NEUNUNDVIERZIG

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NEUNUNDVIERZIG

Als ich aus dem Aufzug trete, befinde ich mich direkt in der Lobby, in der nur wenige Lichter an sind. Eine Frau mittleren Alters sitzt hinter der Rezeption und nickt mir zu, ansonsten ist die Eingangshalle leer. Ich setze mich auf eines der Sofas nahe der Drehtüren und stütze meinen Kopf in meine Hände. Die Blicke der Dame sind nicht gerade subtil, doch ich habe kein Interesse daran mich präsentabel zu machen, auch wenn ich aussehen muss, als wäre mir Gott weiß was passiert. Womit sie recht hat, fällt mein Unterbewusstsein dazwischen.

Ich weine nicht mehr. Die Schmerzen sind wie betäubt, beide, die meiner Verletzungen, genauso wie die Schmerzen in mir drin. Das Atmen fällt mir schwer, meine Lunge scheint zusammengeschrumpft zu sein. Ich fühle nichts.

"Should I call someone for you?", fragt die Frau und starrt mich einschüchternd an. Sie versucht nett zu sein, doch sie macht mir Angst. Genauso wie er.

"No, thanks."

"The police?"

"No."

"Did you clean the wound on your cheek?"

"I don't know."

Ich drehe mich von der Rezeption weg und schaue stattdessen aus den großen Fenstern auf die Straße. Ich bin froh, dass diese Frau begriffen hat, dass ich nicht mit ihr reden will.

Wie lang braucht Chace denn noch?

Ich bin so verdammt wütend auf Harry! Er hat mich mit dieser Blondine betrogen und gibt es nicht einmal zu, obwohl ich sie doch mit eigenen Augen gesehen habe! Was fällt ihm eigentlich ein?! Und dann schlägt er mich, bloß weil ich ihm einmal die Wahrheit gesagt habe. Hat ihm noch nie jemand die Meinung gegeigt?!

Ich frage mich, ob Harry es absichtlich getan hat. Mich betrügen meine ich.

Stimmt das, was er gesagt hat? Er behandelt alle Frauen so, küsst sie, flirtet mit ihnen? Ich bin so verwirrt, was wenn ich ihm unrecht getan habe, was wenn er wirklich nicht mehr weiß, wie man sich normal verhält? Vielleicht ist es auch einfach sein Naturell.

Ich fühle mich so verdammt schlecht, weil ich sein Geheimnis gegen ihn verwendet habe. Im Vertrauen hat er mir erzählt, dass er Angst hat, dass ihn der Ruhm verändert. Was ich damals noch nicht wusste, der Ruhm hat ihn bereits verändert.

Ich schüttle meinen Kopf. Solche Gedanken will ich erst gar nicht mit mir herumschleppen, denn egal, ob er sich verändert hat oder nicht, er kann mich nicht betrügen und anschließend schlagen! Ich könnte ihn dafür sogar anzeigen.

Was mir am meisten weh tut, ist nicht der körperliche Schmerz, sondern die Demütigung. So wenig von jemandem respektiert zu werden, dass man durch Gewalt gerichtet wird, ist erniedrigend. Ich hätte nie gedacht, dass mir so etwas passieren würde. Und das schlimmste ist, dass ich jetzt gleichzeitig Angst vor ihm habe und michzu ihm hingezogen fühle. Er bedeutet mir viel, er lässt mein Herz schneller schlagen und trotzdem weiß ich, dass er falsch gehandelt hat und ich ihn das selbst erkennen lassen muss.

Gott, Chace beeil dich! Je länger ich warten muss, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich zu Harry zurück gehe und ihm verzeihe. Obwohl ich überhaupt nicht dazu bereit bin. Es ist gerade mal ein paar Stunden her, dass seine Ringe meine Haut durchdrungen haben. Unwillkürlich berühre ich mit meiner Hand die Wunde auf meiner Wange und meine Tränen beginnen wieder zu fließen. Ich vertraue Menschen einfach zu leichtfertig.

"Oh my god!"

Chaces Stimme weckt mich aus meinem Trancezustand auf und schwerfällig hebe ich meinen Kopf aus meinen Händen. Vor mir steht mein neu gewonnener, gut aussehender und schwuler Freund in grauer Jogginghose, Sweatshirt und mit verwuschelten blonden Haaren. Sein Blick ist müde und besorgt und ich merke, wie er mich von unten nach oben mustert. Zuerst meine Beine, dann wandern seine Augen höher und starren auf meine zitternden Hände, bis er seinen Kopf weiter hebt und entsetzt mein Gesicht studiert.

Misgivings [Harry Styles]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt