Teil 49

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Als Franz hörte, dass Florian nach seiner Harmonika fragte, stand er auf und bedeutete seiner Enkelin sitzen zu bleiben. Er würde sich schon darum kümmern. Natürlich wusste er, wo sich das Musikzimmer der beiden befand und ging hinauf ins Dachgeschoss, in den großen hellen Raum, in dem so viele Instrumente standen, dass man meinen konnte, eine ganze Band würde dort regelmäßig proben. Allerdings waren es alles nur Florians Instrumente. Sein Flügel, das Keyboard, sein Schlagzeug. Gott hatte Flo sie damit alle zu Hause genervt. Die Gitarren und natürlich seine steirischen Harmonikas. Wozu sein Sohn all die Verschiedenen brauchte, würde er wohl nie verstehen, nahm aber die Grüne, von der er wusste, dass Florian diese besonders liebte, mit hinunter.

Als er mit dem Instrument zurück ins Wohnzimmer kam, lief ihm schon Halie entgegen, mit den Worten: „Papa möchte ausprobieren, ob er darauf noch spielen kann" und nahm es ihm auch schon aus der Hand.

Schnell lief sie damit zu ihrem Vater und stellte es ihm auf die Beine, so wie er es ihr zeigte.

Florian schlüpfte umständlich in die Schultergurte und hob sie an. Gott war das Gerät schwer, aber er wollte das es funktionierte, also hielt er die Last aus.

Vorsichtig zog er den Balg auseinander, was wiederum einiges an Kraft von ihm abverlangte.

Er schloss die Augen und versuchte sich an die einzelnen Tonalen und Akkorde zu erinnern. Wie automatisiert begannen seinen Finger über die Knöpfe zu fliegen und bildeten die für ihn, wunderschöne Klänge. Florian merkte mittlerweile gar nicht mehr, wie viel Kraft er aufwenden musste, um die aufeinander folgenden Töne erklingen zu lassen.

Langsam öffnete er wieder seine Augen und lächelte.

„Es – geht – noch." Vorsichtig ließ er das Instrument wieder auf seine Beine sinken. Stolz blitzte in seinen Augen auf, als er Halies bewundernden Blick sah.

In diesem Augenblick betrat Helene den Raum.

„Wir sind fertig. Wollt ihr mit zu uns..." Weiter sprach sie nicht. Mit offenem Mund starrte sie auf Florians Schoß.

„Hast du gerade selbst gespielt? Ich dachte, ihr habt euch die Musik übers Handy angehört?", fragt sie erstaunt.

Immer noch stolz darauf, was er sich gerade selbst bewiesen hatte, nickte er.

„Oh Flo. Das ist ja wunderbar. Aber ist das nicht noch ein bisschen zu schwer für dich?"

„Ein – we-nig. Aber – wenn – ich – übe – wird – es – si-cher – bald – wie-der – bes-ser – gehn."

„Wollt ihr nicht zu uns rauskommen? Wir wären dann so weit fertig", kam es vom Türbogen, um den das liebliche Gesicht von Helga lugte.

„Oh ja. Oder Papa? Du kommst doch auch mit raus?"

Florian nickte energisch, was Helene ein Lächeln ins Gesicht zauberte.

„Na dann kommt mal mit", sagte sie, woraufhin Halie sich den Stuhl ihres Vaters schnappte und ihn hinter den anderen her, hinausschob.

Wunderschön hatten sie es dort hergerichtet. Im Zentrum der Terrasse stand ein großer Tisch, mit sechs Stühlen und vier Heizstrahlern, mit Sicherheitsabstand, drum herum. An der einen Stirnseite fand nun der Entertainer seinen Platz, rechts von ihm saß Helene und seiner Tochter saß auf der anderen Seite. Mats und Ciara gesellten sich zu ihrer Freundin, wobei Franz und Helga sich auf der gegenüberliegenden Seite, neben ihre Schwiegertochter setzten.

Die Kohle im Grill glühte schon vor sich hin und war stellenweise bereits weiß, was zeigte, dass es Zeit war das Grillgut aufzulegen. Durch die Salate, Dips und vielen Soßen, welche bereitstanden, fiel niemandem wirklich auf, dass noch etwas fehlte. Erst als Rosa anfing zu grillen, bemerkte Helene, dass sie etwas ganz Entscheidendes vergessen zu haben schien und schaute schuldbewusst zu ihrer Haushälterin hinüber, was Franz allerdings nicht unbemerkt blieb. Schnell stand er auf und löste Rosa von ihrer Funktion als Grillmeisterin ab. Diese war ihm sehr dankbar dafür, da sie auch so noch genügend zu tun hatte. Miriam hatte sich wie immer, wenn ihr Patient mit seiner Familie zusammen war, etwas abseits gesetzt, um für den Notfall in der Nähe zu sein und las in einem Buch. Auf die Frage, ob sie nicht auch am BBQ teilnehmen wollte, antwortete sie mit einem freundlichen, aber bestimmten Nein. Was Helene ohne Widerworte so hinnahm, da ihr bekannt war, dass das Pflegepersonal sich so wenig wie möglich, an die zu pflegenden Personen binden sollte und dies definitiv eine Überschreitung dieser Grenze darstellen würde. Immerhin handelte es sich hierbei um ein Familientreffen und keine tägliche Routineaufgabe. Für den Fall, dass Florian mit dem Essen dann doch nicht so gut klarkam, wie erwartet, hatte sie, in Absprache mit der Hausherrin, im Kühlschrank der Küche noch eine Spritze für ihn deponiert.

Natürlich hofften alle, dass diese nicht notwendig war. War es doch vor allem Florians Wunsch gewesen, dass alles so normal wie nur möglich ablaufen sollte.

Die Teenager tuschelten untereinander, als Helga fragte, wem denn eigentlich die tolle Jacke, mit Helenes Konterfei auf dem Rücken, gehörte. Mats konnte es nicht verhindern, dass er im Gesicht rot anlief und Halie sah ganz erstaunt zu ihrer Oma. Denn damit hatte sie nun absolut nicht gerechnet.

„Dir gehört sie also?" Fragte die Ältere den Jungen. „Das muss dir doch nicht peinlich sein. Ich finde sie gut gelungen. Wo bekommt man denn so etwas zu kaufen?"

„Gar nicht", antwortete er. „Mein Onkel hat sie mir zu meinem 17. Geburtstag geschenkt. Er hat eine Autolackierwerkstatt und hatte mir eine Lederjacke schenken wollen. Als er dann von meinen Eltern erfuhr, dass ich Helene so sehr mag, kam ihm die Idee, sie mir darauf zu verewigen. Die gibt's nirgends noch einmal."

„Oh, ein Unikat also?" Helga war begeistert. „Macht dein Onkel so etwas öfter?"

„Na ja, von Helene jetzt nicht, aber er ist ein riesen ACDC Fan und hat sich alle seine Jacken mit denen darauf selber gemacht."

Helene wurde hellhörig. Ihr kam direkt eine Idee, die sie bei Gelegenheit mal mit ihrem Manager besprechen müsste. Denn auch ihr war diese wirklich schöne Jacke an ihrer Garderobe schon aufgefallen, wollte aber nur nichts dazu sagen, besonders weil sie Halies Einstellung zu diesem Thema kannte. Ihr war klar, dass es ihrer Tochter sicher nicht am Allerwertesten vorbeigegangen war, falls sie diese Verzierung nicht schon vorher kannte.

Und so war es ja auch gewesen. Halie versuchte eher unauffällig mit dem Promistatus ihrer Mutter umzugehen. Wenn Helene längere Zeit keinerlei Termine hatte, oder sich eine Auszeit nahm, dann färbte sie sich auch nicht die Haare, wobei dann natürlich ihr dunklen Haare mehr zum Vorschein kamen. Was ihr auch ermöglichte, sich unauffällig in der Öffentlichkeit zu bewegen. Solange die blonde Schönheit auch nicht sprach, fielen sie dann tatsächlich auch nirgends auf und sie konnte auf Basecap und Sonnenbrille verzichten. Aber wehe dem.

Also übernahm dann immer eher Halie das Sprechen bei Bestellungen, Anfragen in Geschäften, et cetera.

„Dein Onkel besitzt wirklich ein großes Talent. Hat er sich schon mal überlegt, sein Geschäft diesbezüglich auszuweiten?" Fragte die Blondine eher beiläufig. Mats schüttelte nur mit dem Kopf, denn davon war ihm wirklich nichts bekannt. „Das hatte er bisher eigentlich immer nur für sich gemacht, bis auf meine Jacke eben."

Damit war das Thema dann auch schon wieder vom Tisch.

Verlorene ZeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt