Das Kapitel von dir und mir

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Es war angenehm Joanne um mich rum zu haben und mal einfach nur zu reden. Worte waren etwas, das Pferde leider nicht besaßen, aber dafür gab es ja Menschen.

"Ich weiß, was dich mal wieder richtig aufheitern könnte!" rief Joanne etwas zu euphorisch und aus heiterem Himmel nachdem sie sich gerade einen Monolog von mir zum Thema Egoismus und Martin angehört hatte.

Überrascht sah ich sie an. "Echt?"

"Klar! Wir machen mal schönen Bilder von Primo und dir."

Ja, das war in der Tat etwas, was wohl jedes Reiterherz höher schlagen ließ.
"Ähm... Joa... Wann?"

"Na, gleich am Wochenende. Samstag zum Beispiel."

"Aber vormittags ist Volleyballtraining." warf ich nachdenklich ein.

Meine Freundin zog skeptisch eine Augenbraue in die Höhe. "Zum Glück besteht so ein Tag ja auch nur aus drei Stunden."

"Okay, okay." Ich lachte verlegen. "Und wie stellst du dir das vor?"

"Weiß ich auch noch nicht."

"Na toll."

"Ich such mir morgen Inspirationen auf Pinterest oder so und duuuu - du lässt es mich einfach wissen, wenn dir noch was einfällt."

"Okay."

"Sehr schön!" zwitscherte sie in einer für sie ungewöhnlich hohen Tonlage. "Und jetzt lass uns einen Film sehen."

Joanne schob How to Party with Mom rein während ich uns eine Packung Eis hoch holte.

Freitagnachmittag. Ich mochte Freitage und Nachmittage. Im Gegensatz zu Montagen und Morgen. Das sollte an dieser Stelle angemerkt sein! Tage waren immer besser, wenn ich Zeit mit Primo verbringen konnte und Freitagnachmittag konnte ich immer viel Zeit mit dem Hengst verbringen.
Beim Putzen ließ ich mir vorallem alle Zeit der Welt. Primo hatte seinen Vormittag im Auslauf genossen - sichtlich. Offenbar war es für den Aufenthalt auch von Nöten gewesen, dass er das Schnitzel spielt, denn sein Fell sah so aus als hätte er sich mehrfach gewälzt. Überall hing der feine Sand, so intensiv paniert war der Hengst.
Plötzlich tauchte Jörg auf, oder viel mehr guckte er um die Ecke. "Hey, Camilla!"

Ich war sowohl überrascht als auch geschockt darüber plötzlich angesprochen zu werden. Verlegen winkte ich.

"Was hast du heute vor? Zufällig in den Wald?" erkundigte er sich.

"Weiß noch nicht. Und du?"

"Du wärst also nicht abgeneigt einen Ausritt zu machen?"

Grundsätzlich war ich nie abgeneigt einen Ausritt zu machen, aber mit Jörg alleine? Ich war mir etwas unsicher.
"Nein, wieso?"

"Moppi ist etwas unmotiviert im Viereck. Ich glaube, er will etwas Abwechslung."

Moppi... Immer wieder verwirrte mich der Name. Castlevano war wirklich alles andere als moppelig.

"Ja, gut," entgegnete ich etwas lieblos, "dann komm ich mit."

"Okay, dann sattel ich jetzt, wenn du so weit bist."

Mit einem stummen Nicken ging ich ebenfalls zur Sattelkammer. Vielleicht war es doch ganz praktisch mit Jörg in den Wald zu reiten.

Es dauerte nicht lange und wir saßen im Sattel. Zuerst herrschte ein etwas unangenehmes Schweigen in dem ich ein wenig unbeholfen auf den Mähnenkamm vor mir starrte. Die Stille wurde vom monotonen Klappern der Hufe begleitet. Sie hielt ungefähr solange an bis Jörg sich leise räusperte. Langsam sah ich ihn an, ihm schien es ein bisschen unangenehm zu sein und ich sollte gleich wissen warum:
"Hör mal,... Henna hat mir das mit deinem Bruder erzählt. Tut mir wirklich Leid."

"Ja, mir auch." entgegnete ich.

"Ist vielleicht etwas komisch, wenn ich das jetzt sage, aber falls du reden magst, wir sind für dich da." murmelte er.

"Ist tatsächlich eine etwas unbeholfene Situation das von dir zu hören, aber ich weiß es zu schätzen... Danke."

"Gut... Ach, verdammt. Ich bin da echt nicht gut drin." erklärte er verlegen und kratzte sich hilflos am Kopf.

Nun musste ich doch etwas lachen. "Es ist alles okay, Jörg."

"Nein, wahrscheinlich nicht, aber du schlägst dich ziemlich gut... Gott, ich sollte aufhören, bevor es noch peinlicher wird!"

Ich spürte wie mir die Hitze ins Gesicht stieg. Es war irgendwie ein gutes Gefühl, dass jemand meine Mühe würdigte.

"Erzähl mir lieber ob du die Stute wirklich gekauft hast." warf ich ein um das Thema zu wechseln. "Die, von der du Henna erzählt hast."

"Achso, Karliah. Ja, hab ich. Macht sich ganz gut. Hat jetzt vor kurzem das erste Mal gerosst, mal sehen ob sie mir den Gefallen tut und schon aufgenommen hat."

"Wie ist sie so?"

"Unkompliziert. Wäre wahrscheinlich auch was für dich. Sie ist bisher auch noch gar nicht stutig - weiß nicht, manchmal kommt das noch. So am Sprung hat sie eine tolle Technik."

"Und welchen Hengst hast du ausgesucht?"

"Tolan R. Großer Rappe, der ist auch international Springen gelaufen. Wird ein schönes Outcross Pedigree, wenn alles so klappt. Allerdings macht er die Fohlen manchmal etwas grob, aber Kalli ist hübsch genug."

"Mal sehen was das gibt." sagte ich während ich nachgurtete.

"Und? Dein Plan mit Primo?"

Ich zuckte die Schultern. "Erstmal reiten. Glaube nicht, dass ich das nötige Kleingeld hab."

"Das ist immer so'ne Sache, ja. Ich muss schon sagen, ich hätte nicht gedacht, dass du dran bleibst."

"Ich auch nicht... Aber ich kann das ja auch schlecht auf mir sitzen lassen, dass jemand anderes mein Pferd zum Cup reitet und ich mich davon einschüchtern lasse."

"Inwiefern?"

"Naja, eigentlich hatte ich mein Ticket mit meiner Reitbeteiligung Esperanza klargemacht. Die Tochter von den Besitzern reitet auch, früher haben wir auch immer zusammen trainiert - sie hatte ihr Pferd und ich hab Espe alles beigebracht, was sie kann. Vor ein paar Monaten hat ihr Pferd sich aber einen Sehnenschaden zugezogen und da war es natürlich der Weg des geringsten Widerstandes, dass Melanie einfach Esperanza reitet und ich zugucke wie ich klarkomme."

Irgendwie war es traurig, unsere Freundschaft war daran kaputt gegangen. Früher war ich oft zusammen mit Mel zu den Lehrgängen gefahren oder war mit ihr ausgeritten.

"Wow, das ist ja Mist." sagte Jörg.

"Ist es... Aber ich hab jetzt Primo und ich bin irgendwie ganz glücklich mit ihm."

Jörg schmunzelte. "Merkt man."

Mit einem verlegenen Lächeln sah ich wieder hinab auf den Mähnenkamm vor mir. "Lass uns traben!"

Nachdem Ausritt als ich absattelte kam Jörg nochmal zu mir.
"Falls Henna mal nicht da ist und du Lust hast auf eine Runde Wald kannst du mir auch schreiben."

Fragte er mich gerade indirekt nach meiner Nummer? Ich glaube, er tat es. Umständlich nestelte ich mein Smartphone aus der Hosentasche und hielt es ihm hin. Ich hielt den Sattel fest während ich auf Jörgs braunen Schopf blickte, der seine Nummer in mein Handy tippte. Dann klingelte er sich anscheinend selbst an und reichte mir anschließend mein Smartphone.

Primo Victoria - Von Hengsten und MädchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt