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Pia

Mit geschlossenen Augen lauschte ich der Musik, die in sanften Klängen aus dem alten Radio dröhnte, dass ich irgendwo bei Mama gefunden hatte.
Eine tiefe Entspanntheit hatte mich ergriffen, ein Gefühl das mir in dieser Art und Weise fast schon fremd geworden war.

Entspannung. Was sagte es über ein Leben aus, wenn man das erst mit etwa achtzehn Jahren kennenlernte, und das in meiner Umgebung?
Vor wenigen Jahren hätte es mich noch traurig gestimmt. Jetzt fühlte ich nur noch eine Welle des Bedauerns, Bedauern für das arme Mädchen, welches ich mal war.

Meine Kindheit war schon vor dem Unfall vorbei gewesen, und meine Pubertät hatte ich höchstens nur durch die Pickel mitbekommen, die ab und an ungefragten aufploppten und viel zu oft einfach mal blieben.

Pubertät. Jugend. Schulstress, Eltern, Jungs, Partys. Gott, was waren das doch für Bergiffe, die mir so unnatürlich fremd waren.
Um meine Noten hatte ich mir nie wirklich einen Kopf gemacht, irgendwie bin ich immer mit Dreien und Vieren durchs Jahr gerasselt.  Manchmal hatte ich mich hingesetzt und hab versucht mich damit von, nun, sagen wir, anderen Problemen abzulenken.

Schlussendlich hatte es aber nie was gebracht, gesprungen war ich früher oder später ja doch immer.

Meine Eltern? Tja, meinen Dad hatte ich seit meinem fünften Lebensjahr nicht mehr zu Gesicht bekommen, und meine Beziehung zu meiner Mam war auch nicht die Beste gewesen.

Nur mit Partys und Jungs hatte ich dank Marie in Ansätzen etwas zu tun gehabt, wenn auch nicht richtig. Es war eine einzige Party gewesen, eine Party auf der ich zu gange war. Eine Party auf der ich meinen ersten Kuss hatte. Und auf der meine kleine, mit Tabe zusammen geklebte Welt komplett in sich zusammen gefallen war.

Seufzend setzte ich mich auf und schaute mich mit halb geschlossenen Liedern um.

Ich saß auf dem Boden vor der Mauer, an die Filly die Handydaten streamte. Neben mir lagen leere Chipstüten und eine kleine, gelbe Ü-Ei Kapsel, die für Filly bereit stand.

Ein paar Meter weiter bewegte sich Mike gegen den Takt der Musik, vor sich hielt er einen seiner wundervollen Helme. Ein leichtes Lächeln umspielte meine Lippen. Irgendwie war der Kleine ja doch ziemlich süß, so unbeholfen und tollpatschig.

Seufzend drehte ich mich zu der letzten Gestalt, die neben dem schrottigen, unangesteckten Radio saß und es wie Hypnotisiert anstarrte.
Amys lange, dunkel Haare fielen ihr wie ein Vorhang ins Gesicht, ihr starrer, lebloser Blick auf den Kasten Blech gerichtet.

Dieses Mal waren ihre Augen nicht schwarz, sie war nicht auf der Jagd. Die sah einfach nur verloren aus.

Leise rappelte ich mich auf und wischte mir die schwarzen Ascheflocken von der Hose, die immer noch vom Himmel fielen. Fasziniert streckte ich die Hand aus und ließ eine der kleinen Flocken auf meiner Handfläche landen. Irgendwo auf der Welt schneite es gerade.  Kleine Kinder spielten im Schnee oder bauten einen Schneemann, machten eine Schneeballschlacht und stritten sich, wer den Schlitten hochziehen sollte.

Mein Blick glitt zu Amy, Mike, Filly. Sie alle hatten das seit Ewigkeiten nicht mehr gemacht. Sie alle hatten ihre Kindheit verloren, und das bevor sie hierher kamen. Die andere Dimension hatte nur ihre Klauen um sie geschlossen und sie nicht wieder zurück gelassen.

Langsam setzte ich mich in Bewegung. Im Grunde waren wir uns alle sehr ähnlich. Alle verlassen und allein, in einer Welt die niemals hätte unsere sein sollen.
Und doch waren wir jetzt hier.
Wir waren die verlorenen Kinder.

Die Kinder ohne Hoffnung, ohne Hilfe, ohne Zukunft.
Der einzige Unterschied zwischen uns war, dass ich das Portal in mir trug. Ich war immer wieder zurück gesprungen, hatte es so irgendwie geschafft einen Weg zu finden bei Bewusstsein zu bleiben. Mich nicht in mir selber zu verlieren.

Dimension 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt