Das Kapitel mit den verliebten Bildern

64 4 0
                                    

Nach unserem Shopping-Trip gingen wir nochmal zu mir nach Hause um dann mit dem Golf zum Stall zu fahren. Der Tag wurde dementsprechend länger und länger.

"Wie geht's dir heute eigentlich?" fragte Joanne aus dem Blau heraus.

"Besser? Ich geb mir zumindest Mühe."
Nicht gut, aber besser als die Tage zuvor. Da war noch zu viel, was mir durch den Kopf ging - immer auf und ab.

"Dann ist gut... Ist Primo eigentlich bereit für Bilder machen?"

Ich blickte kurz zu ihr rüber, dann richtete ich meine Augen wieder auf die Straße. "Werden wir sehen, wenn wir da sind. Zumindest zieh ich vorher kein Kleid an, bevor er nicht sauber ist."

So wie ich Primo kannte würde er sicher irgendwo wieder einen gelben Fleck haben und wahrscheinlich bis hinter die Ohren voll mit Sand sein. Das war einfach sein Ding.

Als ich das Auto auf den Parkplatz lenkte und wir ausstiegen konnte ich den Hengst schon von weitem auf dem Auslauf sehen. Mit gekreuzten Fingern betete ich dass er nicht aussah wie ein Schwein in Freilandhaltung.
Offensichtlich wurden meine Gebete erhört. Überrascht lief ich zweimal um das Pferd herum und inspizierte ihn gründlich, denn Primo Victoria hatte zum ersten Mal, seit ich ihn kannte, nur einen einzigen gelben Flecke im Gesicht... Und ein klein wenig Sand im Fell. Mehr nicht. Mehr nicht!

"Er ist fast bereit." erklärt ich mit einem grenzdebilen Grinsen.

Zum Glück war auch sein Bein wieder komplett genesen, so dass ich bald wirklich über Sprünge nachdenken konnte - jedoch nicht heute oder morgen.
Ich führte mein Pferd zum Putzplatz und holte seine Sachen. Es war inzwischen fast 17:00 Uhr, aber nun waren wir hier und Joanne würde sowieso nicht locker lassen ehe wir nicht wenigstens ein paar schöne Bilder geschossen hatten. Außerdem war es eine gute Gelegenheit um noch ein wenig mit Primo spazieren zu gehen.
Es war auf eine einfache Weise so schön sich mit Joanne zu unterhalten während ich Primos Gesicht mit einem nassen Lappen vom Mistfleck befreite und ihn dann in langen Strichen abbürstete. Am Stall war bis auf Thomas keine Bewegung - und selbst der war vor einiger Zeit im Stutentrakt verschwunden. Apropos: das erinnerte mich daran, dass ich bald nochmal nach Miracle und ihrem Fohlen sehen wollte. Vielleicht morgen.

Als ich Primo Victoria wirklich sauber hatte, also Photo-Shooting sauber, zog ich mich um und befestigte sein Knotenhalfter. Ich trug schwarze Chucks zu dem Kleid, was nicht wirklich passte, aber irgendwie auch originell war. Und wahrscheinlich würde man auf den meisten Bildern davon eh nichts sehen.

"Muss ich noch irgendwas beachten, wenn ich euch fotografiere?" fragte Joanne etwas unsicher.

"Naja," antwortete ich, "am besten hab ich auf den Bildern kein Kürbisgesicht oder gucke wie ein wütender Spatz... Ach, und bei Pferden immer auf gespitzte Ohren achten, aber Primo ist eigentlich wirklich fotogen."

Ja, ja, das mit den gespitzten Ohren war ja bekanntlich so ein Thema für sich. Bei den meisten Pferden klappte es nicht. Ich war gespannt wie Primo das meistern würde, aber bisher war es daran nicht gescheitert. Ehr so an meinem Gesicht... Ungünstiger Umstand. Ich musste unweigerlich an meinen Bruder denken und wie häufig er sich darüber lustig gemacht hat. Blödmann...

Wir schlenderten im gemütlichen Tempo zwischen den Koppeln entlang.

"Nächsten Samstag wollen wir grillen," fiel mir da wieder ein, "kommst du mit?"

"Wo denn?"

"Auf dem Volleyplatz bei Martin im Dorf." entgegnete ich. "Wir laden noch ein paar Leute ein, die für 'ne Runde Volleyball offen sind."

"Klingt nach einem Plan. Wen willst du so fragen?"

"Keine Ahnung. Die Jungs aus unserer Klasse auf jeden Fall. Bin aber noch unschlüssig ob ich Zoë, Tick, Trick und Track auch fragen soll..."

Joanne sah mich vielsagend an. Sie missbilligte diese Idee offensichtlich. "Wieso solltest du das wollen?"

"Weil ich vielleicht nicht so'n missgünstiger Kackhaufen bin wie die? Möglicherweise nimmt denen das den Wind ein wenig aus den Segeln und die gehen uns dann nicht mehr so hart auf den Kranz... Wir müssen ja alle keine besten Freunde werden, aber wenn die eventuell von der Party die Erkenntnis mitnehmen, dass es okay ist kein nervtötendes Wrack zu sein, wär doch cool. Oder nicht?"

"Aus deinem Mund klingt das irgendwie so sinnig. Ich glaube zwar nicht, dass die zu so viel Selbstreflexion in der Lage sind, aber gut."

"Wenn nicht, dann machen wir sie zumindest damit eifersüchtig, dass die heißen Typen sich lieber mit uns abgeben." Ich steckte ihr die Zunge raus.

"Brilliant!" lachte Joanne auf. "Aber welche heißen Typen?"

"Die aus der Kfz?"

"Kommen die alle?"

"Weiß ich noch nicht, aber bestimmt einige."

"Ich weiß noch nicht, ob ich dir bei diesen heißen Typen zustimmen kann." Meine Freundin zwinkerte mir zu.

"Tzzzzzz..."

"Nur ein Spaß. Wie lief es heute eigentlich mit Martin?"

"Wie soll es da schon laufen? Er ist frisch getrennt und hatte nicht so ganz gute Laune. Ich glaube, er braucht erstmal Freiraum."

"Ja, gut. Wahrscheinlich... Aber ich bin mir sicher, eure Zeit kommt noch."

Das hatte Pascal auch gesagt. Offenbar wussten andere da mehr als ich. Oder vielleicht besaßen sie einfach nur eine bessere Intuition. Manchmal war ich etwas unbefleckt, zumindest wenn es um Jungs ging. Bisher hatte ich nur einen Freund gehabt und diese Beziehung war schlicht und ergreifend eine Katastrophe gewesen. Was auch der Grund war, weshalb ich seit der sechsten Klasse Single war... Die erste große Liebe war halt in der Regel nicht dafür gemacht gleich für immer zu halten.

Plötzlich blieb Joanne stehen. Wir standen vor einer großen Birke.
"Was hälst du von dem Platz?" fragte sie aufgeregt und deklarierte:"Das Licht ist perfekt, der Baum ist schön. Bin bereit für verliebte Pärchenbilder!"

"Okay, mal gucken wie uns das gelingt."

Ich führte Primo ein Stück zu der Stelle auf die Joanne deutete. Der Hengst war etwas verwundert und sah sich immer wieder um. Zuerst lehnte ich mich mit meiner Schulter gegen ihn. Joanne positionierte sich und gab mir immer wieder neue Anweisungen.
Primo Victoria war wirklich ein Engel. Einmal als ich mich umdrehte neigte er seinen Kopf so elegant um an meiner Schulter zu schnuppern, anschließend flehmte er, was mir ein Lachen entlockte. Die Kamera knippste im Dauerfeuer Bilder.
Auch Primo schien die Aufmerksamkeit zu genießen. Ich war doch mehr als erstaunt wie viele verschiedene Gesichtausdrücke ein Pferd besitzen konnte. Zum Schluss nahm ich sein Halfter ab und schmiss es beiseite. Nur mit dem Strick um seinen Hals gewickelt standen wir da. Offenbar hatte er nicht einmal die Idee loszuwandern, denn der Schecke beschäftigte sich nur mit mir und führte wieder einmal eine kleine Taschenkontrolle durch. Natürlich hätte ich Leckerlies mitgenommen...

Primo Victoria - Von Hengsten und MädchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt