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Pia

Wie von der Tarantel gestochen packte ich die am Boden liegende Marie und drückte sie nach Deckung suchend an das nächststehende Auto, als auch schon zwei weitere Pfeile knapp über unsere Köpfe hinweg segelten.

Woher meine plötzliche Kraft kam, wusste ich nicht, doch um ehrlich zu sein war das auch gerade eine meiner letzten Sorgen. Aus den Augenwinkeln sah ich ein Glänzen und erkannte einen der kleinen Pfeile, der von der Wand abgeprallt und zu uns gerollt war. Ohne zu zögern streckte ich meine Hand danach aus und ließ ihn vorsichtig in meiner Hosentasche verschwinden.

Mit blitzenden Augen drehte ich mich zu der völlig verstörten Marie um.

"Hör zu. Keine Ahnung wer oder was das ist, aber Leute die mit Pfeilen auf uns schießen sind grundsätzlich eher semivertrauensvoll. Wurdest du in letzter Zeit von gruseligen Typen gestalkt oder gar angegriffen?"

Marie schüttelte mit großen Augen den Kopf. Ich nickte. "Dachte ich mir. Dann sind sie der großen Wahrscheinlichkeit nach hinter mir her. Tut mir leid, dass ich dich da mit hinein gezogen habe." Sie blinzelte mich einfach nur an und ich seufzte.

"Ich werde dir später alles erklären, aber fürs erste müssen wir hier so schnell wie möglich weg. Irgendwelche Vorschläge?"

Wieder blinzelte Marie und ich sah ihr an, dass ihre Schaltkreise erst langsam wieder zu arbeiten begannen. Die arme stand wahrscheinlich total unter Schock. Trotzdem musste sie sich jetzt zusammen reißen, sonst würden die Pfeilidioten uns noch erwischen.

Gerade als ich sie schütteln wollte, schien sie sich wieder gesammelt zu haben und ein entschlossener Ausdruck trat in ihre Augen. Oh ja, ich kannte diesen Ausdruck. Den hatte sie immer drauf wenn sie einen neuen Skandal erschnuppert hatte, und nur Gott wusste, zu was sie in diesem Zustand alles fähig war.

"Wir müssen zur Einkaufsmeile." flüsterte sie entschlossen. "Da sind viele Menschen und wir können unter tauchen. Davon abgesehen werden sie uns dort nicht beschießen."
Ich nickte. "Gute Idee."

Auch Marie nickte und ich machte mich daran aufzustehen, als ich bemerkte, wie sie anfing eine Nummer auf ihrem Handy ein zu tippen.

"Was zum Teufel machst du da?" Erstaunt sah sie mich an.
"Die Polizei anrufen?"

Mein Mund öffnete und schloss sich wie ein Fisch an Land, dann riss ich es ihr ohne ein Wort zu sagen aus der Hand und stopfte es in meine Hosentasche.
"Mein Handy!" Quietschte Marie empört auf, doch ich presste ihr meine Hand auf den Mund und drückte sie zurück auf den Boden.

"Jetzt hör mir mal gut zu." Zischte ich und sah ihr dabei tief in die Augen. "Diese Leute da beschießen uns mit fucking Pfeilen, und das nicht weil sie nette Menschen sind. Die dort drüben wissen wer ich bin und was mit mir wo passiert ist, und sie werden einen feuchten Furz auf die Polizei geben, wenn sie nicht sogar mit ihr in Kontakt stehen."

Wieder blinzelte Marie und Tränen traten in ihre Augen. Fluchend nahm ich meine Hand von ihrem Mund und begann die Jacke aus zu ziehen.
"Tut mir leid, wirklich." nuschelte ich und knüllte die Jacke zusammen. "Ich werde dir alles gleich erklären. Wenn ich "JETZT" rufe springst du auf und rennst zur Einkaufsmeile, okay?"

Schniefend nickte sie, ich lächelte ihr aufmunternd zu und warf die Jacke im hohen Bogen nach links. Sofort zischten Pfeile darauf zu, ich schrie "Jetzt!" und Marie und ich flüchteten in die entgegen gesetzte Richtung.

Ich ließ mich hinter Marie etwas zurück fallen und lief wie die Blöde in abgehackten Zick Zack Runden die Straße entlang. Wie erwartet zielten die Typen hinter mir auf mich, doch ich wich allen Pfeilen irgendwie aus. So wie es aussieht ist doch noch etwas von meinem grandiosen Instinkt der anderen Dimension bei mir geblieben, und so dauerte es nicht lange, bis wir die Kurve zur Einkaufsmeile kratzten und in die tratschende Menschenmenge hinein tauchten.

Gerade als ich um die Ecke bog wagte ich es einen Blick über die Schulter zu werfen und konnte fünf Maskierte in dunklen Mänteln ausmachen, die kleine, dünne Rohre in den Händen hielten und hinter uns her hechteten. Blasrohre?

"Pia, nimm meine Mütze!"
Maries Stimme riss mich wieder ins hier und jetzt, und reflexartig fing ich ihre besche Pudelmütze auf, die ich mir dankbar über den Kopf stülpte und noch im Laufen begann meine viel zu auffälligen Haare darin zu verstecken.

Was für einen wachen Verstand Marie doch hatte, dass hätte ich ihr gar nicht zu getraut.

"In das Restaurant!" rief sie mir über die Schulter zu, und schnell wie der Blitz umkurvten wir ein älteres Ehepaar, bevor wir in zwei weitere Gassen einbogen und schließlich mit einer Großfamilie in "Vapiano" einfielen.

Ja, ich wusste genau was Marie mit "Restaurant" gemeint hatte, denn Vapiano war damals der einzige Laden gewesen, welchen man tatsächlich als solches bezeichnen könnte. Der Rest bestand nur aus Dönerbuden und Asia Imbissen, und sich dort zu verstecken war unmöglich.

Keuchend hielten wir hinter einer der Säulen im offenen Eingangsbereich an und Marie stellte sich Lächelnd an die Theke, wo der pickelige Typ uns verwirrt anstarrte.

"Für zwei, bitte." flötete sie, als ob nichts gewesen wäre, während ich vorsichtig um die Säule herum nach draußen spähte.

Niemand verdächtiges war zu sehen. Hatten wir sie abgehängt?
Ich biss die Zähne zusammen. Vielleicht. Viel wahrscheinlicher war allerdings, dass sie irgendwo da draußen noch herum spuckten und uns im Auge behielten.

Marie nahm mich am Arm und zusammen schlenderten wir in den hinteren Bereich, geradewegs auf einen versteckten Tisch zu, von dem aus man trotzdem den Eingang gut im Blick behalten konnte.

Dabei schienen wir es trotz fehlender Jacken bei Minus Graden und Leichengesichtern meinerseits recht unauffällig in den hinteren Bereich zu schaffen, da niemand Notiz von uns nahm.

"Wie oft warst du schon hier und hast Menschen gestalked?" fragte ich mit hochgezogener Augenbraue. Marie kicherte ertappt.
"Oft genug." zwitscherte sie mir zu, dann ließen wir auf den gepolsterten Stühlen nieder.

"Also." wurde Marie sofort wieder ernst und griff mit ihren schlanken Händen nach der Speisekarte, "Warum musstest du unbedingt meine Jacke wegschmeißen? Du kannst ja so froh sein, dass ich zumindest mein Portemonnaie noch im Rucksack hatte." Mit ihren strahlend schönen Augen sah sie mich direkt an.

"Du schuldest mir eine Erklärung."

Verlegen lächelte ich. Wie zum Teufel sollte ich ihr das bitte erklären?

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