Aus der Ferne hörte man die Musik des Turnieres und hin und wieder kamen verschiedene Pferdepfleger und Reiter an unserem Standplatz vorbei. Jedoch waren sie viel zu beschäftigt um zu verweilen. Wir Reiter konnten schon ein komisches Volk sein.
Eva und Joanne waren inzwischen irgendwie angeheitert, Alkohol hatte da wohl seinen Teil zu beigetragen. Mit einem Grinsen linste ich über Primos Rücken und betrachtete die zwei gackernden Weiber. Lukas und Eckert saßen daneben und unterhielten sich, während Felix und Martin mit Henning auf der Laderampe saßen. Bemüht um eine ruhige Ausstrahlung legte ich den Dressursattel auf, zumindest äußerlich wollte ich den Eindruck erwecken, dass alles okay war. Vielleicht war es das auch, aber ich war trotzdem nervös. Primo Victoria war das absolute Gegenteil von mir - er atmete tief aus und seine Augen blickten ein wenig verschlafen drein.
"Ich würde dir jetzt auch ein warmes Sandbad gönnen." murmelte ich.
Ob er womöglich schon die Nase gestrichen voll hat von meinem Unsinn? Der Schecke spitzte die Ohren. Nein, wahrscheinlich doch noch nicht. Ich holte die Trense hervor und streifte sein Halfter ab.
Als alles am richtige Fleck saß und ich Primo ein Leckerli reichte kam auch schon Henning herüber um mir raufzuhelfen.Für die Dressurprüfung machte ich nicht viel Hektik. Friedlich ritt ich Schritt, ganze zwanzig Minuten. Dann ein wenig traben in Dehnungshaltung. Es bestand kein Grund um hier Welle zu machen, immerhin war Primo vor wenigen Stunden eine Prüfung gelaufen. Jetzt hieß es nur: fehlerfrei durchkommen und keine Lektion vergessen.
Joanne stand an ihrer Position um uns zu filmen. Sie drückte mir still die Daumen als ich einritt. X - halten, Grüßen! Jede Prüfung begann schließlich damit. Primo stellte sich gut hin und war ganz bei mir. Seine Ohren lauschten mir aufmerksam. Nach der Grußaufstellung trabten wir an. Dass meine Freunde und auch Mr. Chapman zusahen machte die ganze Sache nicht einfacher, doch für den Moment musste ich es ausblenden. Primo war ein Engel, er führte alle Übergänge aus. Der Hengst war voll in seinem Modus, so als hätte er selbst die Aufgabe erfunden. All das Üben war uns gut bekommen. Nur ein einziges Mal war er mir für einen Augenblick bei einem Galoppübergang hinter die Senkrechte geraten, doch eigentlich konnte ich mit meiner Hand schon ganz zufrieden sein. Es lag auch kaum Gewicht von ihm auf den Zügeln, also trug er sich sehr gut alleine. Das war die Kraft, die ihm am Anfang immer gefehlt hat - jetzt war sie schon im gewissen Maße da. Als wir uns zum letzten Gruß aufstellten bemerkte ich den Blick der Richterin. Seltsam, war ich so schlecht geritten?
Am langen Zügel verließen wir die Bahn, doch als die Wertnote verkündet wurde wäre ich vor Schreck fast vom Pferd gefallen...
"6,7..." murmelte ich ungläubig vor mich hin. 6,7... Sie hatte uns eine 6,7 gegeben... Unglücklich über das Ergebnis schlenderten wir noch einen Moment über den Abreiteplatz, bevor ich abstieg. Henna stand bereits am Rand."War ich wirklich so schlecht?" fragte ich den älteren, meine Laune war im Keller.
"Quatsch doch nicht. War sauber geritten, höchstens ein paar Kleinigkeiten, aber keine, die das rechtfertigen. Wer weiß was sie an dir nicht leiden konnte."
"Meinst du?"
"Hol dir nachher mal das Protokoll aus der Meldestelle, da sollte ja draufstehen, was der Alten nicht gefallen hat."
Das war eine vernünftige Idee.
Zuerst gab ich allerdings Primo ein Leckerli, er hatte schließlich nichts falsch gemacht. Ganz im Gegenteil, das war unsere beste Prüfung bisher, von meinem Gefühl her zumindest. Ich sah Henna ein wenig verloren an.
"Deprimiert mich wirklich.""Ich weiß." meinte der ältere. "Guck mal, da kommt der Chef. Der wird dir nochmal sagen, dass das nicht an dir liegt."
Auch Mr. Chapman hatte die Stirn in Falten gelegt als er sich zu uns gesellte und auf seinem Stock abstützte.
"Was für eine Bewertung." seufzte er.Kleinlaut ließ ich ein Ja hören.
"Keine Sorge, das lag nicht an dir. Das war eure stärkste Prüfung bisher."
"Warum ist die Bewertung denn so unfair?" murmelte ich hilflos.
"Das kann ich dir nicht sagen, Mädchen. Nächstes Mal ist es wieder besser."
Es war schon gemein, wenn alle dir bestätigten, dass du gut geritten bist, dich der Richter allerdings so wegtreten lässt. Ich führte Primo zum Lkw und sattelte nun endgültig ab und gab ihm Wasser. Der Vorteil an Spring- und Geländeprüfungen war, dass man der Willkür der Richter nicht so direkt ausgesetzt war. Die Wertung dieser Richterin hätte mich wirklich niedergeschlagen, wenn Henna und Mr. Chapman nicht die richtigen Worte gefunden hätten. So sehr, dass ich wahrscheinlich den Sinn hinterfragt hätte, ob ich überhaupt noch beim Cup antreten sollte... Doch jetzt erst recht!
Etwas später als ich Henna half sein Pferd für die letzte Prüfung vorzubereiten fand mich Mr. Chapman noch einmal. Mit den Worten "Nur nicht entmutigen lassen, Mädchen!" reichte er mir einen Briefumschlag. Auf dem Kuvert war das Logo des Fotografen. Ich war mehr als neugierig, also öffnete ich ihn und zog den Inhalt behutsam hervor. Es waren zwei Fotos. Das erste war aus der Springprüfung und meine Augen wurden groß. Man sah Primo Victoria mit gespitzten Ohren und mich über die Trippelbarre fliegen. An diesem Bild war nahezu alles perfekt. Ich saß sogar gerade über meinem Pferd und zog mal keine Kürbiskopf-Grimasse, dennoch stand mein Mund offen. Ein bisschen zumindest. Trotzdem war das Bild schön. Ich schob das andere Bild davor. Dieses war aus der Dressur. Ein Galoppbild. Der Oberhals von dem Hengst sah gewaltig aus und ich lächelte zufrieden in mich hinein. Klar, meine Kappe sah einfach nicht mehr schön aus und Primo könnte wirklich eine neue Trense gebrauchen, aber reiterlich war es nicht zu beanstanden. Der Hengst war auch wirklich fotogen, wahrscheinlich weil er nur Schokoladenseiten besaß.
Ich bedankte mich herzlich bei Mr. Chapman. Vielleicht wusste der ältere Herr genau, dass ich diese Motivation gebraucht hatte.An so einem Turniertag war man irgendwie die ganze Zeit auf Achse. Zwar war ich nicht so aufgeregt wie sonst, aber trotzdem war mir selbst gar nicht bewusst wie erschöpft ich eigentlich war. Zuhause wurde mir es mir jedoch deutlich vor Augen geführt. Doch bevor ich ins Bett fiel zeigte ich meinen Eltern stolz die Fotos, damit die zwei meinen Partner auch mal bewundern konnten.
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Primo Victoria - Von Hengsten und Mädchen
Fiksi RemajaEs war alles perfekt! Camilla hatte sich mit ihrer Reitbeteiligung, der wunderbaren Stute Esperanza, für den Jugend-Fördercup qualifiziert. Doch erstens kam es immer anders und zweitens als man dachte. Die Tochter der Besitzer hatte sich ebenfalls...