Kapitel 34

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2001

Mercedes ist jetzt fünf Jahre alt. Sie ist ein süßes Mädchen, blondgelockt und munter, mit einer kleinen Stupsnase und zwei hübschen, grünblauen Augen.

Meine Tochter Trish hat ihren Abschluss im MIT gemacht. Sie möchte dort Professorin werden. Mächtig schlau, mein Mädchen. Auch, wenn ich finde, sie könnte öfter zu Besuch kommen. Nun ja, zumindest sehe ich sie immernoch mindestens zweimal pro Jahr: an Weihnachten und an Ostern.

Nun ja. Jedenfalls bin ich gerade mit meiner entzückenden Enkelin in unserer örtlichen Bankfiliale. Kein besonders spannender Ort für eine Fünfjährige, ich weiß, aber wenn man das Kleingeld haben will, um sein Eis zu bezahlen, muss so ein Umweg eben mal sein. Momentan stehen wir noch in der Schlange zu einem der Schalter.

Plötzlich ertönt eine laute Stimme vom Eingang.

"Stehenzubleiben! Keiner bewegt sich! Das ist ein Überfall!"

Ich halte meine kleine Enkelin fest an der Hand und flüstere ihr zu: "Merry, mein Schatz. Ich fürchte, wir beide werden einen Moment lang still sein müssen. Der Mann da drüben ist nämlich verängstigt. Da sollten wir ihn nicht noch extra ärgern. Okay?"

"Okay." Mercedes nickt, aber ich sehe, dass sie trocken schluckt.

Wir bleiben bei den restlichen Kunden während der Dieb alles Bargeld, das in der Filiale vorhanden ist, in seine Tasche packt.

"Beeilt euch gefälligst!" der Dieb brüllt den Bankier an. Er zeigt seine Fangzähne und faucht.

In dem Moment habe ich ein De-ja-vu. Diesem folgt eine Erkenntnis. Und plötzlich ist meine Angst verflogen.

"Andy!"

Der Dieb dreht seinen Kopf zu mir. Er trägt zwar eine Maske, aber er schafft es trotzdem, verblüfft auszusehen. Wie, verstehe ich auch nicht.

"Mrs Young?" Na also, er erkennt mich ja doch.

Ich lächele ihn breit an. "Schön dich wiederzusehen. Mann, bist du großgeworden!"

Er scheint für einen Moment leicht überfordert zu sein mit meiner Anwesenheit. Schließlich entscheidet er sich, nicht zu sagen, einfach das Geld zu nehmen und abzuhauen.

"Fahr vorsichtig!" rufe ich ihn noch hinterher. Von meiner neuen Vertrautheit angesteckt winkt Mercedes ihn schüchtern nach. Ich drücke ihr einen schnellen Kuss auf die Wange und wende mich dann an den verstört wirkenden Bankier. "An Ihrer Stelle würde ich die Polizei rufen. Sag ihnen, er wird vermutlich versuchen, die Stadt über die Südstraße zu verlassen. Sein voller Name ist Andrew Barkis."

***

Eine Stunde später sitze ich mit Merry im Park und wir essen Eiskrem. Unser Park ist über die letzten paar Jahre noch schöner geworden. Früher war dies hier einfach nur ein besonders hübscher Ort zum Picknicken oder Spazierengehen. Jetzt gibt es dazu noch ein kleines Eiscafe n der Mitte des Parks und ein Klettergerüst direkt daneben.

"Weißt du, mein Schatz, ich finde, was wir heute erlebt haben, kann uns sehr viel beibringen. Ich möchte, dass du weißt, dass man, wenn jemand mit einer Pistole auf dich zielt, sehr vorsichtig sein muss. So was kann sehr gefährlich werden. Aber letztendlich gilt: Verbrecher sind auch nur Menschen."

Sie nickt. "Ist Andy ein böser Mensch?"

"Nein, mein Schatz, Andy ist nicht böse. Er ist verzweifelt. Weißt du, was das ist?"

Merry schüttelt den Kopf, wobei ihre honigblonden Locken um ihre Schultern fliegen.

"Wenn jemand verzweifelt ist, dann heißt das, er weiß nicht mehr, was er tun soll, weil alles, was er schon veesucht hat, nicht funktioniert. Das kann passieren, wenn jemand sehr viel Pech gehabt hat." erkläre ich.

Mercedes nickt ein bisschen, leckt an ihrer Eiskugel und dreht sich dann wieder zu mir. "Heißt das, wenn man Pech hat, darf man böse Sachen machen?"

"Nein, mein Schatz, das darf man nicht. Andy hat einen Fehler gemacht heute. Er hätte es nicht machen dürfen, aber er hat es trotzdem getan. Weil er nicht weiterwusste. Es war ein Fehler. Es wäre besser für ihn gewesen, wenn er es nicht getan hätte. Er wird es bereuen." versichere ich meiner Enkelin.

Eine rothaarige Frau in ihren 40ern kommt auf uns zu und stellt sich vor uns hin. "Ich habe gehört, eine gewisse Kindergärtnerin hat heute einen Bankraub verhindert."

Ich verdrehe die Augen und schnippe einen unsichtbaren Staubkrümel von meinem schwarz-weißen Rock. "Du immer mit deinen Gerüchten. Die haben voll übertrieben. Ich habe den Überfall nicht verhindert. Ich hatte den Polizisten lediglich einen kleinen Tipp gegeben."

"Dennoch haben sie ihn dank dir geschnappt." bemerkt Frances. Sie setzt sich neben Merry, umarmt sie kurz einarming und gibt ihr einen Kuss auf den Kopf.

Ich verschlinge den Rest meiner Eistüte, dezent undamenhaft, und wende dann meine volle Aufmerksamkeit meiner besten Freundin zu. "Sie haben ihn geschnappt? Wusste ich noch gar nicht."

"Dann weißt du es jetzt."

"Toll!" Merry ist begeistert.

Ich streiche ihr übers Haar. "Das ist es in der Tat. Jetzt kommt er ins Gefängnis. Dort word er lernen, keine bösen Sachen mehr zu machen. Und wenn er das gelernt hat, wird er wieder freikommen."

"Ich sehe, du bist sehr dabei, deine Enkelin zu erziehen." bemerkt Frances.

Ich nicke. "Aber genug von mir. Wie geht es Tony und Sean?"

"Gut. Tony und ich genießen unsere Zeit als Paar mit sturmfreier Bude. Und unser Junge ist begeistert von Florida. Das Camp ist echt gut für ihn. Er ist glücklich da und die Sache mit dem Verwandeln wird immer leichter für ihn. Du weißt ja, damit hatte er früher Probleme." antwortet sie.

Ich nicke und lächele ein bisschen. "Freut mich zu hören."

"Und wie geht es Will?"

Mein Lächeln wird breiter. "Gut. Wir planen gerade einen Urlaub in Italien. Das wird irre, ich sag's dir!"

Die Mate des Kriegers Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt