𝘤𝘩𝘢𝘱𝘵𝘦𝘳 14

20 4 2
                                    

So, als hätten sie nie etwas anderes gemacht, tanzen meine Finger über das Griffbrett. Jeder einzelne Ton muss perfekt sein, sonst bin ich mit mir selbst unzufrieden. Mein Blick ist starr auf das Notenblatt vor mir gerichtet, doch eigentlich brauche ich es schon lange nicht mehr. Schon seit Wochen kann ich die Lieder alle auswendig.

So geht es offensichtlich Juliet neben mir auch, denn sie sieht fast gelangweilt aus, als sie den Bogen über die Saiten zieht. Carol of the Bells. Ich wende meinen Blick von ihr ab und schaue zu den anderen. Ethan strengt sich offensichtlich gerade ziemlich an, das sieht man an seinem Gesichtsausdruck. Während ich weiter auf der Geige spiele, schaue ich zum Publikum. Dad sitzt in der ersten Reihe und sieht mich stolz an. Ich bin froh, dass wenigstens er kommen konnte. Auch wenn er gleich wieder fahren muss.

Weiter hinten sitzen meine anderen Freunde, alle außer Hugo sind da. Seine Eltern haben seine Drogen gefunden und nun sitzt er die Ferien zuhause fest. Naiv, wenn sie denken, dass er deshalb aufhören würde. Nur noch ein paar Noten, dann habe ich es geschafft. Elijah habe ich noch nicht gesehen, aber das kann auch einfach daran liegen, dass der Saal so voll ist.

Mrs Roberts sieht uns stolz an. Die letzte Note. Es ist endlich vorbei. Wie einstudiert stehen wir alle auf und verbeugen uns. Ich habe ein dickes Grinsen im Gesicht. Nachdem der ganze Saal geklatscht hat, schnappe ich meine Geige und verschwinde mit den anderen hinter der Bühne. Juliet ist schon dort und zieht in diesem Moment den Reißverschluss ihres Geigenkoffers zu.

Sie sieht wieder einmal einfach blendend aus. Wir hatten alle die Anweisung, uns dunkel und hübsch anzuziehen. Juliet hat sich für ein schwarzes, enges Kleid entschieden, das ihre Kurven perfekt zur Schau stellt. Ich habe sie nie Sport machen sehen, wieso sieht dieses Mädchen so unbeschreiblich gut aus? Sie öffnet sich ihren Dutt, den sie sich zum Spielen gebunden hatte und lässt ihre schwarzen Locken über ihren Rücken fallen.

„Du warst wirklich toll!", sage ich und setze mich auf den Tisch neben ihr. Sie sieht mich an, dann schenkt sie mir ein leichtes Lächeln:

„Du auch. Hast du's? Dann können wir gehen."

Ich nicke und folge Juliet nach draußen. Dort teilen wir uns auf: Juliet geht zu ihrem Bruder und zu unseren Freunden, während mir mein Dad entgegenläuft.

„Florence, das hat super geklungen!" Er strahlt mich an und zieht mich in eine feste Umarmung. Als wir uns wieder voneinander lösen, sieht er mich an. „Und du siehst wunderschön aus."

Oh nein, bitte keine Komplimente. Ich kann damit nicht umgehen, nicht einmal, wenn sie ernstgemeint sind. Also setze ich ein gezwungenes Lächeln und murmle:

„Danke, Dad."

„Und ich habe alles für deine Mum gefilmt."

„Schade, dass sie heute nicht kommen konnte. Wenigstens bist du ja da."

Er fährt sich nervös durch die dunklen Locken. Ein paar seiner Haare sind schon grau.

„Was das angeht..."

Meine Mundwinkel fallen nach unten:

„Du musst jetzt gehen, oder?"

„Es tut mir leid, Florence."

Ich seufze:

„Nicht so schlimm, es sind ja noch ein paar Freunde von mir da." Nur bin ich dann eben am Heiligen Abend allein. Kurz spiele ich mit dem Gedanken, ihn einfach mit James und Juliet zu verbringen. Doch die beiden feiern sicher kein Weihnachten.

„Also dann, wir sehen uns ja morgen beim Essen. Frohe Weihnachten, Schatz."

„Frohe Weihachten."

how to survive modern witchcraftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt