Pia
Mein Leben war nie sonderlich einfach gewesen. Selbst vor dem Unfall war ich immer allein, immer einsam. Ausgelöst durch die Trennung meiner Eltern, oder war es schon zuvor geschehe? Ich wusste es nicht mehr.
Zu tief waren die Abgründe, die sich schon damals in mir aufgetan hatten. Zu groß die Schatten der Ratlosigkeit, die mich innerlich zerfressen hatten. Vielleicht ist das der Grund, warum mich die andere Dimension immer wieder zu sich geholt hatte.
Vielleicht hatte sie meine innere Leere gespürt.
Vielleicht hat sie mich nicht verschlungen.
Vielleicht hat sie mich... aufgefangen. Mir einen Ansporn gegeben, mir einen Sinn gegeben. Einen Grund weiter zu leben.Seufzend sah ich über die zerstörten Ruinen der ehemaligen Wolkenkratzer Stadt zu meinen Füßen. In der Ferne erklangen singend Wahlklänge, lang und wehmütig.
Lautlos stapften die meterhohen Slendermänner über den hellen Nebel der sanft und streichend über die grauen Steine hinwegglitt, ihre leeren Blicken auf ein unbekanntes Ziel in der Weite der Endlosigkeit gerichtet.
Ich hatte die andere Dimension schon aus so vielen unterschiedlichen Sichten betrachtet. Welche davon jemals wirklich richtig war? Oder, ob ich es überhaupt auch nur einmal annähernd begriffen hatte?
Nachdenklich ließ ich einen Faustgroßen Stein in die Tiefe fallen, direkt unter meine Füße, die so schlaff und entspannt von dem hohen Gebäude baumelten.
Konnte ich mit meinem Leben abschließen? Konnte ich wirklich mit jeder noch so kleinen Hoffnung in mir abschließen nicht vielleicht doch noch zurück zu kehren und ein normales Leben zu führen?
Verdammt, nein.
Ich wollte nicht sterben, wollte es nie.
Wollte nie einsam sein.
Ja. Vielleicht habe ich Rabbit deswegen geschaffen. Vielleicht ist sie deswegen immer in meiner Nähe. Vielleicht sind wir genau aus diesem Grund immer zusammen gewesen. Immer auf der Suche nach dem jeweils anderen.
Langsam glitt mein Blick über das triste Grau und blieb an den matten Klingen der Katanas zu meiner Linken hängen.
Zu gut war die Erinnerung in mir eingebrannt als ich sie zum ersten Mal gesehen hatte. Die beiden Klingen mit denen ich gegen alles und jeden ankämpfen konnte, die Klingen die mir Sicherheit geboten hatten.
Zwillingsklingen, so alt wie diese Welt selbst.
Rau strichen meine kalten Finger über die vergilbten Verbände. Wie wohl ihre Geschichte lautete. Was sie wohl alles erlebt hatten. Wem hatten sie zuvor geholfen? Gegen wen oder was gekämpft? Wen hatten sie beschützt?
Ein leiser Seufzer entwich meiner Kehle, und langsam richtete ich mich auf.
Ich würde es wohl nie erfahren.
Vielleicht würde ich ihre Stille irgendwann verstehen können, vielleicht wenn auch mein Verstand sich langsam aufgelöst hatte und ich alle Ketten der Vernunft und der Realität abgestriffen hatte.
Wenn Rabbit und ich endgültig zu einem verschmolzen waren.
Wie es sich wohl anfühlen wird? Wie werde ich die Dimension dann wahrnehmen? Würde ich später auch zu einem Teil von ihr verschmelzen?
Leise summend ging ich die dumpfen Stufen hinab, vorbei an den wandgroßen Löchern und den halb zerstörten Pfäulern, die das Gebäude noch gerade so aufrecht hielten.
Ich würde das Portal nun schließen. Es war an der Zeit. Und dann... dann würde es nichts mehr geben, was mich halten würde.
Merkwürdigerweise hatte ich keine Angst. Nein, Angst hatte ich nicht. Schließlich würde ich nicht sterben. Und auch die eisige Einsamkeit würde endgültig verschwinden.
Hinfort geweht wie eine viel zu leichte Decke, die mich trotzdem über Ewigkeiten hinweg mit ihrer Schwere erdrückt hatte.
Sanfte Finger strichen hinter meinem Ich in meiner Selbst über die dünne Wand, die immer noch wie eine leichte Trennung zwischen uns stand.
Alles um mich herum versank in Dunkelheit, als ich lauschend meine Augen schloss und mich fast gänzlich zu meinem zweiten Ich umdrehte. Still war sie gewesen, hatte mir die Zeit gegeben, die ich gebraucht hatte.
Hatte ich damit abgeschlossen?
Vielleicht... ganz vielleicht... vielleicht hatte ich das schon vor langer, langer Zeit getan.
Tastend fasste ich nach meinem Herzen, das leise und beständig in mir Schlug.
Ich hatte keine Angst, die Tore für immer zu schließen. Die Welten waren noch nicht wieder bereit vereint zu werden, wie ich gesagt hatte. Es war zum Wohle aller, wenn sie nun erneut für alle Ewigkeit geschlossen werden würden. Wenn ich hier blieb, hier in den Armen der flüsternden Schatten und der Wandelnden Unendlichkeit.
Ich hatte keine Angst.
Aber... aber warum zitterten dann meine Hände so? Warum pochte mein Herz zu schnell, als ob es rennen wollte, weit fort bis es nicht mehr konnte?
Was war das für ein Gefühl?
Meine Augen öffneten sich und innerlich wandte ich mich erneut ein Stück nach vorn, einen Schritt weiter weg von meiner zweiten Hälfte, die geduldig auf mich wartete, ihren dunklen Blick nicht von mir nehmend.
Da war etwas. Ein Licht, ein Flüstern. Aber was? Was war es, was war das für ein Hauch, was für ein Faden zupfte an meiner Aufmerksamkeit?
Für einen winzig kurzen Moment erstrahlte alles um mich herum in hellen, gleißenden Farben. Farben, so leuchtend wie die Sonne selbst und in allen Schattierungen, die die Welt zu bieten hatte. Töne der irdischen Welt, und doch so viel mehr.
Staunen ergriff mich, meine Augen weiteten sich und vorsichtig streckte ich mein Hand in dieses Nichts. War ich bereits verrückt geworden?
Und wenn schon, wen kümmerte es jetzt noch!
Doch diese Farben... weiter streckte ich mich, torkelte einen Schritt nach vorne, und dann-
Ein dumpfer Knall, ein leises Reißen, und dann war alles grau. Die Stille um mich herum schien zu Schreien und um sich zu schlagen, dennoch war ich ganz ruhig. Zu fasziniert war ich von den Erlebnissen der letzten Sekunden.
Da war etwas. Etwas was ich noch nie zuvor gesehen oder gespürt hatte, etwas so zerbrechliches, dass es selbst unter meinen Blicken zerspringen könnte. Irgendwo hier, irgendwo da draußen war etwas. Etwas das gefunden werden wollte und sich dennoch versteckt heilt. Etwas was auf den richtigen Moment wartete.
Und wieder keimte in mir diese Frage auf.
Hatte ich damit abgeschlossen?
Verflucht, nie im Leben. Denn da war doch noch etwas. Ein hauchdünner, durchsichtiger Faden der mich hielt.
Rauschend entwich die Luft meinen Lungen, die Luft die ich unbewusst angehalten hatte um dieses Etwas nicht zu zerstören.
Irgendetwas hielt mich noch. Und auch wenn das Portal nun von der Realität verschlossen war und auch ich hier im Inbegriff war es zu schließen... so war das dennoch noch nicht alles.
Also hob ich erneut meine Hand, meine schneeweiße Hand die nun nicht mehr zitterte. Wärme breitete sich in mir aus, ein Hauch der freudigen Erwartung auf etwas vollends unbekanntes. Warum freute ich mich auf einmal so?
Ich wusste es nicht.
Doch irgendwas war passiert. Irgendwas hatte sich für einen Bruchteil der Sekunde blicken lassen und ich würde herausfinden, was es war.
Ein Lächeln erstrahlte aus mir heraus, und zum ersten Mal seit langer Zeit erfüllte mich ein Gefühl des tiefen Glücks.
Machte auch nur irgendwas von dem hier sinn? Nein.
Aber, war es denn wirklich so wichtig?
"Nein." sagte ich nur Lächelnd in die lauschende Stille herein und gab somit mein Einverständnis. Was auch immer dieses Etwas da draußen war. Ich würde es suchen gehen.
Und mit diesen Gedanken schloss auch ich das Portal in die Wirklichkeit .
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Dimension 2
ParanormalPia Schröder gibt es nicht mehr, davon sind die Mitglieder des Raven-Clans überzeugt. Seit ihrem Verschwinden aus dem Deutschen Hauptquartier wurde sie nicht mehr gesehen, und weder Familie noch Freunde scheinen sich an das siebzehnjährige Mädchen e...