Träume aus Platin

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In der Schicht fiel Henry noch mehrmals in Ohnmacht. Vor der Tür warteten Ilus und Zigz und beobachteten das Geschehen immer wieder. Dabei fragte Zigz: "Mann, was ist denn los mit dem Typen?". "Das werden wir gleich herausfinden", beobachtete Ilus ebenfalls. "Hast du etwa vor, ihn sofort zu entführen?", fragte Zigz schon aufgeregt. Verständnislos sah Ilus ihn an: "Junge, nein. Guck auf seinen Chef. Er wird ihn gleich raus schmeißen". Beide sahen, wie der Chef Henry wirklich anschrie und einmal sogar schlug. Daraufhin verließ er das Café und Zigz griff ihn sich direkt: "Wie schön, dass du es früher schaffen konntest". Doch Henry sah nur deprimiert auf den Boden. Mit einer Kopfbewegung deutete Ilus an, dass sie jetzt gehen würden. Ganz brav hörte Zigz auf ihn und zog Henry direkt mit sich.

Während der Unschuldige auf der Rückbank saß, fuhr Ilus und beobachtete ihn dabei im Rückspiegel. Zigz sprach seine Gedanken aus: "Wer mit einem lauteren Ton und ein paar Schlägen nicht zurecht kommt, wird untergehen. Das ist die traurige Unterwelt". Dennoch widersprach Ilus: "Er lebt aber an der Oberfläche. Da hat man mehr Rücksicht zu nehmen. Diese angebliche Existenz eines Café Besitzers scheint nicht mit rechten Dingen zu spielen. Eventuell sollte man ihn genauer untersuchen". "Denkst du etwa, der hat Dreck mit Drogen am Stecken?", weitete Zigz seine Augen. "Schau dir sein eingefallenes Gesicht an. Trauen würde ich ihm auf keinen Fall", erklärte er mit starrem Blick auf die Straße. Zigz lehnte sich im Sitz zurück und säuselte: "Wem traust du denn schon?".

Henry wollte weg rennen, als sie an einem anderen Café hielten. Das letzte, was er jetzt noch wollte, war etwas zu seiner Arbeit bezogen zu sehen. Die Frontsitzer stiegen aus und wieder wurde Henry von Zigz geschleppt. Sobald sie den Laden betraten, zog Ilus seine Pistole und schoss einmal in die Decke, während er aufgebracht rief: "Mitya!". An einer Bar im Café saß der blonde Mann von letzter Nacht halb bei Bewusstsein. Eine Frau mit rosanen Haaren und einem Kleinkind auf den Armen kam aus einem Nebenraum und fragte unbeeindruckt: "Das ist schon das fünfte Einschussloch von dir in diesem Monat. Wie oft muss ich dich fragen, das zu lassen? Meine Gäste denken am Ende noch, wir würden ständig überfallen werden". Zigz wurde rot und lächelte zu ihr rüber: "Hey Kiki~". Sie ignorierte ihn eiskalt und wand sich an Ilus: "Wen hast du da mitgebracht?". 

Henry schreckte auf, als Ilus aus seiner Hosentasche einen Platinring zog. Weil Henry so durcheinander war, traute er sich, sich aufzuregen: "Hey! Gib das zurück!". Stattdessen warf Ilus den Ring auf die Theke: "Untersuch den bitte". Interessiert nahm sie ihn entgegen: "Oh, der sieht deinem Ring ja ziemlich ähnlich". Erschrocken sah Henry an die Hand von Ilus. Das war auch ein Platinring. Stotternd erklärte Henry: "Der Ring hat meinem besten Freund gehört, a- aber-". Auf einmal drückte die Frau das Kind in seine Hände: "Bitte lass meinen Sohn nicht fallen". Noch erschrockener schaute Henry in das Gesicht vom Kleinkind mit hellbraunen lockigen Haaren. Entgeistert sah er sich nach dem anderen Mann um, doch er stand nur draußen und rauchte eine Zigarette. Leise murmelte er für sich: "Wo bin ich hier gelandet?". Wohl fühlte sich Ilus angesprochen, er unterhielt sich mit ihm: "Anfangs wirkte das wie ein Zufall. Gerne schnappen sich diese Durchgeknallten unschuldige Passanten von der Straße und entführen sie, um Drogen an ihnen auszutesten. Doch jetzt wirkt dein Schmuckstück sehr interessant. Bester Freund hast du gesagt? Wie hieß er?". "Dylan Miller, er ist Ende letzten Monats verstorben... Da hat er mir ein paar seiner Sachen überlassen...", wurde Henry düsterer.

Nachdenklich beobachtete Ilus stumm die Frau bei ihrem Tun. Doch lange brauchte sie nicht: "Vergiss es, Ilus. Der Ring sieht zwar ähnlich aus, doch gehört er nicht in den Besitz der Familie Poljakow. Versuch dein Glück weiter". Knurrend sah Ilus zum Blonden rüber: "Mitya, weshalb machst du uns immer Ärger?". Stark angetrunken nuschelte er: "Ssssteine sind bunt...". Genervt aufstöhnend schnipste Ilus den Ring über seine Schulter zurück und Henry hatte Schwierigkeiten, das Kind nicht fallen zu lassen und gleichzeitig den Ring zu fangen. Also hampelte er umher, bis das Kind seine Rassel auf Henrys Kopf schlug. Die Frau kam um die Theke herum, hob den Ring für ihn auf und ihren Sohn zurück: "Danke fürs Halten. Ilus, ich schätze, dass er für dich nicht mehr interessant ist. Für mich aber". "Schau ihn dir an, er ist höchstens fünfzehn", widersprach er. "A- achtzehn...", wand Henry knallrot ein. Wohl hatte Zigz ein übermenschliches Gespür, denn er stürmte zurück ins Café: "Kiki, breche mir mein Herz doch nicht so auffällig!". Vollkommen verwirrt merkte Henry an: "Meine Katze heißt Kiki...". Die Frau lachte: "Ein schöner Name, nicht wahr? Mitya hat ihn mir erteilt". "Seid ihr verwandt?", fragte Henry perplex. "Die beiden Trottel sind meine Cousins, aber wir fühlen uns wie Geschwister", lächelte sie. Zigz weinte fast: "Was habe ich dir getan?!". "Ignorier ihn", winkte Kiki ab.

Ilus stand auf und kam zur Runde hinzu: "Knirps. Du willst jetzt sicherlich wissen, was wir hier tun, nicht wahr?". "Bitte?", versuchte er quietschig höflich zu sein. "Wir sind nichts Weiteres als Straßenkinder. Kiki hat noch etwas gerissen, aber selbst sie ist allein erziehende Mutter, da der Vater Angst bekam und schreiend weg lief", zog er die Schultern hoch. Kiki hob ihre Stimme leicht: "Nachdem du aufgekreuzt bist und einfach in meine Decke geschossen hast!". Darauf nicht eingehend erklärte Ilus weiter: "Unser Geld verdienen wir durch das Herstellen von falschen Pässen ecetera. Das letzte Nacht war nur eine Rettungsaktion meines alkoholsüchtigen Bruders. Weshalb du rein geraten bist, habe ich dir schon erklärt. Du solltest nachts nicht alleine in unbewohnten Straßen herum lungern". "Irgendwie muss ich als Student an extra Taschengeld kommen. Eine Beerdigung für den besten Freund alleine aufzustellen kostet eine menge Geld...", blies er Trübsal.

Mehr oder weniger ernst gemeint schlug er vor: "Wechsel den Arbeitgeber. Kiki könnte eventuell einen Kellner hier gut gebrauchen". Sofort war Kiki hellhörig: "Junge hübsche Arbeitskräfte sind immer willkommen". Aufgedreht hüpfte Zigz auf und ab: "Ich kann auch Teller tragen! Und sie putzen! Ich putze sogar dein ganzes-!". Aus dem Nichts packte Ilus sich Zigz und ging: "Kannst du für fünf Minuten aufhören, dich kläglich an meiner Cousine zu vergreifen?". So verschwanden sie und fuhren weg. Irritiert sah Henry sich um. Offen bot Kiki ihm an: "Gerne kannst du hier anfangen. Oftmals sind Kunden hier, während sich jemand um Jurij kümmern müsste". Sie hob ihr Kind etwas hoch. Lächelnd beugte sich Henry etwas vor: "Oh, du kleiner Fratz heißt also Jurij". Wieder bekam er mit der Rassel eins über gezogen. Kiki entschuldigte sich: "Tut mir leid, für alle Umstände in den letzten Stunden. Die Jungs in unserer Familie sind alle sehr eigen und stürmisch". Henry kratzte sich am Hinterkopf: "Habe ich schon gemerkt...". "Ich setze dann den Arbeitsvertrag auf. Also, ich nehme mal an, dass du schnellstmöglich wechseln willst", sie verschwand im Nebenraum. Heftig nickte Henry: "Oh ja!".

Kurz wurde es still, dann fragte Henry: "Weshalb lächelt der Weißhaarige eigentlich nie?". "Ilus, sein Name ist Ilus Poljakow. Das ist erst seit Neustem so. Sicherlich hast du schon mitbekommen, dass wir nach einem besonderen Ring suchen. In unserer Familie werden immer zwei Söhnen jeweils ein Platinring verschenkt. Es ist ein wertvolles Erbstück und Mitya, sein älterer Bruder an der Theke da, hat seinen vor zwei Monaten verloren. Ilus nimmt das Wort Familie sehr ernst und es stresst ihn, dass Mitya nicht mehr tut, als sich Alkohol in den Rachen zu kippen", erzählte sie zur Aufklärung, "Hoffen wir nun, dass Ilus nicht noch ein weiteres Loch in meine Decke schießt, weil ich Fremden etwas über unsere Familie erzählt habe". Dezent nervös lachte Henry: "Oder mich erschießt, weil ich zu viel weiß". "Gut möglich", kam als einziges zurück. Da hörte er kurzzeitig auf zu atmen.

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