.

Wir hatten uns letztendlich doch in eine Gasse gestellt, in der man eigentlich recht geschützt vor Kameras und ähnlichem war. Manu hatte zwar meine Bitte uns hier zu verstecken, mit hoch gezogener Augenbraue, angenommen ohne sie zu Hinterfragen, schien jedoch nervös zu sein. Er fummelte an seiner Jacke rum.

Ich hatte ihm die Blutflecken nicht erklärt und hatte es auch nicht vor. Trotzdem fühlte ich mich schuldig. Wenn ich nun doch erwischt werden würde, dann hätte ich auch Manu in das ganze rein geworfen und es reichte mir schon, dass Fabian mitmachte. Auch deshalb hatte ich ein schlechtes Gewissen. Immerhin hatte er sich nie bei mir beschwert und es einfach so hingenommen, hatte mir ohne Wiederwillen geholfen, während ich jedem den Tod brachte. Zwar nicht nicht Absicht, aber abstreiten konnte ich es auch nicht.

Und ich wollte und gleichzeitig wollte ich nicht über diese Fähigkeiten mit jemanden reden. Ja, es gab genug Leute denen ich es anvertrauen konnte. Und wenn ich es Manu erzählen würde, riskierte ich es, als schizophren abgestempelt zu werden.

Falls Manu es mir jedoch glauben würde, würde ich jedoch das letzte bisschen 'normal' in meinem Leben verlieren. Wieso sollte ich es also riskieren, wenn ich doch genauso gut mit Fabian reden konnte?

Vielleicht, weil ich mich seltsam schuldig fühlte ihn ohne sein Wissen in Gefahr zu bringen. Vielleicht auch weil der Schock noch so tief saß, dass ich einfach damit raus musste. Noch immer zitterte ich, dabei war es gar nicht so kalt.

"Ich bin es einfach Leid."rutschte es mir schließlich raus.
"Was bist du Leid?"fragte Manu und hörte nun auf an seinem Pulli rum zuknibbeln.

Unruhig balancierte ich mein Gewicht von einem Bein auf das andere.
"Alles. Dieser ganze Kapitalismus Zeug, die Angst und vor allem bin ich die Leute Leid, die denken, dass sie mehr Rechte haben als der Rest. Ich will nicht hin und her geschubst werden. Eigentlich will ich nicht mal mehr mein altes Leben."

"Altes Leben?"fragte Manu, doch ich redete schon weiter.

"Ich will nur ich sein können ohne Angst haben zu müssen."
Ich war schon sehr übberrascht, dass ich das alles halbwegs ohne zu stottern über meine Lippen bringen konnte.

Manu schien nachzudenken.
"Ist es nicht wichtig, dass jemand die Übersicht über alles hat?"fragte er mich.

Ein wenig entgeistert starrte ich zurück.
"Nein. Nein, jeder sollte einen Überblick haben und jeder sollte sagen können was einem nicht passt. Ich bin mir sicher, dass die das auf dem Tower nie verstehen werden."ich schüttelte niedergeschlagen den Kopf.

Ich fühlte mich so überfordert, als wäre ein riesiger Balastberg direkt vor mir. Ich muss über ihn klettern. Nur leider endet der Berg nicht. Er zieht sich bis ins endlose.

"Der Tower? Du meinst den GLP Tower?"fragte Manu.
Ich nickte.

"Die sind reich aufgewachsen und wissen nicht wie es ist hier zu sein. Ja, mein Leben könnte schlechter sein. Aber ich denke ich bin schon ziemlich weit unten angekommen. Meine Mutter hat mir mal gesagt, dass man ganz unten ankommen muss, um die wahren Probleme zu erkennen. Ich hielt es bloß für einen Spruch."jetzt blickte ich nach oben. Wir waren eingeengt in der Gasse. Doch da oben war alles frei. Nur der Weg bis in die Freiheit war unmöglich zu meistern.

"Wir hatten nie eine Wahl. Ich hab nie darüber nachgedacht eine Wahl haben zu können."
"Eine Wahl..."wiederholte Manu und blickte mich schief an.
Ich gähnte und fühlte mich plötzlich sehr müde.

"Du kannst gut Reden halten."meinte Manu schließlich, aber darum ging es mir nicht.

"Ich bin müde, Manu."murmelte ich und rieb mir nach dem gähnen kurz über die Augen, obwohl ich mit müde in diesem Satz was komplett anderes meinte.
"Das sehe ich."
"Ich bin müde vom Angst haben."

Manu runzelte die Stirn, als würde er kein einzieges Wort nachempfinden können.
Es machte mit Angst, dass er es nicht verstand. Es machte mir Angst, dass er noch nie darüber nachgedacht hatte. Vor wenigen Wochen hatte ich es ja auch nicht, aber Angst hatte ich trotzdem. Immer.

Ich mochte Manu. Ich mochte ihn wirklich, aber es schien, als wäre er schon längst ertrunken in dem Haufen an Regeln, Kontrollen und Beobachtungen, die über uns alle herrschten. Als wäre er damit komplett okay. Und das war gruselig.

Er lächelte mich an. Das Lächeln war nicht gruselig. Es war charmant und charismatisch.

"Du musst keine Angst haben. Dir wird nichts passieren. Dafür werde ich sorgen."meinte er selbstsicher.

Ich musste grinsen. Es war ja nett, dass er glaubte irgendwas für mich tun zu können, aber mehr als für mich da sein war leider nicht drin.
"Danke."sagte ich dennoch.

Eine Weile wurde dann geschwiegen. Ich konnte die letzten Stunden noch nicht so recht fassen und beührte automatisch die Stelle an der das Tattoo lag. Ich hatte herausgefunden wofür es stand. Doch das machte alles nicht viel weniger kompliziert. Ganz im Gegenteil. Die Probleme und Schuldgefühle wuchsen mir über den Kopf und ich hätte noch keine Ahnung wie ich all dem alleine Stand halten sollte.

Ich musste wohl einfach versuchen, alles über mir zu halten. Doch ich merkte, dass ich langsam, aber sicher, einknickte.

Wie viele Leben waren schon auf meinem Gewissen?

Und ich hatte kaum Zeit zum trauern. Klar, ein paar Wochen waren drin gewesen, aber so wenig Zeit heilte keine Verluste. Es half einem nicht einmal sich daran zu gewöhnen.

Sowas brauchte viele Monate, wenn nicht sogar Jahre. So viel Zeit hatte ich nicht. Ich hatte bloß die paar Wochen. Und schon stand ich wieder hier.

Hier zwischen dem Hausmauern, gefangen in der Stadt und in meinen Gedanken.
Gefangen mit der Angst, die mich wohl mittlerweile kontrollierte.
Gefangen mit dieser Fähigkeit, die ich nicht wollte.
Gefangen in diesem einbrechenden Haus.

Ich konnte nicht mehr der Stützpfeiler meines Daches sein. Es ging nicht. Ich konnte es nicht mehr halten. Und plötzlich brach das Haus in mir drin zusammen.

Ich konnte meinen Körper nicht mehr halten, lag plötzlich auf dem Boden und schluchzte bitter.
Ich war nicht mehr ich.
Ich war ein Schatten.

Ich hatte alles verloren und das was ich noch hatte konnte ich genauso schnell verlieren.

Nichts war mehr gut. Überhaupt nichts.

Ich zitterte und heulte Rotz und Tränen. So wiederlich es auch klang, aber heulen war definitiv nichts schönes. Und der Kloß, der sich in meinem Hals gebildet hatte tat so schmerzhaft weh. Ich fasste mir an die Brust. Ich fühlte mich elend.

Doch da war noch Manu und er legte mir eine Hand auf die Schulter und schüttelte mich.
"Komm setz dich auf. Du kannst jetzt hier keinen Nervenzusammenbruch bekommen. Komm, wie gehen an einen warmen Ort und dann solltest du erstmal schlafen."schlug er recht verzweifelt vor, doch in meinem Heulkrampf bekam ich es gar nicht mit.

Ich versank auf dem Boden in irgendeiner Gasse in Selbstmitleid. In diesem Moment fühlte sich jeder Atemzug wie eine Quälerei an. Es brannte in meiner Lunge wie Feuer.

Manu zog mich zu sich und hielt mich fest. Immer und immer wieder schluchzte ich und selbst, als es keine Träne mehr über meine Wangen schaffte war ich wohl ein bisschen weniger alleine, wie ich bisher angenommen hatte.

"Es kann nur besser werden."flüsterte Manu mir ins Ohr und ganz sachte nickte ich.

Mit dem Daumen strich Manu mir die letzte Träne weg und zwang mich aber nicht aufzustehen.
Wieder schluchzte ich.

Die Welt war plötzlich ein wenig grauer geworden.
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~1263Wörter~

Cyberpunk||FreedomsquadWo Geschichten leben. Entdecke jetzt