Sonntag erwachte ich mitten in der Nacht aus einem bösen Traum. Es war noch nicht einmal 4:30 Uhr.
Schon das Einschlafen hatte mir Probleme bereitet und jetzt lag ich wieder wach im Bett, meine Gedanken kreisten. Vielleicht wäre ich am besten gestern gar nicht erst reingeritten. Ich wusste immerhin, dass Primo unkonzentriert ist. Ja, vielleicht. Vielleicht hätte es aber auch nichts besser gemacht.
Diese Gedanken plagten mich lange, bis ich es 6:30 Uhr schließlich nicht mehr aushielt und zu Pascals Zimmertür schlich um leise zu klopfen. Ich musste zu Primo um ihm das Bein zu kühlen!
Als ich die Tür langsam öffnete rieb mein Bruder sich gerade die Augen."Ich kann nicht schlafen." murmelte ich.
"Wie spät ist es?"
"Halb sieben..."
"Prima... Ich konnte noch gut schlafen!" brummelte er vorwurfsvoll. "Wieso kannst du nicht schlafen?"
"Ich muss zu Primo... Kannst du mich fahren?"
"Nein, Kurze, musst du nicht! Wahrscheinlich pennt der auch noch und dann geht's ihm wie mir jetzt."
Pascal war morgens keine große Hilfe mit seiner Morgenmuffeligkeit.
"Aber ich bin Schuld, dass er sich verletzt hat. Ich muss ihm das Bein wenigstens kühlen.""Nein, bist du nicht und kühlen können wir in zwei Stunden noch fahren."
"Aber um zehn ist Volleyballtraining."
"Okay, dann ebend in einer Stunde..." Er rieb sich nochmal die Augen.
"Na gut... Kann ich bei dir bleiben?"
Er nickte.
Wie früher griff ich mir die Sofadecke und legte mich ins Bett.
"Was hast du als nächstes vor?""Erstmal schlafen." brummte er müde.
Das war keine Antwort auf meine Frage. Ich wollte wissen, was er vorhatte, wenn er heute Abend wieder abreiste. Aber das Thema umging er immer wenn es zur Sprache kam.
Selbst etwas müde, rollte ich mich in die Decke und schlief bald darauf wieder ein.Als ich wieder aufwachte war es deutlicher heller im Zimmer. Ich musste kurz überlegen, wo ich überhaupt war, doch als ich mich umsah fiel es mir wieder ein. Der Wecker verriet, dass es kurz nach acht war. Kurz nach acht?! Ich sprang aus dem Bett und wäre beinahe über den Bürostuhl gestolpert. Ich musste jetzt zu Primo! Sofort! Und ohne schuldhaftes Zögern!
Mein Bruder sah mich nur verständnislos an.
"Wir frühstücken erst, bevor ich dich umherkutschiere." befahl er und ich widersprach nicht.Wir fuhren also direkt vor dem Volleyballtraining zu Primo, damit ich das Bein kühlen konnte.
Der Vokuhila, den mein Pferd Tags zuvor noch hatte von den Zöpfen, war inzwischen kaum zu sehen. Wie sehr wünschte ich mir, dass es sich mit dem dicken Bein ebenso verhielt - aber dem war nicht so. Die nächsten paar Tage war wohl Zwangspause, frühstens Mittwoch etwas Schritt. Morgen war der Tierarzt ohnehin da und würde nochmal draufschauen, dann würde ich mehr wissen.
Etwas bedröppelt standen wir beide da und sahen dem Wasser beim Fließen zu. Vereinzelt blöckelte ein wenig von der weißen Kruste ab und ein Teilchen verirrte sich in den Ausfluss. Quark war zwar zum Kühlen echt toll, aber das Abwaschen war müßig.
Jörg gesellte sich ebenfalls kurz dazu und gab mir ein paar Worte, die aufmunternd hatten sein sollen, aber es half mir nichts. Mein Pferd fühlte sich nicht so gut, weshalb ich mich folglich auch nicht so gut fühlte. Irgendwie war es auch meine Schuld. Das hatte ich mit Anlauf vermasselt.
Pascal, der über einen Balken zum Anbinden der Pferde lehnte, meinte: "Guck halt nicht so als hätte dir jemand deinen Pudding weggenommen."
"Meinen Quark..." murmelte ich. "Das hab ich verkackt."
"Es sind immer zwei Schuld, also habt ihr beide das zusammen verkackt."
Danke für Nichts... Ich sah ihn kurz an.
"Ich hab schlechte Laune.""Ja, das sehe ich. Eigentlich bin ich der, der schlechte Laune haben sollte, weil du mich heute mitten in der Nacht geweckt hast und ich heute Abend abhaue."
"Es war kurz nach halb sieben!"
"In der Nacht." bestand er. "Egal. Du solltest aufhören über Sachen deprimiert zu sein, die du nicht ändern kannst... Immerhin hast du ihn ja nicht mit Absicht gegen den Sprung geschubst. Das hat der schon allein gemacht."
"Du hast leicht reden. Ich hoffe das ist bald wieder abgeheilt. Wir brauchen jede Trainingseinheit, die wir kriegen können."
"Hör auf zu stänkern, Kurze." antwortete mein Bruder ernst. "Du musst euch mal eine Pause gönnen zwischendurch, sonst passiert euch sowas öfter."
Ich seufzte niedergeschlagen. Womöglich hatte er recht. Vielleicht sollte ich einen kleineren Gang einlegen und uns nicht so dolle treiben. Zum Glück war kommendes Wochenende kein Turnier.
Auf dem Weg zu meinen Freunden sprachen wir kaum. Der ganze Tag war irgendwie für den Eimer, ich war hin- und hergerissen: einerseits wollte ich, dass dieser Tag endete, andererseits wollte ich nicht, dass mein Bruder wieder ging. Es war eine Zwickmühle..."Ihr seht heute beide ziemlich müde aus." stellte Eva besorgt fest als wir reinkamen.
"Meine kleine Schwester wurde ins Welpenalter zurückversetzt - das, wo man Durchschlafprobleme hat und alle was davon haben." meinte Pascal nun amüsiert.
Komisch, bis ebend war er noch so schwermütig gewesen.
Die Jungs kamen zu uns und Eva stellte einfach keine weiteren Fragen.
Pascal verzichtete dieses Mal auf das Mitspielen und zählte stattdessen Punkte.
Ein Schwere hing in der Luft, die uns beide umgab. Ich wusste nicht, was es war, aber ich hatte ein schlechtes Gefühl. Es war so schlecht, dass ich am liebsten zu ihm gegangen wäre und ihm gegen die Brust gehämmert hätte, damit er endlich mit der Sprache rausrückte. Aber nichts wäre anders gewesen, wenn Pascal nichts sagen wollte, dann tat er es auch nicht - er war wirklich stur, auch wenn das immer niemand so recht glauben wollte.Ein letztes Mal schauten wir am Nachmittag nochmal einen Film an - wie früher. Doch die Leichtigkeit war weg.
Als es dann so weit war und er seinen Rucksack schulterte steckte ein Kloß in meinem Hals.
"Ich weiß ja, dass du bockig bist, Kurze." murmelte er und schloss mich in die Arme."Ich bin mega bockig!" murmelte ich.
Pascal grinste nur. "Hier. Du kannst einen Glücksbringer mehr gebrauchen als ich."
Er drückte mir eine winzige, grüne Schacht in die Hand mit einer kleinen Schleife.
"Nichts großes, nur ein Zeichen dafür, dass ich an euch glaube. Ihr schafft das beide."
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Primo Victoria - Von Hengsten und Mädchen
Teen FictionEs war alles perfekt! Camilla hatte sich mit ihrer Reitbeteiligung, der wunderbaren Stute Esperanza, für den Jugend-Fördercup qualifiziert. Doch erstens kam es immer anders und zweitens als man dachte. Die Tochter der Besitzer hatte sich ebenfalls...