Das Kapitel in dem wir Seit an Seite stehen

36 3 0
                                    

Primo Victoria war nur leicht geschwitzt nach unserer ersten Prüfung. Ich hatte die Trense abgenommen, ihn aufgehalftert und nun stand er zwischen Martin und mir, während um uns herum der Rest meiner Freunde stand, und graste in der Nähe der Zuschauertribüne. Eva war so lieb und holte mir eine Cola. Ich ließ meine Augen über mein Pferd streifen, wie er dort so entspannt fraß. Wenn doch nur jedes Turnier so wäre.

Martin bemerkte: "Du guckst schon wie eine Mutti."

Gerade spielte ich gedankenverloren mit dem Kehlriemen von der Trense, die über meiner Schulter hing. Vielleicht beschrieb das auch die Liebe, die ich für dieses Pferd empfand, ganz gut. Zwar war er nicht mein Kind, aber er verdiente die selbe Zuwendung und den selben Schutz. Vorallem mit dem Wissen wie schlecht sein Leben zuvor stellenweise gewesen ist. Ich konnte das alles leider nicht ungeschehen machen, egal wie sehr ich es versuchte, aber ich konnte zumindest die Narben auf seiner Seele wieder glätten. Dafür ließ ich keine Chance ungenutzt.

"Ist möglich." meinte ich mit einem Lächeln, ohne meine Augen von Primo zu nehmen. "Im Prinzip ist er ein sehr großes Kind."

In diesem Moment kam Henning auf uns zu.
"Kannst nochmal die Trense draufschnallen. Ihr seid in den Schleifen."

"Yey!"

Schnell schmiss ich Primo die Zügel über den Hals, ließ das Halfter runterrutschen und trenste auf, dann drückte ich Martin kurz die Zügel in die Hand, zog die Jogginghose aus, das Jacket wieder an und setzte mir meine alte Reitkappe auf. Ready for takeoff. Joanne war so frei und nahm mir das Halfter und die Jogginghose ab. Dann half Henning mir in den Sattel. Und da saß ich nun.
Kurze Zeit später ertönte die Lautsprecherdurchsage: "Wir bitten zur Siegerehrung alle Reiter mit einer Wertnote von 7,2 und besser."
Neben mir ritten noch sieben andere Reiter ein, doch ich versuchte möglichst viel Abstand zwischen Primo und die anderen Pferde zu bringen, da auch einige Stuten darunter waren. Augenblicklich steckte doch etwas Hengst in ihm und er wurde unruhig. Wir standen nun zehn Meter entfernt und betrachteten das Spektakel. Nacheinander wurden die Platzierten nach vorne gebeten. Ein paar schöne Pferde waren dabei und ein paar der Gesichter erkannte ich sogar - überwiegend Berufsreiter. Einer von ihnen war sogar mit zwei Pferden platziert. Primo Victoria scharrte vereinzelt mit dem linken Bein, aber er rührte sich nicht vom Fleck.

"Auf dem zweiten Platz mit einer Wertnote von 8,2: Camilla Sanders und Primo Victoria!"

Ich konnte hören wie meine Freunde jubelten und applaudierten und ein Grinsen huschte über mein Gesicht während ich nach vorne trabte. Der Richter, der Primo die Schleife ans Martingal steckte, war der selbe wie schon bei unserer ersten Schleife und ich freute mich ihn wiederzusehen.

"Ihr seid schon weit gekommen." sagte er freundlich als er mir die Hand reichte. "Weiter so!"

"Danke!"

Dann war es Zeit für den Sieger. Ein junger Mann, kaum älter als ich, mit einem schwarzbraunen Wallach. Jonathan Brehm... Wertnote 8,3. Das war ein ziemlich knapper Sieg. Bei ertönen der Musik galoppierten wir zu einer Ehrenrunde an. Dass ich diesen Namen noch öfters hören sollte wusste ich zu dem Zeitpunkt allerdings nicht...

 
"Wann geht es weiter?" fragte Eva, die mit der Sonnenbrille bewaffnet in einem Campingstuhl saß.

"Erstmal Mittagspause." murmelte ich erschöpft.

Joanne, auf deren Schoß mein Kopf lag, grinste. "Lief doch bis hier hin gar nicht so schlecht."

Ich hatte meinen Freunden ein Bier ausgegeben und anschließend Primo Victorias Sattellage abgewaschen und die Stellen, wo Trense und Vorderzeug lagen, damit er für die Dressur sauber war. Gerade graste der aber im Schatten bei den Jungs, Martin hielt ihn fest.

"Martin macht sich wohl an dein Pferd ran?" witzelte Eva als ich einen prüfenden Blick hinüber warf. "Er hält ihn bei jeder Gelegenheit."

Joanne merkte an: "Der Weg in das Herz eines Pferdemädchens führt über ihr Pferd."

Beide kicherten über ihre Bemerkung.

"Vielleicht will er auch einfach der Held seiner kleinen Schwester sein und ihr heute Abend erzählen, dass er einen Hengst gehalten hat." meinte ich grinsend. Natürlich war das reiner Sarkasmus.

Joanne befeuchtete ihren Finger. "Du hast da ein bisschen Bullshit an der Lippe, lass mich das wegmachen."

"Wehe!" drohte ich, lachte aber im selben Moment.

Wir lagen friedlich in der warmen Sonne.
"Jetzt mal ganz im Ernst," bemerkte ich nach einer Weile, "ist schon cool, dass ihr heute alle hier seid."

"Ist für mich zwar Neuland, aber mir gefällt's." antwortete Joanne und Eva stimmte zu.

"Schon auch verrückt was hier so abgeht. So viel los, hab ich nicht mit gerechnet."

Primo Victoria - Von Hengsten und MädchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt