Das Kapitel über allein oder nicht allein sein

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Es war die erste Woche ohne, dass die beiden Martins, Felix und Eva da waren. Sie mussten wieder arbeiten.
Zusätzlich war Joanne heute Zuhause geblieben, weil sie sich nicht wohlfühlte. Ich saß alleine in der Pausenhalle.
>Ziemlich langweilig ohne euch. :( < tippte ich in den Gruppenchat von meinem Team.

Kurz darauf schrieb Martin mir in einem privaten Chat: >Hey Camilla! Hab grad Pause. :D Joanne gar nicht da?<

>Hat sich krankgemeldet, irgendwas am Magen.<

>Oh, uncool. Hoffentlich nichts ernstes. Wie war dein Sonntag?<

Ich berichtete ihm im Detail von dem Freispringen und wie gut Primo sich geschlagen hatte.

>Ihr macht also Fortschritte. Oder hat er dich mal wieder runtergeschmissen?<

>Nö, er benimmt sich seit letzter Woche eigentlich ziemlich gut. Mr. Chapman sagt, dass ich bald über die ersten Prüfungen nachdenken soll. Scheinbar hat er es ganz schön eilig damit. Ich weiß nicht, ob das nicht noch etwas früh ist? Aber er hat auch erst von März gesprochen.<

>Wir haben jetzt gerade mal Anfang Februar. Bis zum März hast du noch etwas Zeit. Ich kenn mich da leider nicht so aus, aber könnt ihr nicht so Anfängerprüfungen zuerst reiten?<

>Jaaa... Mal sehen. Hab schon gedacht, dass ich zuerst vielleicht nur Dressurprüfungen nennen sollte. Aber naja. Wie schmeckt das Arbeitsleben?<

>Joa, heute ist halt Montag und ich hab so einen total kniffligen Fall hier stehen. Hoffe ich kann den bis Donnerstag abschließen, weil ich eigentlich noch an meinem eigenen was schrauben will.<

>Ist der Smart kaputt?<

>Nein, nein, ich hab noch einen Skoda hier stehen, da muss ich noch ein bisschen was dran modifizieren.<

>Simply clever.< schrieb ich und grinste das Smartphone an.

>Simply clever! Drück die Daumen, dass ich ihn zum nächsten Turnus fertig hab.<

>Sind gedrückt. :D Pause ist vorbei. Danke für deine Zeit und viel Erfolg noch. <

>Danke, danke. :) Viel Spaß.<

Ich ging wieder zu meinem Raum mit einem Lächeln im Gesicht.
Während des Unterrichts schrieben mir dann auch noch Eva und Felix in der Gruppe, aber ich bemühte mich dem Unterricht zu folgen.
Am Nachmittag hatte ich noch einige Hausaufgaben zu erledigen und einen Vortrag vorzubereiten. Dadurch, dass ich acht Stunden hatte wäre ich wohl eh nicht mehr zu Primo gekommen, aber ich verabredete mich für Mittwoch mit Henna für einen Ausritt. Ich wollte endlich mit den neuen Sattel los.

Auch am nächsten Tag war Joanne noch nicht da. Ich verbrachte die Pausen damit mit meinen Freunden zu schreiben. Die Stunden vergingen nur sehr, sehr schleppend und ich war froh als ich am Nachmittag meine Reitsachen trug und im Bus zu Primo Victoria saß. Dieses Mal hatte ich die neue Dressur-Schabracke dabei, die mir mein Bruder geschenkt hatte.
Wenn ich mehr Geld entbehren konnte würde ich mehr schöne Sachen für meine Reitbeteiligung kaufen. Reitbeteiligung... irgendwie klang das Wort so als wäre Primo ein Fremder... Ich beschloss es aus meinen Wortschatz bezüglich des Hengstes zu streichen.

Als ich kam musste ich etwas nach meinem Pferd suchen.
Der Hengst stand auf einer der kleinen Wiesen, in der Nachbarkoppel standen einige Wallache, unteranderem Bärchen. Primo kam im gemächlichen Schritt zu mir und ließ sich das Strick anmachen, während er eine kleine Taschenkontrolle bei mir durchführte. Mit einem Grinsen zog ich ein Leckerlie hervor und reichte es ihm. Die Vögel zwitscherten im Sonnenschein und ein milder Wind strich durch meine Haare. Heute war definitiv ein schöner Tag um draußen zu trainieren.

Nachdem Putzen holte ich den Dressursattel und die neue Schrabracke hervor und sattelte. Die Plätze waren noch nass, deswegen verzichtete ich lieber auf die Bandagen und legte stattdessen die Fesselkopfgamaschen an.
Mit gezücktem Smartphone sprach ich den Hengst an: "Einmal schön gucken, Primo!"
Er spitzte die Ohren. "Gutes Pferd."murmelte ich und schoss schnell einige Bilder für meinen Bruder. Grau stand dem Hengst wirklich gut.

Das Gefühl auf Primo zu sitzen war mit dem neuen Sattel ganz anders. Ich hatte ewig nicht mehr in einem Dressursattel gesessen! Zuerst war es sogar etwas ungewohnt, vorallem beim Nachgurten.
Der Platz auf dem ich ritt war an einigen Stellen noch etwas nass, an anderen Stellen standen sogar Pfützen, aber das machte nichts. Ich ritt den Hengst immer wieder hindurch. Beim ersten Mal zögerte er sehr und ich muss ihn mit aller Muskelkraft, die ich irgendwie in den Beinen hatte, treiben und ihn mit der Gerte anticken, doch danach wurde es immer leichter. Wir trabten sogar ein paar Mal hindurch. Der Hengst war gut drauf. Aufmerksam achtete er auf jede Parade und jeden Impuls vom Schenkel.
Ich ritt viele Übergänge vom Schritt zum Trab und vom Trab zum Schritt und wir erarbeiteten uns die ersten Tritte Schenkelweichen. Es machte einen Heidenspaß!
Der Galopp war eine wahre Freude, wiederholt brummte der Hengst und schnaubte leise ab. Man musste erst einmal mit den kleinen Dingen zufrieden sein und das war ich durch und durch.
Schon bald würde er mehr Kraft bekommen, aber das brauchte Zeit. Ich wollte ihn nicht überfordern oder mürbe machen. Momentan fasste ich ihn vielleicht ein wenig mit Samthandschuhen an.
Es dämmerte bereits als ich ihn abgesattelt hatte und die alte Decke über seinem Rücken lag, aber ich hatte noch Zeit bis mein Bus kam also führte ich den Hengst zur nächsten Grünflächen und ließ ihn noch am langen Strick grasen.

Dafür, dass am Tag zuvor alles gut geklappt hatte, war Primo heute wieder eine Mistmade.
Wir galoppieren gerade eine Tiefsand-Strecke als er bockte wie vom Blitz getroffen und kaum noch zu halten war. Henna und sein Wallach kamen nicht mehr hinterher. Primo Victoria war so schnell, dass mir die Augen vom Fahrtwind tränten. Einige Äste streiften mich. Egal, was ich auch versuchte, es half nichts. Er hatte den Kopf hoch erhoben und donnerte den Weg entlang.
"Nein, Primo." presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor als ich nach dem Ring von seinem Trensengebiss griff und daran zog. "Vorgestern hab ich dich noch lobend erwähnt!"
Ich zwang ihn eng zu wenden, was automatisch dazu führte, dass er langsamer wurde und durchparierte. "Blödmann!" brummte ich etwas außer Atem. Ich brauchte einen Moment bis mein Atem sich wieder beruhigt hatte. Meine Kehle brannte vor Trockenheit. Mürrisch nahm ich die Zügel auf und trabte Henna entgegen, dabei saß ich schwer ein und hielt die Zügel fest. "Du überdenkst dein Benehmen besser nochmal, ansonsten wird das ein anstrengender Tag für dich, Freund Blase!"

"Alles in Ordnung bei dir?" fragte Henna. Er schloss zu uns auf.

"Ja, alles gut. Der Junge hat gerade das Glückslos gezogen, er darf noch einige Hindernisse springen."

Henna runzelte die Stirn, aber mein Entschluss stand fest. So wollte ich den Hengst nicht wegstellen!

Für die Geländehindernisse hatte ich ihn sehr kontrolliert geritten. Er war nasser geschwitzt als es meine Absicht war und es tat mir in dem Moment schon wieder Leid, weil Primo den Wald womöglich gar nicht richtig kannte. Vermutlich wollte er einfach nur Spaß haben. Aber es war dennoch gefährlich gewesen, wäre eine Straße oder so was in der Nähe hätte das ins Auge gehen können. Er musste sich daran gewöhnen, dass er nicht einfach kopflos davonstürmen konnte...
Entschuldigend strich ich ihm über seine schweißnasse Stirn und gab ihm eine Möhre.

"Morgen gehen wir spazieren, du wirst sicher Muskelkater haben." murmelte ich, ich hatte Mitleid. Noch ein letztes Mal zupfte ich seine Decke zurecht. "Ich muss los. Bis morgen, Primo."

Primo Victoria - Von Hengsten und MädchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt