Kapitel 20

467 34 3
                                    


"Gerda? Wach auf, wir sind da!" Will rüttelt sanft an meiner Schulter um mich aufzuwecken. Ich öffne die Augen. Es ist nicht mehr hell, sondern irgendwie dämmerich. Was mich nicht weiter wundert.

Nach den ersten paar Stunden des Fahrens sind Will und ich endlich ins Gespräch gekommen. Wir haben über die letzten paar Monate geredet, mich ihn, uns, Alex, unser neues Zuhause, einfach alles. Wir haben miteinander im Zug gegessen und sind zwischendurch an zwei Haltestellen umgestiegen. Dabei haben wir uns einiges ansehen können. South Carolina ist zum Beispiel sehr schön, wie ich jetzt weiß.

Irgendwann während der letzten Fahrt bin ich jedenfalls weggedöst, weswegen Will mich wecken musste. Und nun sind wir da.

Wir steigen aus und werden am Bahnsteig von einer Frau Ende vierzig begrüßt. Sie heißt Robin Taylor und ist Wills Tante.
"Und du bist Gerda?" sie begrüßt mich mit Handdruck. Sie wirkt höflich, wenn auch etwas streng. Will hat mir schon von ihr erzählt. Sie kümmert sich hauptsächlich um seine Großmutter. Besagte Großmutter ist nämlich mittlerweile blind und kan  auch nicht mehr richtig laufen, wegen ihrer Probleme mit den Knien. Früher hatte das sein Großvater getan, aber dieser wird mit der Zeit leider nicht fitter. Zwar kann er noch ganz gut auf sich selbst aufpassen, aber gleichzeitig auch noch auf jemand anders aufzupassen ist dann doch eine Überforderung.

Als wir bei Wills Großeltern ankommen, ist es schon fast Zeit fürs Abendessen. Wills Großeltern, Diana und Carl, sind sehr nett. Diana bittet mich zu ihr zu kommen, damit sie mit ihren Fingerspitzen mein Gesicht abtasten kann. Auf diese Weise kann sie eine Idee davon bekommen, wie ich aussehe. Ich lasse sie gewähren. Schließlich will ich nicht unhöflich sein. Außerdem ist Diana eine sehr liebe alte Frau. Und ich finde es total nett von ihr und Carl, dass sie mich einfach so aufgenommen haben.

Robin zeigt mir mein Zimmer. Es ist ein sehr kleines Zimmer, aber dafür gemütlich. Ich räume die wenigen Sachen, die ich mitgenommen habe, in die Kommode. Danach gehe ich zu Will, ins Zimmer nebenan. Wir setzen uns gemeinsam auf sein Bett.

"Tja, da sind wir nun." sagt er. Ich stupse ihn mit meinem Ellenbogen neckend in die Seite und sage: "Stimmt, hier sind wir nun! Jetzt haben wir erstmal ein paar Tage zum eingewöhnen und dann beginnt die Schule wieder. Weißt du schon, wie die Schule hier so ist?"

Er schüttelt den Kopf. "Dieser Ort hier ist für mich genauso neu wie für dich. Aber wir werden ihn gemeinsam erkunden. Wenn du das willst, meine ich." während er das sagt, sieht er mich ernat und ehrlich an. Ich spüre, wie ich innerlich schmelze und lächele ihn an.

"Ja, das werden wir." antworte ich liebevoll und nehme seine Hand.

Er erwidert mein Lächeln. Wir bleiben so sitzen, im Augenblick gefangen, bis Robin uns zum Abendessen ruft.

Nach dem Essen - bei dem ich die Taylors besser kennenlernen konnte - tue ich das, was ich bersprochen hatte zu tun. Etwas, vor dem mir ernsthaft gräult und mich gleichzeitig neugierig macht.
Ich rufe meine Mutter an.

Sie nimmt nach dem ersten Klingeln schon ab. Nun ja, sie wusste ja, dass ich anrufen würde.

"Hallo Mom. Will und ich sind gut angekommen. Die Leute hier sind sehr nett." fange ich an.

"Das freut mich, mein Schatz! Bei uns ist auch so weit alles in Ordnung." antwortet sie.

"Schön. Und, äh... hast du vielleicht etwas von... Alex gehört?" frage ich vorsichtig.

"Das könnte man so sagen." meint sie.

"Okay? Und, wie hat er die Neuigkeiten aufgenommen?" frage ich weiter.

"Nun ja, er-",  an dieser Stelle wird sie unterbrochen. Ein kurzes Rauschen und Klacken kommt aus dem Hörer, dann ertönt eine mir wohlbekannte Stimme.

"Gerda?!? Gerda, verdammt!! Wo bist du?? Wie konntest du mir das antun?? Bitte sag mir wo du bist und ich komme dich zurückholen!! Du kannst doch nicht einfach weggehen!!" Alex klingt verzeifelt und völlig aus dem Häuschen.

Ich seufze. Das hätte ich mir eigentlich denken können.

Mit ruhiger Stimme sage ich: "Ich habe dir alles, was es zu sagen gibt, entweder schon gesagt oder in meinem Brief geschrieben. Les ihn doch nochmal und versuch zu verstehen. Ich weiß, das wolltest du nicht. Aber es muss sein. Nein, ich werde dir nicht sagen, wo ich bin. Und ich bitte dich nochmal, mich nicht zu suchen. Mit uns beiden ist es vorbei."

"Nein!!!" schreit Alex an der anderen Seite des Hörers. "Das meinst du nicht so, das kannst du nicht so meinen!"

Ich warte noch ein paar Sekunden, bis er still wird. Er beginnt wohl langsam, es zu begreifen.

Mit leiser, aber fester Stimme sage ich: "Es tut mir leid!" und lege auf.

Damit ist es jetzt dann wohl endgültig. Ich werde von jetzt an hier leben.

Die Mate des Kriegers Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt