Leben wie die anderen

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Total überfordert stolperte Ilus mit sämtlichen Tellern und Gläsern in die Küche. Dabei fiel ihm fast alles runter und wäre folgend zerschellt. Gerade so schaffte er es rechtzeitig, alles unversehrt in die Spüle zu schmeißen. Er war heidenfroh, als die Tür des Cafés geschlossen wurde und Kiki rief: "So, der Laden ist zu". Ermüdet sank Ilus auf seine Knie: "Na Gott sei Dank". Doch es waren nur wenige Sekunden, bis Kiki ihn wieder bemängelte: "Und hast du schon kalt vorgespült? Warm hast du ganz sicher noch nicht gespült, denn die Türme an Geschirr sind unheimlich dreckig". "Oh Fuck, das auch noch?", schnaufte er schwer. "Mein treuer Koch zumindest nicht. Übrig bleibst du. Von daher - Gute Nacht, wir sehen uns morgen, wenn alles sauber und aufgeräumt ist. Vergiss nicht, alle Tische, die Bar und die Küche noch zu putzen", winkte sie. "Was?", verzweifelt sah er sich das Café an.

Die Tür zum oberen Stockwerk, wo Kiki wohnte, fiel zu und Ilus rutschte völlig fertig auf den Fliesenboden. Er nickte für ein paar Minuten ein, bis sein Handy plötzlich klingelte. Aus der Bahn geworfen fragte er: "Öh, ja? Hallo?". Henrys zittrige Stimme ertönte: "Hier hat jemand angefordert, dass ich für ihn die Polizei loswerde. Alle erwarten von mir, dass ich dagegen etwas tu. Was soll ich machen?". Triumphierend grinste Ilus: "Na, ist doch nicht so einfach, oder?". "Bitte komm einfach helfen. Ich habe Angst, dass hier gleich jemand aufkreuzt und mich abknallt", bettelte er. In einem Sprung stand Ilus auf und fragte: "Wo soll denn unser Problemkind gerade sein?". "Bakerstreet oder so", riet er. "In Ordnung, du brauchst dich darum nicht zu kümmern", er legte auf und lief los, um mit seinem Motorrad weg zu fahren. Die Pistole hatte er schon gezogen.

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Es war 1 im Morgen und Henry nickte ständig weg. Irgendwann hörte er Ilus: "So Teddybär, ab nach Hause mit dir". Aber keiner reagierte. Alle schliefen kreuz und quer in der Halle verteilt, so auch Henry selbst. Seufzend hielt sich Ilus die Hand an die Stirn: "Oh Mann, du hast mir hier eine ganz schöne Unordnung hinterlassen. Dafür darfst du morgen bei deiner Arbeit aufräumen". Er hob Henry hoch und trug ihn in einen Wagen. Nachdem er den Motor startete und los fuhr, murmelte er: "Wir sind wohl in unseren eigenen Welten geboren wurden...". 

Am nächsten Tag saßen Ilus, Shark und Zigz schon wieder im Auto auf dem Weg zu Henry. Sie hatten auf der einen Seite vergessen, ihm seine Katze zurück zu geben. Auf der anderen Seite... Ilus fragte nochmal nach: "Gab es einen bestimmten Grund, weshalb er geweint hat?". Zigz zog die Schultern hoch: "Keine Ahnung. Er hat plötzlich so leer geschaut und dann einfach geheult". Shark erwähnte zurückdenkend: "Ich denke in Musikkiste hat Musik gespielt". "Kann mir gut vorstellen, dass der anfängt zu weinen, sobald im Song die Textzeile Ich lebe auftaucht", meinte Ilus, während er nach seinem Handy kramte. Danach sendete er eine Sprachnachricht: "Koi, stell bitte eine Liste von allen Songs auf, die gestern Nacht während der Anwesenheit vom Teddybär gespielt haben". Zigz stieß ihm leicht in die Seite: "Haha, was interessiert dich denn so ein weicher Wollhaufen?". "Tu nicht so, als sei es das erste Mal, wo wir so etwas tun. Ich informiere mich gerne über alle Leute, das weißt du. Je mehr man kennt, desto geringer ist die Gefahr, von einem Schuss getroffen zu werden", erklärte er monoton, dann sank seine Stimme, "Man kann aber auch alle Menschen kennen und trotzdem wird die Gefahr, in den Rücken gestochen zu werden, nicht geringer...". "Das sind wir Menschen", nickte Zigz, während er sich eine Zigarette ansteckte.

An seiner Wohnungstür angekommen, öffnete ihnen auch nach zehn Mal Klopfen keiner den Eintritt. Also knackte Ilus das Schloss ohne es zu beschädigen und trat ein: "Ey, Teddybär. Bist du hier?". Zigz lief schon in die Küche: "Bestimmt kam er gestern nicht dazu, noch sein Abendessen zu essen. Wäre doch zu schade, wenn man es weg schmeißen müsste". Shark ließ die Katze runter und vermutete: "Er ist Student, vielleicht ist er gerade im... Studenten- tum- haus- Studenten... Stud...". "Universität", sprach Ilus, "Ja, gut möglich. Wach sein wird er nach letzter Nacht aber nicht. Er war weg". Ilus war leicht beeindruckt zu sehen, wie dennoch alles wieder aufgeräumt war. Nur fiel ihm auf, wie Henrys Katze zielstrebig auf den Mülleimer im Schlafzimmer zu trapste und eine kleine Plastiktüte mit weißem Puder heraus kramte, um sie Shark zu bringen. Er kraulte ihren Kopf: "Gute Kitty". Ilus kratzte sich am Kinn: "Wie auch immer das in den Mülleimer kam... Wir haben diesen Lansky näher zu beobachten, irgendetwas stimmt hier nicht".

Erst mal untersuchte Ilus den Mülleimer näher. Als er darunter schaute, fielen aus dem Mülleimer ein paar Schnipsel. Er fügte sie zusammen und obwohl sie großteils verbrannt waren, konnte er mit seinem scharfen Augen zwei Personen erkennen. Unter anderem Henry selbst. Zu sich selbst nuschelte er: "Das war dann wohl sein bester Freund...". Daneben sah er im Mülleimer einen nicht geöffneten Brief. Auch diesen holte er heraus. Auf dem Umschlag stand "Es tut mir leid". Während Ilus ihn gegen das Licht hielt, um Text erkennen zu können, murmelte er: "Schöne Handschrift...". Zigz kam mit einem Stück Kuchen zu ihm rüber: "Etwas gefunden?". "Durchaus", nickte er, "Wenn ich mich nicht vertue, dann ist das ein Abschiedsbrief". "Vom Teddybären geschrieben? Vielleicht konnte er den Tod seines Kumpels nicht verkraften", riet er. "Bezweifel ich...", murmelte Ilus und steckte den Brief ein. Shark fragte: "Willst du ihn nicht öffnen?". "Ist immer noch seins, ich frage ihn vorher", schüttelte er mit dem Kopf. Zigz zog eine Augenbraue hoch: "Manchmal bist du zu nett, um ein Gang-Leiter zu sein". "Leg du erst mal dein kindisches Essverhalten ab und dann reden wir", konterte Ilus.

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Müde trat Henry aus der Universität und schreckte auf, als er eine Autohupe hörte. Ängstlich fragte er Ilus: "Woher weißt du, wo ich studiere?". "Steig ein", sagte er nur. Während er zu ihm ging, wurde ihm nach gepfiffen und hinterher gerufen: "Warst du deshalb heute so müde, Henry?". Ilus war schon verwundert zu sehen, wie Henry plötzlich seine Faust ballte und so aussah, als sei er bereit zum Töten gewesen. Daher zog er seine Pistole und zielte auf die Schreihälse, welche schnell an Gesichtsfarbe verloren. Auch drückte Ilus ab und flüsterte: "Bang", doch tat sich nichts. Er fuhr los und zog die Trommel raus. So sah Henry, dass nur eine Patrone fehlte und der Rest vollgeladen war. "Die Chance stand gerade mal eins zu fünf, dass das Ding nicht geschossen hätte?!", schreckte Henry auf. "Ich kenne meine Chancen", gab er kalt von sich und schaltete das Radio an.

Henry beruhigte sich, war ja nichts Neues. Er hatte sich wohl an das verrückte Leben zu gewöhnen. Also fragte er andere Dinge nach: "Weshalb holst du mich ab? Geht es wieder zurück ins Versteck? Oh bitte nicht zurück ins Versteck". "Wir fahren einfach etwas. Wie du siehst, habe ich den Rest weg gelassen. Gerade scheint eine Ruhepause zu sein. Die meisten Aufträge geschehen nachts", erklärte er und wechselte zum nächsten Lied. "Und du willst jetzt wirklich einfach nur mit mir herum fahren? Ohne Hintergrund?", war Henry skeptisch. Knapp antwortete Ilus: "Ja" und machte wieder ein neues Lied an. "Oh, äh... Wenn du dich nicht entscheiden kannst, soll ich ein Lied raus suchen? Mir ist es sowieso lieber, wenn du beide Hände am Lenkrad hast", schlug er unsicher vor. "Als könnte ich nicht-", Ilus stockte und wechselte seinen Satz, "Klar, such du raus". 

Etwas unbehagen über die Situation und Stille drückte Henry immer wieder auf die "Weiter"-Taste. Nur stockte er einmal und er tat nichts mehr. Ilus wusste, er hatte ins Schwarze getroffen, als Henrys Augen wässrig wurden. Schnell drückte Henry weiter, doch Ilus drückte zurück: "Nein, ich mag das Lied", dabei hatte er keine Ahnung von Musik und dieses Lied hatte er erst Recht noch nie gehört. Es war langsam, etwas bedrückte Stimmung. Zwischen der Melodie hörte Ilus dann Geschluchze von seiner Rechten. Henry schniefte: "Können wir bitte etwas Anderes hören?". Nun gab Ilus nach und jetzt war es ihm auch egal, was da lief. Er prägte sich den Titel ein und fuhr Henry nur noch zu seiner Wohnung. Bevor er ausstieg, fragte Ilus: "Würde es dich stören, wenn ich deine Post öffnen würde?". "Du bist ein Gangster. Du machst doch, was du möchtest", zuckte Henry deprimiert mit den Schultern. Er stieg aus und Ilus fuhr weiter: "Das stimmt natürlich...".

Zurück in seinem Quartier setzte er sich direkt zu seinem besten Hacker: "Hey Koi, danke für die Songs". "Klar, kein Ding. Aber weshalb bist du auf einmal in Musik interessiert?", lachte er fröhlich. "Bin ich nicht, viele andere Menschen sind es. Würdest du bitte für mich nach diesem Jungen suchen?", er gab ihm einen Notizzettel mit wenigen Daten drauf. Koi schaute drauf und lachte: "Du kannst sogar direkt hier bleiben, den habe ich in einer Minute gefunden. Was genau willst du haben?". "Social Media", stellte er die Anforderung. "Hach, du könntest es mir nicht einfacher machen", schmunzelte er und schon poppten die ersten Ergebnisse auf, "Dylan Miller, neunzehn Jahre alt. Ein brauner Lockenkopf mit Zahnspange, Sommersprossen und grünen Augen. Liege ich nicht richtig?". "Das scheint so zu stimmen aus den verbrannten Resten des Fotos", er verglich die Schnipsel mit dem, was der Laptop anzeigte. Koi nickte energisch: "Wenn ich richtig liege, dann ist es sogar das gleiche Bild".

Ilus knackste seine Fingerknöchel: "Wird wohl Zeit, wieder etwas Langeweile aus dem Leben zu schaffen".

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