Kapitel 11

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"Schon wieder Schlaghosen? Warum trägst du nicht was anderes? Gestern hattest du doch noch ein Kleid an." Alex steht im Türrahmen und betrachtet mich kritisch.

Ich antworte ohne meinen Blick vom Spiegel abzuwenden. "Ich trage immer das, womit ich mich am wohlsten fühle. Natürlich achte ich dabei auch darauf, dass es halbwegs dem Anlass entspricht. Und jetzt gerade will ich Schlaghosen tragen."

Alex schüttelt den Kopf. "Ich finde, du könntest ruhig öfter mal Röcke tragen. Das ist viel fraulicher, femininer. Willst du denn nicht fraulich und feminin sein?" fragt er mich jetzt und zwinkert mir zu.
Ich drehe mich zu ihm um und antworte. "Nö, will ich nicht. Aus einem einfachen Grund: Frauen sind nicht nur Puppen, die kochen, putzen und sich hübsch anziehen! Wir sind klug, haben Talent und können reden! Ich meine, was meinen die Leute wohl wenn sie jemanden als 'fraulich' bezeichnen? Genau das! Dass die Frau den Klischees einer braven, hübschen Frau entspricht, die niemandem widerspricht und immer nur lächelt. Also nein. Nicht mit mir! Ich bin von Natur aus eine Frau, da muss ich mich doch nicht zusätzlich als Frau verkleiden!" sage ich und meine jedes Wort.

Alex nickt. Aber ganz überzeugt wirkt er nicht. Nun gut, ich kann ihm meine Meinung wohl nicht aufzwingen. Solange er mir seine auch nicht aufzwingt, sollte das in Ordnung sein. Außerdem müssen wir jetzt los.

Es dauert nicht lange, da sind wir auch schon bei Grace angekommen. Sie öffnet die Tür und begrüßt mich freudig. "Da seid ihr ja! Kommt rein, kommt rein! Ihr gehört zu den ersten, die kommen. Bisher sind sonst nur Maggie und Benny da." sagt sie gut gelaunt. Es wundert mich kein Bisschen dass Benny schon da ist. Jeder weiß, dass der in Grace verknallt ist. Das heißt, jeder außer Grace natürlich. Sie hat es immernoch nicht gemerkt, obwohl er dauernd versucht, es anzudeuten.

Jedenfalls gehen mein Mate und ich ins Haus und begrüßen Maggie und Benny. Als ich Benny umarmen will, knurrt Alex jedoch und hält mich zurück. Er legt einen Arm um meine Taille und funkelt Benny an. Ich packe sein Kinn, drehe sein Gesicht zu mir und töte ihn mit meinem Blick. Oder versuche es zumindest. Mit mäßigem Erfolg. Er kann immernoch stehen, sieht aber jetzt deutlich weniger bedrohlich aus.

Ich hoffe schwer, dass die Party gut verlaufen wird.

Und eigentlich tut sie das auch. Es gibt genug zu Essen und zu Trinken, wir reden, tanzen, die Musik ist gut und sobald wirklich alle da sind, singen wir gemeinsam für Grace 'Happy Birthday'.

Aber irgendwann treffe ich auf jemanden, den zu Treffen ich sowohl gehofft als auch gefürchtet habe. Will. Bei seinem Anblick muss ich schlucken. Mein Herz hämmert fröhlich vor sich hin und droht damit, mir aus der Brust zu hüpfen. Gleichzeitig kriege ich Angst, Alex könnte wiederkommen und ihm wehtun. Aber ich werde auf gar keinen Fall Will für immer vermeiden, nur weil mein Mate eifersüchtig ist! Ich rede, mit wem ich will! Und seit Alex mich gefunden hat, haben Will und ich nicht mehr richtig miteinander geredet. Also muss es sein.

"Gerda! Du siehst toll aus!" sagt Will. Er ist sich nicht sicher, was er sagen soll, das sehe ich ihm an. Was soll ich sagen?! Ich weiß es auch nicht.
"Danke, Will." sage ich. Gerade setze ich an, um ihn zu fragen, wie es ihm geht, da fällt mir auf, wie lächerlich derartiger Smalltalk ist. Ich kenne ihn in- und auswendig, ich weiß, wie es ihm geht!

Also sage ich stattdessen: "Wollen wir tanzen?"
Will hebt überrascht die Augenbrauen, nickt dann aber, gibt mir seine Hand und führt mich auf die Tanzfläche. Mit Will zu tanzen ist eine meiner Lieblingstaten! Ich sehe ihn an und vergesse alles andere für den Moment.

Nach ein paar Momenten des Träumens schneiden wir endlich den Riesenelefanten im Raum an.

Mit einem leichten Seufzer fragt Will: "Ist dein Mate gut zu dir?"
Ich überlege eine Sekunde und nicke dann. "Ja, Alex ist okay. Was ist mit dir? Gibt es irgendwelche Neuigkeiten?"
"Ja. Ich habe beschlossen, dass ich von hier wegziehen werde. Mein Vater gibt zwar sein Bestes, aber es ist eigentlich nicht richtig ihm das zuzumuten. Erst verlässt ihn Mom, dann wird er krank und nebenbei muss er arbeiten und sich um mich kümmern."
Ich nicke verstehend. Aber innerlich fühle ich mich, als hätte mir jemand die Faust in den Magen gerammt. Will wird weggehen!
"Wohin gehst du denn? Und wann?" frage ich, möglichst gefasst.

"Ich werde zu meinen Großeltern ziehen; die leben zusammen mit meiner Tante in einer kleinen Stadt weit weg von hier. Und was das 'wann' betrifft: in vier Wochen fängt hier die Schule wieder an. Ich werde noch bis zu den Weihnachtsferien hierbleiben und Weihnachten und Neujahr mit meinem Dad feiern. Am 2. Januar fahre ich los."

Ich nehme mir ein paar Sekunden Zeit um die Neuigkeit zu verdauen. Ich verstehe, dass es vermutlich das Beste wäre, für uns beide. Aber gleichzeitig will ich nicht, dass er weggeht. Großer Mist!

Mit seinen sanften grünen Augen sieht Will mich an. Seine Frage klingt flüsternd, als wäre er sich nicht sicher, welche Antwort er gerne hätte. Er fragt: "Bist du glücklich, Gerda?"

Ich antworte nicht.

Schweigend sehe ich ihn an. Er erwidert meinen Blick, genauso wortlos. Ich kann nicht beschreiben, was ich fühle. Und ich weiß auch nicht, ob ich mich gerade als glücklich oder unglücklich beschreiben würde. Aber das muss ich auch nicht. Will versteht mich auch so. Und wenn er das nicht täte, würde er mir sagen, dass ich nicht darüber reden muss, er mir aber zuhören wird, wenn ich bald dann doch dazu bereit bin.

Völlig versunken im Augenblick merken wir gar nicht, dass wir nicht mehr allein sind.

"HÄNDE WEG VON MEINER FREUNDIN!!!" brüllt jemand durch den Raum.

Ich seufze genervt. Alex! Na toll!

Mein Mate packt Will am Arm, zerrt ihn von mir weg und schubst ihn quer durch das Zimmer. Die anderen Gäste weichen erschrocken zurück. Ich gehe zu Alex und versuche, ihn davon abzuhalten, Will zu schlagen. Glücklicherweise bemerkt er mich.

Ich sehe ihm fest in die Augen und sage: "Alexander, hör mir jetzt gut zu! Du und ich, wir werden jetzt diese Fete verlassen, uns bei Grace für deinen Wutausbruch entschuldigen und nach Hause gehen! Dabei wirst du niemanden hier verletzen! Wir werden über diese Angelegenheit reden, wenn wir Zuhause sind. Und wenn du dich weigerst, werde ich morgen wieder zu meinen Eltern ziehen!"

Mein Mate sieht mich immernoch wütend an, aber letztendlich folgt er mir.

Ich bin froh, Schlimmeres vermieden zu haben. Aber ich kann mir nicht vorstellen, mich für den Rest meines Lebens um Alex' Temperament kümmern zu müssen. Dafür müssen wir wirklich eine Lösung finden!

Die Mate des Kriegers Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt