Freunde und Familie

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Während Ringo und die Katze Kiki miteinander spielten, saßen Dexter und Henry auf einem morschen Tisch und unterhielten sich. Henry fragte nach: "Und diese Umstände verstören dich nicht?". "Sollten sie das tun? Schließlich siehst du die Leute unter diesen Umständen als deine Familie. Sag nichts dagegen, ich weiß das", lächelte er zurück. "Übertreib nicht, sie sind Freunde", blieb Henry stur. "In Ordnung", entspannte Dexter sich, "Dann einigen wir uns auf Freunde. Auch wenn die Stimmung hier nicht so wirklich offen ist. Weihnachten ist das Fest der Liebe und alle sind so ziemlich still. Wobei sie sich unterhalten und lachen, die Stimmung ist nicht da". 

Henry sah zu Ilus rüber und merkte an: "Das liegt an ihm. Er ist schließlich der Leiter hier. Und wahrscheinlich hasst er Weihnachten, tut das alles nur für mich...". Dexter hakte nach: "Bist du etwa nicht dankbar?". "Doch! Also, ich wäre es. Aber wie soll ich denn dafür dankbar sein, wenn jemand vielleicht sich selbst schadet? Er hat gerade sehr große Probleme auf seinen Schultern und er scheint ihnen gar nicht zu folgen. Ich frage mich nur, ob er fest gestellt hat, dass es in erster Linie am wichtigsten ist, die eigene Familie glücklich zu machen", erklärte Henry. "Also doch Familie", grinste Dexter. Schmollend-lächelnd stieß Henry ihm in die Seite. Da wurde Dexter ruhiger: "Aber er sieht auch nicht gerade glücklich aus. Oder er. Und er?". Er zeigte auf Zigz, Shark und Koi. Henry meinte, Bescheid zu wissen: "Koi mag den Stress nicht und Shark hatte wohl nie so wirklich gefeiert. Eigentlich ist Zigz immer schrullig und am lachen, außer Ilus geht es nicht gut. Gerade hat er aber nicht wirklich einen Grund dazu". 

"Das sind ja mal Namen...", machte Dexter große Augen. "Zigz raucht viele Zigaretten. Shark verlor sein rechtes Auge durch einen Haiangriff. Koi hat die Bedeutung Ehrgeiz und Zielstrebigkeit, was er laut seinem Bruder wohl auch haben soll. Mein Name ist natürlich Teddy. Ilus... Das ist tatsächlich sein echter Name. Ilus Poljakow, russische Gene", klärte Henry auf. Da wurde Dexter neugierig: "Und was hat der Name zu bedeuten?". "Das weiß ich nicht. Denkst du, der Name hat eine Bedeutung?", hinterfragte Henry. Mitya trat der Konversation bei: "Schön. Ilus ist ein ganz normales Word in einer europäischen Sprache und heißt übersetzt einfach nur schön". Dexter hob eine Augenbraue: "Ein Adjektiv als Name? Ist das nicht etwas erniedrigend?". Mitya konterte: "Dein Name bedeutet geschickt".  "Ist aber keine direkte Übersetzung", verteidigte Dexter sich. Henry säuselte: "Selbst wenn es ein Adjektiv ist, das eigene Kind schön zu nennen ist doch etwas Süßes". Dexter befürchtete: "Sag ihm das so direkt ins Gesicht und er schlitzt dir den Hals auf". 

Henry fiel auf: "Mitya... Du warst jetzt schon länger nicht mehr betrunken...". "Es ist hart, aber es hält Ilus davon ab, in Rachsucht los zu rennen und sein Leben in Gefahr zu bringen. Oder das seiner ganzen Freunde. Er soll aufhören...", gab Mitya zu. "Also rennt er gar nicht für den Ring, sondern für dich", schlussfolgerte Henry. Mitya nickte und legte seine Hand auf Henrys Schulter: "Deswegen bitte ich dich, Henry... Du-". Plötzlich ertönte Kiki panisch: "Jurij! Komm zurück und leg das weg!". Im nächsten Moment sah man, wie Jurij verschmitzt lachend mit einer Pistole in den Händen in die Halle rannte. Zielstrebig lief er auf Henry zu und hielt ihm die Waffe hin. Mit schwerfälligem Kleinkind-Akzent sprach er: "Frohe Weihnachten!". Zögerlich wollte Henry die Waffe abnehmen, um das Kind außer Gefahr zu bringen und nicht unglücklich zu machen. 

Da griff Mitya sie ab und machte direkt klar: "Du darfst diese Spielzeuge nicht haben. Die sind für Erwachsene". "Sowy, Onkel Mitya...", beschämt sah er auf den Boden. Henry war verwirrt: "Er kann ja reden". Kiki kam angelaufen: "Er tut es nur nicht so oft. Erinnert etwas an Ilus, als er kleiner war. Eigentlich ist Jurij sogar ganz schlau. Er kann alle seine Familienmitglieder benennen". Da legte er schon los und zeigte auf seine Mutter: "Mama!". Danach zeigte er auf Mitya: "Onkel Mitya!". Henry war irritiert: "Ihr seid doch keine Geschwister". "Ich sage es ihm aber immer, da wir uns wie welche fühlen", erklärte sie. Ein ganz sachtes Lächeln war bei Mitya zu erkennen. In der Zeit lief Jurij rüber zu Ilus: "Onkel Ilus!". Kiki rief ihm nach: "Das machst du super, mein Spatz". 

Nachdenklich sah Jurij sich um und lief zu Shark rüber: "Onkel Shark!". Sogar Dexter konnte an den unterschiedlichen Hautfarben erkennen, dass Shark ganz sicher kein Blutsverwandter war: "Die Auffassung eines Kindes ist bezaubernd...". Weiter lief Jurij rüber zu Zigz. Henry lächelte schon leise: "Onkel Zigz, den Mama hasst". Kiki verschränkte ihre Arme: "Ich hoffe doch". Stattdessen kletterte Jurij zu Zigz auf die Kiste hoch und fing an, herzlichst zu lachen: "Papa!". Sofort auf 180 schlug Kiki die nächste Wand bei ihr. Zigz sah stumm mit großen Augen den kleinen Jungen an. Henry fiel vom Glauben ab, als Zigz eine Träne runter lief. Er stand auf und verließ die Halle. Auf dem Weg griff er sich eine Schachtel Zigaretten. Shark ging zu Ilus rüber: "Folgst du nicht?". Ilus zog die Schultern hoch: "Ich bin nicht in der Stimmung, jetzt mit ihm Sachen zu zerstören". Kiki zischte: "Was ein Hitzkopf!". Dexter seufzte: "Ich komm hier echt nicht mit". Henry stand auf: "Gleichfalls... Ilus, was hat er?". Aus seinem Loch erwähnte Koi: "Wir alle haben unsere Vergangenheit, weißt du?". Für sich murmelnd folgte Henry ihm: "Aber er hatte doch seine Mutter verloren...".

Noch bevor er die erste Zigarette von einem wahrscheinlich kompletten Zug anzündete, hielt Henry ihn ab: "Hey, was ist los?". "Du bist zu jung. Du weißt nicht, wie es ist, Vater zu sein", murrte er aufgebracht und zündete die Zigarette doch an. Da zerrte Henry seinen Arm mit der Droge weg: "Was meinst du damit?". Sich zusammenreißend erwähnte Zigz mit brechender Stimme: "Zwei wunderschöne Töchter... Zwillinge...". Es nicht böse meinend hinterfragte Henry: "Du bist Vater?". Nachgebend ließ Zigz die Zigarette fallen: "Sie würden das nicht wollen, genau wie ihre Mutter...". "Tatsächlich...", Henry ließ ihn los. 

Auch sich selbst ließ Zigz in die frische dünne Schneeschicht fallen: "Ich war gerade mal fünfzehn... Jung und unverantwortlich... Natürlich habe ich schon damals geraucht, wenn auch nicht so schlimm... In meiner Schulklasse war dieses wunderschöne Mädchen und wir sind zu weit gegangen... Ich konnte keine Verantwortung übernehmen und ließ sie hängen... Ich war nun mal dumm und unachtsam... Doch zwei Jahre später verlangte sie dann vor Gericht Geld für die Erziehung von mir und als ich die beiden sah... Mir tat es unglaublich leid, sie so im Stich gelassen zu haben. Ich realisierte, das waren meine Kinder. Also willigte ich sofort ein, das Geld zu zahlen, doch wollte ich auch Erziehungsberechtigter sein. Zumindest wollte ich sie öfters sehen. Rachel und Genevieve... Sie wurden so schnell groß. So schnell, dass ich sie kaum kennen lernte, bis ihre Mutter mir das Sorgerecht dann wieder entzog. Schon alleine wegen meiner Sucht. Und sie hasst mich immer noch. Sie hatte Recht, also kämpfte ich dagegen nicht an. Seitdem sah ich meine Töchter nie wieder. Seit dem Weihnachtsfest vor vier Jahren... Da waren sie acht Jahre alt...".

Neben der Geschichte startete Henry Gegenrechnungen in seinem Kopf und schrak auf: "Du bist siebenundzwanzig Jahre alt?! Damit bist du älter als Shark!". Scharfkantig sah Zigz ihn an: "Kiki hatte total Recht... Du hast wirklich eine Gabe, die einen selbst besser fühlen lässt...". Henry zuckte zusammen: "Oh, tut mir leid! Ich wollte nicht... Es tut mir sehr leid für dich... Das ist auch eine gut Frage - Weshalb hasst Kiki dich?". "Sie meint, ich sollte mehr für meine Kinder einstehen. Ich würde es tun, wenn ich konnte... Nur sollte ich überhaupt? Ich lebe im Untergrund ohne festen Job und wurde meine Sucht nie los. Sie verdienen einen besseren Vater in ihrer Familie. Also würde ich liebend gerne woanders anfangen. Mit einer hübschen, starken Frau und einem bezaubernden Sohn... Doch sie fand es unmöglich. Ich sollte mich erst mal um meine eigenen Kinder kümmern, hat sie gesagt", erklärte Zigz, "Unrecht hat sie ja nicht. Frauen sind gruselige Wesen... Sie haben immer Recht, egal was du tust. Dafür sind sie aber auch sehr stark... Stark genug, um ihre Kinder alleine zu erziehen, wenn die Väter weg rennen... Sie sind zu beneiden...".

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