Für einen Ring

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Schließlich packte es Henry doch nicht und er weinte einen Wasserfall, während er vor dem Grab hockte. Begleitet wurden seine Tränen von einem unüberhörbarem Schluchzen. Krampfhaft hielt er sich an den Brustkorb, da er das Gefühl hatte, zu ersticken. Neben ihm hockten Zigz und Shark. Dylans Stiefmutter musste schon wieder gehen und Henrys Eltern wollten nicht vor den anderen trauern. Sobald das Grab zugeschaufelt war, blieben nur noch die drei übrig. Zigz sah auf sein Handy und erwähnte skeptisch: "Ilus ist ganz schön lange weg...". Shark hielt seine Hand auf Henrys Rücken: "Chef geht es immer gut. Teddy aber nicht".

Nach weiteren zwanzig Minuten hörten sie ein Auto vorfahren, wie jemand ausstieg und das Auto wieder weg fuhr. Mit langsamen und schwachen Schritten kam Ilus auf seine Bande zu. Die älteren Gangmitglieder drehten sich um und Zigz sprang auf: "Da ist unser Chefi ja!". Besorgt merkte Shark an: "Du siehst nicht gesund aus". Gerade wollte Ilus erzählen, was passiert war, doch dann sah er, wie Henry am zusammen brechen war. Also meinte er knapp: "Mitya zu retten ist nicht einfach". Von alleine stand Henry auf und er riss sich bestmöglich zusammen. Obwohl alle ihn ließen, drängte Henry sich selbst mit Zielstrebigkeit: "Wir müssen gleich los, oder?". Zwar sah Ilus auf die Uhrzeit, sagte aber nichts. Ohne Weiteres ging Henry auf die Limousine zu. Er stieg ein und sah die kleine Gruppe an: "Lasst uns dem Ring auf die Spur kommen".

Verzögert kam Ilus ihm nach. Zigz kratzte sich am Hinterkopf: "Ich bin mir ziemlich sicher, dass deine Eltern beim Kaffee und Kuchen etwas gute Laune gebrauchen könnten. Also schließe ich mich ihnen an". Shark wirkte leicht alarmiert: "Ich komme mit Kitty. Du laberst Mülltonne". Ilus schloss die Tür der Limousine und murmelte: "Die sollten lieber zu Fuß laufen. Wir können es uns nicht erlauben, mit einer illegalen Limousine inmitten der Innenstadt zwei Volltrottel abzuladen". Da Henry nicht antwortete, holte Ilus kurz Luft und sprach dann direkt mit ihm: "Im Fach vor dir ist Rosé, wenn du Alkohol vertragen-". Im nächsten Moment ploppte eine Flasche auf. Großäugig sah Ilus in den Rückspiegel, wo Henry direkt aus der Flasche trank. Er drückte auf die Vollbremse, sodass Henry abbrach. Leicht erbost belehrte er ihn: "Zieh das nicht so runter, als seist du ein verhungerndes Baby, das zum ersten Mal an einer Flasche nuckelt! Am Ende ersäufst du darin noch!". Mit scharfem Blick nahm er provokant noch einen Schluck. 

Kurzzeitig griff Ilus sich das Lenkrad fester, dann kletterte er nach hinten und packte sich Henry beim Kragen, um ihn anzuknurren: "Du wirst nicht wie Mitya enden, verstanden?! Ich lasse nicht zu, dass noch jemand aus meiner Straßenfamilie sich das Leben daran ruiniert! Gerade du nicht! Du hast noch Chancen in deinem Leben!". "Dann biete mir das nicht an", knurrte Henry zurück. Rapide riss Ilus ihm die Flasche aus der Hand und fuhr weiter. 

~~~

Etwas weiter vom Klub weg hatten sie geparkt. Lucky fuhr die beiden, da Ilus versuchte, Henry auf der Rückbank zu verschönern. Schließlich musterte er ihn genauer. Den Nagellack hatte er erstaunlich gut hin bekommen. Auch machte der leichte Schimmer auf seinen Lippen etwas aus. Die enge Jeans mit Loch im Knie glich das große Sweatshirt mit hohem Kragen aus. Dennoch murmelte Ilus: "Etwas fehlt...". Lucky warf etwas nach hinten: "Hier liegt was". Es sah aus, wie eine Spielzeugpistole aus Plastik. Da nickte Ilus: "Ah, genau. Die Ohrringe. Still halten". Er hielt sie schon an Henrys Ohr, da zuckte er zusammen: "Moment mal! Über alles andere können wir diskutieren, denn das kann man wieder entfernen! Aber Ohrlöcher bleiben eine Weile!". "Wenn du sie nach diesem Abend raus tust, heilt es wieder zu", schüttelte Ilus mit dem Kopf. "Aber das tut weh?", drückte Henry sich nach hinten.

Stark aufseufzend griff Ilus sich den Rosé, steckte ihn kurz Henry an und starrte ihm tot in die Augen. Henry fühlte sich bedrängt und hypnotisiert, bis er ein Zwicken in seinem Ohr spürte. Er zog weg und fasste sich an die schmerzende Stelle: "Du hast einfach-!". Ilus unterbrach ihn, indem er ihn küsste und unbeschwert das nächste Ohrloch stach. Luckys Lächeln fror im Rückspiegel ein. Bislang wussten nur Shark und Zigz vom Vorfall. Nachdem Ilus das Ohrloch gestochen hatte, warf er das Werkzeug dafür auf den Boden des Autos und stieg aus: "Wir sind spät dran". Kurz kratzte Henry sich in die Leere starrend am Nacken, dann stieg er ebenfalls aus und folgte ihm. 

Nicht lange, dann legte Ilus seine Hand um Henrys Hüfte. Henry fiel auf, dass Ilus eine komplett andere Aura ausstrahlte. Seine silbernen Augen wirkten nicht mehr nur von der Farbe her kühl und stechend. Sehr aufmerksam untersuchte Ilus alles und jeden mit seinen Blicken. Sie wurden in den Klub gelassen, wo es schon nach sämtlichen Spirituosen und zu rauchenden Drogen roch. Henry fühlte sich nicht mehr so fehl am Platz, als er sah, wie viele andere Jungs auch Eskorte spielten und nicht nur Frauen auf den Schoßen der anderen saßen. Trotzdem wurde Henry angestarrt und zu gepfiffen. Ilus sprach ihm leise zu, sodass man es gerade so über die Musik hörte: "Sie merken, dass du neu bist. Bleib immer bei mir, ja? Ansonsten wirst du eventuell nie wieder bei dir Zuhause aufwachen". Ängstlich sah Henry sich um. Abgelenkt wurde er, als Ilus plötzlich feste an seinen Hintern fasste. 

Im nächsten Moment hörte man einen Lacher: "Ist in Ordnung, großer böser Tiger! Du brauchst deine süße Beute nicht so stark zu bewachen!". Ilus drehte sich leicht nach rechts, wo ein älterer Mann mit fünf jungen Frauen und zwei jungen Männern saß und an einer Zigarre zog. Henrys Magen drehte sich, als sie zu ihm gingen. Monoton forderte Ilus auf: "Iceman, ich bin jetzt hier. Gib mir die Infos über den Ring". "Ich habe dich doch nicht herbestellt, damit du kalt wie immer schauen kannst. Du weißt doch, dass ich dich ganz gerne hab und dich einfach nur lachen sehen will. Wie deinen Bruder", grinste er gehässig. Henry riss seine Augen auf, als Ilus seine Waffe zog und sie zielstrebig auf den Schritt des Mannes hielt: "Du hast Mitya zerstört...!". "Aufbrausend, ihr Poljakows... Bitte leg das süße Ding weg und wir unterhalten uns etwas", meinte er ruhig. Erst setzte Ilus Henry auf das Sofa ihm gegenüber. Da lachte Iceman: "Ich meinte nicht das süße Ding". "Dreckig muss man sein, um Menschen als Dinge zu bezeichnen", zischte Ilus und setzte sich neben Henry. Leicht beugte sich Iceman vor: "Als würdest du nicht gleich denken". "Wer weiß schon, was in meinem Kopf vor sich geht?", gab Ilus mit dem gleichen Blick zurück.

Henry schluckte einmal und zog seine Knie an den Oberkörper. Er fragte sich nur noch, wo er rein geraten war und welche Verbindungen bestanden. Iceman ließ sich mit dem Anliegen Zeit: "Wer ist denn eigentlich dein hübscher Begleiter? Er sieht noch jünger als du aus. Oder liegt das an seinem asiatischen Baby-Face?". Leicht entsetzt schüttelte Henry mit dem Kopf: "Ich habe nicht mal asiatische Wurzeln". Ilus legte seinen Finger auf Henrys Lippen und strich langsam runter: "Shh...". Daraufhin leckte Ilus sich den Finger ab. "Dich konnte man noch nie unterbinden, Tiger", schmunzelte Iceman, "Wild, stur und bockig mit eigenem Kopf. Du machst klar, wer du bist und was du willst. In Ordnung, du willst deinen Ring finden und ich habe mich nicht auf dein anmutiges Spielzeug zu konzentrieren. Wenn du danach endlich lächeln kannst, dann will ich dir möglichst nichts enthalten. Doch will ich das unter vier Augen besprechen. Keine Sorge um ihn, meine Begleitungen werden ihn sicher halten und ihm positiven Spaß bringen. Zum Spielen bleibt er ganz deins". "Du widerst mich an!", fauchte Ilus dem Mann entgegen und sprach dann mit Henry, "Pass auf dich auf".

Henry wurde von den sieben Personen an die Bar gebracht. Gemeinsam tranken und lachten sie. Da nichts passierte, meinte Henry sicher zu sein und er trank mit. Ihm wurde alles ohnehin zu viel. Doch das eigene Bewusstsein in einem Downtown Klub von Los Angeles zu verlieren, war nie eine gute Entscheidung.

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