Das Kapitel über Tollpatschigkeit

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Am Donnerstag war wieder Sport mit meiner Mannschaft. Es war noch eine Woche bis zur Schulmeisterschaft. Und an diesem Wochenende das Turnier, was hieß, dass wir Samstag nicht nochmal trainieren konnten.

"Camilla." Eckert stieß mich an. "Wir spielen gleich."

Ich schüttelte den Kopf um wieder im Diesseits anzukommen. "Hups, sorry."

"Alles in Ordnung."

"Ich war echt brain afk," meinte ich, "oder?"

"Ziemlich." bestätigte Eckert und grinste. "Viel los in deinem Kopf?"

"Mega. Aber da können wir später noch drüber erzählen."

Wir gingen auf das Spielfeld. Es war zwar inzwischen ziemlich warm, aber die Schule besaß keinen Sportplatz. Ärgerlich, aber da konnte man wohl nichts machen.
Mein Kopf kreiste um das kommende Turnier. Primo Victoria sollte am Samstagvormittag sein erstes L-Springen laufen, zwar war es ein Springpferde-L, was hieß, dass es eigentlich fast noch wie ein A gebaut war, aber immerhin bahnten wir uns langsam den Weg in die höheren Klassen. Nachmittags lief noch eine A-Dressur um ihn auch dort weiter heranzuführen. Die Angst, ich könnte ihn überfordern, war jedoch allgegenwärtig. Ein Teil von mir dachte allerdings, dass wir uns ja etwas ausruhen können, wenn wir erstmal die Klasse L etabliert haben. Da können wir bis zum September noch viel Erfahrung sammeln. Der andere Teil war sich unsicher darüber ob man nicht vor dem Cup noch zwei oder drei M-Springen gesehen haben sollte oder ob das doch zu viel wäre. Andererseits kam nicht mehr so viel neues dazu, wenn man erstmal im L-Bereich war und Primo besaß von Natur aus das Vermögen für noch mehr, also warum schon vorher die Pferde wild machen? Immerhin würden wir mit der Dressur und dem Gelände noch genug um die Ohren bekommen... Vielleicht war es auch gänzlich schlau erstmal ein paar L-Springen zu reiten und nachher nur noch Dressur- und Gelände-Prüfungen zu nennen. Ich wusste es nicht. Je mehr ich nachdachte umso weniger Antworten hatte ich im Grunde - dafür aber noch mehr Angst.
Ich war gar nicht bei der Sache als das Spiel anlief, was darin endete, dass plötzlich der Ball in mein Blickfeld geriet und ich ihn vor Schreck baggerte, nur um ihn mir selbst ins Gesicht zu spielen. Ja wohl, Camilla, traumhaft schön... Ein brennender Schmerz explodierte in meiner Nase. Reflexartig griff ich in mein Gesicht.

"Verfluchte Scheiße." zischte ich als ich meine Hand von der getroffenen Stelle nahm und sie voller Blut war. "Ich Idiot!"

Martin, der am nächsten stand, war zu mir gekommen. Kurz war noch die Frage gekommen ob es mir gut ging, aber nach meiner Bemerkung war mehr als deutlich geworden, dass dem nicht so war.

"Alles in Ordnung?" rief die Sportlehrerin.

Martin drehte sich zu ihr um zu antworten: "Wir müssen kurz unterbrechen. Camilla hat Nasenbluten."

"Dann bringen Sie sie bitte in die Umkleide bis sich das beruhigt hat. Haben Sie genug Taschentücher?"

Ich nickte, während ich mir weiterhin die Hand davor hielt.
"Alter, ist das peinlich." murmelte ich so dass nur Martin es hörte.

"Alles gut." flüsterte er. "Dein Ego hält das schon aus."

Als wir alleine in der Mädchenumkleide saßen brachte er mir Papiertücher vom Handtuchspender.
"Alles okay bei dir?" erkundigte er sich besorgt und setzte sich zu mir.

"Weiß nicht, mein Kopf ist gerade voll - irgendwie."

"Merkt man. Normalerweise wäre dir sowas nicht passiert."

"Nee, neh..." murmelte ich.

"Willst drüber reden?"

"Ich weiß nicht wie, Martin. Und ich weiß nicht ob du es verstehst... So viele Sachen weiß ich nicht." seufzte ich und hielt mir das Tuch vor die Nase. "Viele Sachen mit Primo Victoria weiß ich nicht."

Er sah mich mitleidig an. "Bei dem Pferde-Thema kann ich dir wirklich nicht helfen, aber du kannst mir alles andere erzählen, dann hast du es von der Seele."

"Überrumpelt mich jetzt etwas..." Ich konnte ihm ja schlecht sagen, dass er auch in die Kategorie zählte, wo ich nicht weiter wusste.

"Ich weiß... Tut mir auch leid, dass ich erst jetzt komme. Ich war in letzter Zeit etwas auf Distanz, dabei hättest du mich vielleicht gerade jetzt brauchen können..."

"Kann das schon verstehen. Bei dir war ja auch viel los." entgegnete ich, während ich mein Tuch wegnahm um es zu kontrollieren.

Kurz schwieg Martin und sah auf den Boden vor sich. "Ja, es war viel los, aber ich hätte dich auch brauchen können."

"War nie weg."

"Ja," seufzte er ergeben, "aber ich. Und ich war auch unsicher und wollte dich nicht zusätzlich belasten. Außerdem hab ich Zeit gebraucht um mich zu ordnen."

"Und damit bist du jetzt sicher fertig?" erkundigte ich mich skeptisch und blickte ihn von der Seite an.

"Mein Chaos steht unserer Freundschaft zumindest nicht mehr im Weg."

Unserer Freundschaft... Martin sah scheu zu mir hoch. Da waren noch viele unausgesprochene Dinge, aber das war okay. Wir konnten sie später noch klären.

"Egal, was mal passiert, ich hab immer ein offenes Ohr." meinte ich.

Ich konnte nicht behaupten, dass unser Gespräch viel geklärt hatte, dennoch war ich ein wenig beruhigter.
In der Pause nach der sechsten Stunde kamen Max und Daniel zu uns.

"Na, was sagt deine Nase?" fragte Daniel ohne eine Spur von Spott.

"Geht schon. Sah schlimmer aus als es war."

"Glück im Unglück..."

"Spielt ihr nochmal Volleyball auf dem Sportplatz?" erkundigte sich Max nun. "War 'ne smoothe Veranstaltung."

Daniel stimmte ihm zu und sein Blick wanderte zwischen mir und Joanne hin und her.

"Puh, keine Ahnung wann. So groß war es bisher nicht nochmal geplant. Hab auch ein Turnier dieses Wochenende." erklärte ich. "Aber wenn ihr Bock habt lässt sich das sicher wieder irgendwann einrichten."

"Klar, da müsst ihr nur Bescheid sagen. Ich hab das mega gefeiert."

Felix und Eva stießen nun zu der Runde dazu und Felix klatschte mit den beiden Jungs ab, ehe sie dann in zwanglose Gespräche verfielen.

Unschlüssig, was ich mit Primo tun sollte, sattelte ich ihn. Mein Kopf war immer noch voller Sachen, weshalb ernsthaftes Training keinen Sinn haben würde. Also stieg ich auf und lenkte den bunten Hengst Richtung Wald.

"Heute machen wir einen entspannten und morgen auf jeden Fall nochmal leichtes Training." sagte ich zu Primo während er fleißigen Schrittes durch den Sand lief.

Es wäre ein Fehler zu denke, dass er keine Energie für die Prüfungen hätte, wenn ich ihn einen Tag vorher noch voll trainieren würde. Durch die übliche Aufregungen hatte er ganz sicher mehr als genug Energie, die es uns erschweren würde, wenn er den Tag zuvor nur rumgestanden hätte. Deshalb war mein Plan am nächsten Tag mit ihm ganz normal zu trainieren um Samstag nicht mein blaues Wunder zu erleben. Nur Heute war nicht morgen, denn heute war ich sehr unkonzentriert und brauchte die Zerstreuung für meine Seele. Und wo gab es schon mehr Zerstreuung als bei einem ausgedehnten Ausritt?

Primo Victoria - Von Hengsten und MädchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt