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Pia

Dwayne und ich wechselten einen verwirrten Blick.

"Das ist nicht gut," stellte ich fest, "gar nicht gut."
Dwayne nickte knapp.
"Wir sollten mit deiner Mutter reden. Vielleicht kann sie uns genaueres sagen." schlug er vor und ich nickte zögernd. Ja, das war wahrscheinlich die beste Option die wir hatten.
Trotzdem hatte ich ein merkwürdiges Gefühl in der Magengrube.

Was sollte ich bitte sagen? Wenn sie sich wirklich an alles erinnerten, dann auch an die Zeit, in der sie mich vergessen hatten. Gott, wie sollte ich ihnen das nur erklären!

Meine Hände zitterten als ich nach der Autotür griff und sie aufstieß. Schwankend stieg ich aus und musste mich am Autodach festhalten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Fast sofort war Dwayne an meiner Seite und streckte schützend die Hände aus.
Verärgert stieß ich ihn weg.

"Es geht schon." fauchte ich, doch gleichzeitig begann mein Sichtfeld zu flackern.
Scheiße. Scheiße, scheiße, scheiße.
Bis eben hatte ich noch geglaubt kurz durchs Fenster sehen zu können, vielleicht als Geist durch ein paar Wände zu spazieren und das erhoffte Bild einer behaglichen, unwissenden Familie vorfinden zu können.
Doch jetzt?

Ich schnappte nach Luft und ignorierte den kleinen Stich in meiner Kehle, der von zu viel reinen Sauerstoff verursacht wurde.
Warme Hände umgriffen meine und hoben mein Gesicht an, silbergraue Augen fixierten meinen flackernden Blick.

"Pia." drang Dwaynes Stimme ruhig aber bestimmt zu mir durch.
"Es ist okay. Wir kriegen das hin. Was auch immer deine Familie von wem auch immer zu wissen meint, wir. kriegen. das. hin."

Ich nickte. Okay. Okay, das klang vielversprechend. Wir kriegten das hin, meiner Familie ging es gut. Zitternd zwang ich mich dazu langsam zu atmen. Alles war gut. Kein Grund zur Sorge, ich musste mir keine Gedanken machen.
Ich würde gleich nur meine Familie nach drei Jahren munter und wohl wiedersehen, nachdem ich sie ohne ein einziges Wort gesagt zu haben verlassen hatte.

Ich würde in ihre großen, vorwurfsvollen Augen blicken und mir die Frage anhören, warum ich das getan hatte, warum ich nichts zu ihnen gesagt hatte.
Ich schluckte. Oh Gott. Was sollte ich nur darauf antworten? Hatte ich auch nur irgend eine halbwegs anständige Erklärung dafür?

Die Sache Marie zu erzählen war das Eine, doch es jetzt nach all den Jahren meiner Familie auszubreiten obwohl ich es so lange vor ihnen verschwiegen hatte...

"Pia!" Ich riss die Augen auf und war in dem Grau eines Sturms gefangen. Alles in mir hielt inne, ich konnte keinen Finger mehr rühren.
"Du stehst unter Schock. Tief einatmen, langsam ausatmen. Hörst du? Atme, Pia, atme."

Ich tat wie mir geheißen, auch wenn es schmerzte. Doch es funktionierte. Langsam entkrampften sich meine Hände und betreten trat ich einen Schritt zurück, weil mir der Abstand zwischen Dwayne und mir viel zu eng vorkam.

Verlegen räusperte ich mich.
"Okay." murmelte ich und straffte die Schultern.
"Geht es wieder?" fragte Dwayne, ohne mich dabei aus den Augen zu lassen. Wieder nickte ich nur.
"Lass es uns hinter uns bringen."

Entschlossen hob ich den Kopf und ging die kleine Einfahrt zu unserer Wohnung entlang. Ich würde dieses Treffen mit meiner Familie hinter mich bringen. Was geschehen war, war geschehen, und daran konnte ich jetzt nichts mehr ändern. Und damit meinte ich sowohl meine Entscheidungen, wie auch das Verhalten meiner Mutter und meines kleinen Bruders.

"Sind deine Männer noch auf ihren Stationen?" fragte ich Dwayne ohne mich zu ihm um zudrehen, da er dicht hinter mir lief.
"Ja. Keine Anzeichen von Gefahr, keine ungewöhnlichen Aktionen."
Ich nickte, holte ein letztes Mal zu tief für mich Luft und streckte die Hand nach der Klingel auf.

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