Kapitel 5: Die Erinnerungen an eine längst vergessene Zeit, Teil 2

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Der einzige Gedanke, den ich in diesem Augenblick klar vor Augen hatte war:

                                      Faith wird sterben.

Wieder in der Gegenwart angekommen bemerke ich, wie mir unaufhaltsam die Tränen über die Wangen laufen, wobei ich mir doch eigentlich geschworen habe nach Faiths Tod nie wieder zu weinen. Doch der Gedanke daran sie nie wieder zu sehen, nie wieder mitten in der Nacht von ihr aufgeweckt zu werden und gefragt zu werden, ob sie nicht bei mir im Bett schlafen könne, machte mich fertig. Aber nicht nur das vermisste ich, sondern auch all die Kleinigkeiten, für die ich ihr nie richtig gedankt hatte:

Ihr Lächeln, dass auf jeden ansteckend wirkt, ihre Hilfsbereitschaft, ihre Treue, die sie mir jedes Mal immer von neuem bewies, wenn sie in den Mittagspausen bei mir saß, obwohl ich an ihrem sehnsüchtigen Blick sah, dass sie bei ihrem Freunden sitzen wollte und das alles nur für mich tat, ihre Umarmungen, die mich immer wieder beruhigten, wenn ich Albträume bekam oder ihre unzerstörbare Begeisterung für Filmabende nur für uns zwei. Sie war immer ein starkes Mädchen, ja das Stärkste von allen, denn nicht einmal von den Chemos oder den neuen Tabletten, die so stark an ihrem Leben zerrten, ließ sie sich unterkriegen. Nicht einmal sah ich sie wegen ihrer Krankheit weinen. Das einzige Mal, dass sie einen Gefühlausbruch erlitt, war für mich die schlimmste Szene, die ich je gesehen habe:

Ich habe gerade das Schulgelände verlassen und mache mich auf den Weg zu Faith ins Krankenhaus. Ich möchte bei ihr sein, solange noch die Zeit dazu bleibt, denn ich spühre, dass sie nicht gesund wird und ich merke, wie sehr sie darunter leidet uns so angeschlagen zu sehen. Mum, Dad und ich haben gestern erfahren, dass auch das neue Medikament nicht den gewünschten Effekt bei Faith erzielt.

Am Krankenhaus angekommen begrüße ich kurz die Rezeptionistin Melanie, die ich in den vergangenen 3 Monaten ziemlich gut kennengelernt habe. Anschließend begeben ich mich in den 3. Stock des St. Barber Hospitals um nach Faith zu sehen. Doch was mich dort erwartet war nicht mehr die starke Heldin, die dem Kampf die letzten Monate gegen den Krebs mutig entgegentrat. Es war ein gebrochenes, besiegtes Mädchen, dass immer weiter zerfressen wird und jeden Tag beim Aufwachen erneut unendliche Qualen erleiden muss, jeden Tag aufs neue durchhalten und gegen etwas ankämpfen soll, das bereits zu einem Teil von ihr geworden ist. Zu diesem Zeitpunkt fing sie ihre 3 Chemotherapie an und diesmal verlor sie  dabei ihr langes Haar. Ich öffnete die Tür und betrat ihr Krankenzimmer. Faith saß mit hängenden Schultern auf ihr Bett und schluchzt leise, keiner von uns sprach ein Wort. Irgendwann war es dann Faith, die die unheimliche, grausame Stille durchbrach.

„Tut mir Leid. Ich habe mich gleich wieder zusammengerissen. Weißt du es ist nur echt öde ohne Haare herumzulaufen. Jetzt sehen wir nicht mehr gleich aus“

Sie bemüht sich um ein Lächeln, zwingt es sich beinahe ins Gesicht. Ich wusste, dass sie log, denn sie weinte, weil auch sie merkte das dieser Kampf zu Ende ging. Aber um sie nicht zu beunruhigen schlucke ich den Kloß in meiner Kehle herunter, beiße die Zähne fest aufeinander und setzte mich auf den Stuhl neben ihrem Bett.

„Sei doch froh, jetzt können auch unsere Lehrer uns auseinander halten, wenn du wieder zurückkommst. Und so schlecht sieht es gar nicht aus. Wenn du wieder draußen bist, kannst du dir eine modische Kurzhaarfrisur wachsen lassen. Das würde bestimmt super aussehen.“

„Warscheinlich hast du recht, ich meine, wer steht nicht auf individuelle Charakterzüge, es war sowieso Zeit für einen Imagewechsel.“, bemerkte sie schließlich mit einem gespielt gleichgültigen Schulterzucken. Wir unterhielten uns noch stundenlang über die Schule, neue Serien und die aktuellste Gerüchte aus der Schule. Irgendwann merkte ich dann, das Faith immer öfter blinzeln muss und beschließe sie alleine zu lassen, damit sie sich etwas ausruhen kann.

„Naja ich muss noch einige Schularbeiten zu morgen erledigen. Oh Mann, wie ich Mr Buckner hasse“. Ich erhebe mich vom Stuhl, drücke Faith leicht und behutsam an mich, nehme meine Schultasche und verlasse den Raum. An diesem Abend hörte ich meine Eltern zum ersten Mal über Faiths Krankheit streiten:

„Joy, du musst loslassen! Wir können ihr nur noch beistehen. Keine Medikamente schlagen bei ihr an und auch andere Behandlungen zeigen keine Wirkung. Lass uns ihren Wunsch erfüllen und die Therapie abbrechen.“ Die sanfte, tiefe Stimme meines Dads ist im Wohnzimmer zu hören. Sie ist voller Trauer und Schmerz.

„Niemals! Adam, ich lasse mein Kind nicht sterben. Wie kannst du so etwas sagen? Was passiert, wenn es doch einen Weg gibt und wir nur abwarten müssen? Wenn wir die Therapie abbrechen, bringen wir sie um!“ Meine Mum brüllt ihn an.

„Wir bringen sie nicht um, der Krebs tut das! Doch wir haben die Möglichkeit ihre letzten Wochen auf diesem Planeten an unserer Seite so schön wie möglich zu gestalten. Die Therapien zerren an ihrem Leben, Joy. Wir können ihr nur noch helfen in dem wir sie einstellen, wie Faith uns gebeten hat“

Warte mal, Faith hat WAS?

„Ach hör doch auf mit diesen Entschuldigungen! Als wenn ein 17 jähriges Mädchen weiß, was am besten für sie ist! Wenn du der Meinung bist, dass du sie lieber sterben lässt, ist das deine Sache, ich versuche aber sie zu beschützen. Die Therapien werden fortgesetzt. Ende der Diskussion.“

Ich war sprachlos. Faith hat aufgegeben. Eine Kälte setzt sich in meinen Knochen ab und das letzte was ich sehe sind die entgeisterten Blicke meines Dads bevor ich mich ins nichts begebe. Eine Dunkelheit umgibt mich und hüllt mich in Gefühlslosigkeit ein. Dort bin ich sicher. Dort kann mich nichts verletzen.

Ich hoffe es hat euch bis jetzt gefallen und ihr hattet Spaß daran, etwas über Hopes Leben zu erfahren. Ich werde noch ein oder zwei Teile über ihr soziales Umfeld und ihre Vergangenheit schreiben, bevor es dann richtig losgeht:) DarkVision99

Die Retterin der Elfen (Buch 1)- Completed!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt