Kapitel 16

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Vor zehn Wochen hat die Schule wieder angefangen. Es ist mittlerweile Mitte Oktober. Heute werde ich nach der Schule zu meinen Eltern. Das tue ich manchmal. Natürlich sage ich dann immer vorher Alex Bescheid, sonst kriegt der wieder einen Anfall wenn ich nicht direkt nach der Schule zurück nach Hause komme. Ihr wisst ja. Alex.

Aber jetzt habe ich erstmal Französisch. Allerdings mache ich noch einen Umweg bevor ich zum Klassenraum gehe, weil ich noch mit jemandem reden will. Dieser jemand kommt gerade aus einem anderen Klassenzimmer. Er sieht mich. Ich ziehe ihn schnell in eine leere Nische, damit wir in Ruhe reden können.

"Gerda, was tust du da? Ist alles in Ordnung?" fragt Will. Ich drücke seine Hand.
"Ja und nein. Also, eigentlich ist alles gut. Aber dennoch gibt es Probleme." antworte ich.
"Also alles normal." fasst er zusammen und grinst mich frech an. Ich kichere. "Stimmt."

Dann erde ich ernst. "Es gibt da etwas, das ich mit dir besprechen möchte. Es wird vermutlich überraschend kommen. Und ich möchte dich bitten, mir die Adresse von jemandem zu geben." sage ich ernst.
Er sieht mir in die Augen und nickt. "Keine Sorge, Gerda, ich bin für dich da. Erzähl mir was los ist und dann sehen wir, wie wir das Beste aus der Situation machen können." versichert er mir. Ich lächle ein bisschen. Will ist einfühlsam und zuverlässig, das weiß ich genau, denn so ist er schon immer gewesen. Also habe ich keine Bedenken, ihm von meinem Entschluss zu erzählen. Er hört mir zu. Als ich geendet habe, ist er tatsächlich überrascht. Aber er versteht es und ist einverstanden. Mit dem Versprechen, mir morgen die gewünschte Adresse zu geben, machen wir uns auf in unsere nächsten Unterrichtsstunden.

Die Französischstunde ist zum Glück schnell vorbei. Ich packe meine Sachen wieder ein und mache mich auf den Weg zu meinem Elternhaus. Dort angekommen ziehe ich wie gewohnt meine Schuhe aus und lege meine Tasche beiseite. Dabei vernehme ich Stimmen aus dem Esszimmer. Mom und noch jemand. Sie diskutierten offenbar und das nicht zu knapp. Klingt heftig.

Ich gehe ins Esszimmer und sehe, was hier los ist: meine Mom sitzt am Esstisch. Und ihr gegenüber sitzt Dad. Die beiden halten in ihrer Unterhaltung inne als sie mich sehen. Mom räuspert sich und setzt dann an, etwas zu sagen. Ich warte, bis sie die richtigen Worte findet. Schließlich sagt sie: "Gerda, mein Schatz, ich weiß, du wunderst dich bestimmt, warum dein Vater und ich so laut sind-" beginnt sie.
"Nein, eigentlich nicht. Ihr beide redet miteinander, das ist eigentlich auch schon Erklärung genug." merke ich an. Mom seufzt, leicht mitgenommen; Dad grinst. Ich setze mich ans Kopfende des Tisches, sodass ich meine beiden Eltern gut im Blick habe und sehe sie erwartungsvoll an.
"Also, was ist hier los?" frage ich.

Die beiden tauschen einen Blick aus. "Willst du es ihr sagen oder soll ich?" fragt Dad. Mom rutscht nervös auf ihrem Platz hin und her. "Also... die Sache ist die... Gerda, wir beide haben dich sehr lieb... und... wie soll ich sagen... aber wir haben in letzter  Zeit nicht viel über uns nachgedacht..." stottert sie.
Dad gibt ein genervtes Schnauben von sich. "Deine Mutter will die Scheidung." sagt er schlicht. Mom zuckt zusammen. Ich hebe nur die Augenbrauen.

"Es tut mir wirklich leid, Fred. Ich wollte nicht, dass es dazu kommt." sagt Mom hilflos. Ich lege eine Hand auf ihren Arm und drücke ihn leicht. Dabei sehe ich ihr in die Augen und versuche, ihr mit meinem Blick zu sagen, dass sie sich nicht schämen muss und ich sie unterstützen werde. Sie sieht mich dankbar an.

Dad lässt uns einen Moment Zeit, bevor er auf Moms Worte eingeht. "Das Ganze ist deine Idee, Catherine. Wenn du dich scheiden lassen willst, dann tu es. Ich werde dir dabei nicht im Wege stehen." sagt er ernst. Mom nickt. "Das mit uns beiden funktioniert einfach nicht, Fred. Wir haben jung geheiratet, ohne lange darüber nachgedacht zu haben. Wir haben eine Tochter, die uns verbunden hat nach den ersten Jahren unserer Ehe. Aber jetzt, da Gerda nicht mehr hier wohnt, sind plötzlich nur noch wir beide da. Und wir verstehen uns nicht." sagt sie.

Dad wird etwas weicher. Er sagt: "Wir haben uns nie richtig verstanden, Catherine. Wahrscheinlich ist die Scheidung das Beste." er zögert kurz. Dann steht er auf und sieht auf mich und Mom herunter.
"Meine Praxis öffnet wieder in 15 Minuten. Ich muss wieder zur Arbeit. Catherine, räume bitte deine Sachen aus meinem Haus. Dafür kannst du dir gerne 14 Tage Zeit nehmen. Da du Freunde und auch einen Bruder hast, nehme ich an, du weißt einen Ort, an dem du unterkommen kannst fürs Erste. Setze bitte auch einen Termin mit dem Anwalt auf, da besprechen wir dann die Details. Und Gerda, es war nett dich zu sehen."

Damit verlässt er das Haus. Tja, das ist mein Dad. Sehr praktisch veranlagt und verliert keine Zeit. Meine Mom ist so ziemlich das genaue Gegenteil davon. Es überrascht mich nicht im Geringsten, dass die beiden sich scheiden lassen wollen. Sie gehen sich seit jeher nur aus dem Weg. Ich frage mich eher, wie sie es geschafft haben, vorher noch mich zu zeugen. Aber das werde ich sie jetzt ganz sicher nicht fragen. Nein, jetzt helfe ich erstmal meiner Mom. Sie kann Unterstützung gut gebrauchen, da bin ich mir sicher. Schließlich bin ich diejenige, die sie am besten kennt.

Die Mate des Kriegers Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt