Das Kapitel mit Li-La-Laune

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Dieses Mal begleitete Joanne uns nicht zum Volleyballtraining. Eva und Lukas hatten mich wieder mitgenommen und heute zum aller ersten Mal fuhren wir nicht zu Eckert sondern in Martins Dorf. Das Wetter war großartig und wir hatten alle viel mehr Lust draußen zu spielen.
"Eigentlich wollten wir doch grillen, wenn wir das erste Mal draußen spielen." überlegte ich laut.

"Eigentlich schon, aber irgendwie war das ja jetzt doch ehr 'ne spontane Aktion."

Ich stimmte zu. Wär trotzdem cool gewesen.

Lukas merkte an: "Wird wohl nicht das letzte Wochenende sein an dem wir draußen spielen."

"Wahrscheinlich nicht, aber das hätte den heutigen Tag doch abgerundet." Und mich auf andere Gedanken gebracht, fügte ich in Gedanken hinzu.

Wir hielten vor einem bombastischen Fachwerkhaus. Eva parkte ihr Auto auf der Fläche neben dem Carport, wo Martins Skoda und der Smart sowie ein grauer Mercedes standen.
Der schmale Weg zur Haustür begann unter einem gepflegten Rosenbogen, dessen orange und rosane Rosen bereits blüten. Links und rechts des Weges waren ebenfalls akkurat geschnittene Rose - Strauchrosen, Stabrosen, Beetrosen, Heckenrosen, scheinbar hatte da jemand eine Schwäche für die schönen Gewächse. Ich war beeindruckt von der Pracht.
Noch bevor wir bei der Haustür waren ging sie auf und ein erschöpft aussehender Martin erschien.
"Hey, ihr habt hergefunden."

"Jo, klar. War jetzt nicht so schwer." meinte Lukas. "Der Ort ist ja nicht riesig."

Martin machte eine wegwerfende Handbewegung, er wusste wohl selbst zu gut, dass sein Dorf ein Nest war.

"Schöner Garten." sagte ich an Martin gewandt und deutete auf die Rosen.

"Ja, Dads ganzer Stolz. Er liebt ihn." entgegnete er und lachte unbeholfen.

"Sieht man."

Danach gingen wir allesamt zum Volleyballplatz, wo auch die anderen beiden warteten.
Seit unserem Gespräch war Martin allerdings wie ausgewechselt. Seinem Lächeln fehlte die Herzlichkeit und seine Haltung wirkte ehr abgekämpft. Vielleicht lag es auch an seiner Trennung. Genau, wusste ich es nicht. Irgendetwas stimmte jedenfalls nicht. Im Versuch das alles zu übergehen und wenigstens ein bisschen gute Laune zu verbreiten fragte ich euphorischer: "Und nächste Woche mit Grill?"

Wenn man sich auf eine Sache verlassen konnte, dann darauf, dass Felix immer ansprang: "Nächste Woche mit Grill! Dann laden wir aber noch Leute ein."

"Bin dabei!" stimmte Eva zu und klatschte in die Hände. "Das wird geil!"

Wenigstens waren meine anderen Freunden bester Laune, so stahl sich auch auf mein Gesicht ein zufriedenes Lächeln. Womöglich brauchte Martin nur etwas Zeit um sich und seine Gefühle zu sortieren.
Das Gespräch drehte sich ab dann fast ausschließlich um den nächsten Samstag und dass wir die anderen zum Spielen einladen wollten.
"Frag doch die aus deiner Klasse auch mal." meinte Eva zu mir. "Wenn sie sich zu fein sind kann man nichts machen, aber vielleicht haben ja ein paar doch Bock."

Ich nickte. Zumindest Max würde ich fragen. Zoë war sich wohl ohnehin zu fein, aber vielleicht würde ich sogar die fragen. Wer weiß? Das musste ich mir selbst noch überlegen.
Plötzlich flog mir der Ball vor die Füße.
"Huch!" machte ich überrascht.

Martin grinste mich von der anderen Seite des Netzes diebisch an. "Los, jetzt! Spielen."

Ich steckte ihm die Zunge raus und machte meine Angabe.

  
Nach den ganzen Spielen war ich ziemlich erschöpft, aber irgendwie auch froh - der Schöpfer meines Gefühlschaos konnte immerhin am Ende des Trainings schon hin und wieder ehrlich schmunzeln. Erleichtert atmete ich aus als ich meine Haustür aufschloss. Noch eine Stunde, dann würde auch schon Joanne rumkommen und ich hatte noch immer keine Idee, was ich überhaupt zu dem Shooting anziehen wollte, zwar war Joanne ihrer Aufgabe wirklich nachgegangen und hatte mir einige Inspirationen geschickt, aber solche Sachen besaß ich ganz einfach nicht. Nun seufzte ich doch. Das konnte ja was werden...
Immer wieder ging ich durch meinen Schrank. Der war voll wie Schränke das meistens sind, aber wieder einmal fand ich nichts zum Anziehen. Plötzlich fiel mir Pascals Brief in die Hand.
Kauf dir auch mal was schönes, was dich an mich erinnert.
"Hast ja Recht." dachte ich und faltete das Papier zusammen.

Als es an der Tür klingelte hängte ich mir meine dunkelgrüne Ledertasche um.
"Planänderung." sagte ich und zog Joanne hinter mir her. "Wir gehen shoppen."

"Ähm... Wie jetzt?" fragte sie überrascht.

"Mein Bruder hat mir einen Brief geschrieben, viel mehr 'ne klitzekleine To-do-Liste. Da steht, dass ich mir was kaufen soll, was mich an ihn erinnert. Ich werde mir jetzt mein erstes eigenes Sommerkleid kaufen." erklärte ich.

"Du bist ein kleines Chaos auf zwei Beinen, Camilla." merkte sie mit einem Grinsen an. "Dann mal los."

Ja, mein Chaos wurde nur von Plänen im Zaum gehalten und gerade waren die wenigen Pläne, die ich besaß, überwiegend die, die mein Bruder für mich gemacht hatte. Danach brauchte ich neue eigene Pläne, aber bis dahin würde ich die von Pascal abarbeiten.

Joanne musste erst beim Café anhalten und sich einen Chai Latte to Go mitnehmen bevor wir die Shopping Meile wirklich betraten. Ich war auch gar nicht mal so sicher wie gut die Idee mit Shoppen am Samstag in Trier war, da heute wie üblicherweise am Wochenende viele Leute unterwegs waren. Großstädte... Wir hangelten uns von Laden zu Laden. Es dauerte wirklich.

"Uh, guck mal. Der ist heiß." Joanne stupste mich an und deutete auf einen Typen, der unweit von uns entfernt mit einigen Kumpel lief.

Ich rollte theatralisch mit den Augen. "Ich hab beinahe mein Gehirn gesehen."

"Du bist ein Affe, Camilla. Wieso sind wir überhaupt befreundet?" Das war wohl eine rhetorische Frage. Aber immerhin lachte Joanne.

"Bestimmt wegen meinem fragwürdigen Humor und dem unsympathischen Charakter." antwortete ich ironisch, auch wenn sie keine informative Antwort haben wollte.

"Jaaaaha, genau deswegen!"

Nun lachten wir beide.

"Was ist denn mit Felix?" fragte ich suggestiv und wackelte mit den Augebrauen.

"Was ist denn mit Felix?"

"Sag du es mir?"

"Weiß ich noch nicht. Aber gucken darf man, oder?"

"Schätze schon."

Aufeinmal streifte mein Blick eine kleine Boutique. "Da gehen wir rein!" sagte ich schnell und zog Joanne ganz einfach mit.
Schnell fand ich mir das Kleid aus dem Schaufenster. Eine A-Linie mit Knopfdekor und Bowknot im Dekolleté. Die Khakigrüne Farbe passte genau zu meinen Augen und durch die Spaghettiträger blieben die Schultern frei. Außerdem war es nicht zu kurz... Und es besaß einen Bund im Taillenbereich, wodurch man es perfekt anpassen konnte. Ich war also schockverliebt.

Ich hielt das Kleid vor mich während Joanne es betrachtete.
"Joaaaa.." meinte sie anerkennend. "Zieh mal an."

Wie geheißen ging ich samt Kleid zur Umkleide und schlüpfte hinein. Ich mochte es wenn Shoppen so einfach war: im Schaufenster sehen, passende Größe suchen, anprobieren, passt, kaufen. So leicht musste das für mich sein und so leicht war es gerade.
Ich drehte mich in dem Kleid vor Joanne. Der Rock wirbelte so schön mit.
Sie nickte.
Also wieder ausziehen. Wieder verschwand ich in die Kabine. Als ich es auf den Haken hing warf ich einen Blick auf das Preisschild.
"Uff," machte ich, "fast 60,- €."

Aber man gönnt sich ja sonst nichts... Außerdem wollte ich was schönes, was mich an meinen großen Bruder erinnerte.  Es war also beschlossene Sache.

Primo Victoria - Von Hengsten und MädchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt