Heute war wieder einer dieser Tage an dem sich mein Großvater mit zum Platz gesellte. In welcher Welt dachte ich eigentlich, dass ich einen Trainer brauchen würde, ich hatte ja schon einen. Und der war gut... Nur gerade zog er mir mal wieder die Hammelbeine lang, wie er es nannte.
Tja, eigentlich sollte man denken, dass ich ganz gut ritt, immerhin hatte ich Esperanza selbst bis zur mittelschweren Klasse ausgebildet, aber egal wie gut man mit einem einzigen Pferd war, man musste es auf vielen Pferden können. Nur weil ich wusste wie bei Esperanza Traversalen und Galoppwechsel gingen hieß das ja noch nicht dass ich es eins zu eins bei Primo so anwenden konnte. Ganz und gar nicht.
Aber Opa! Opa der wusste das. Der fand den Schalter.
Mit einer langen Gerte bewaffnet half er uns auf die Sprünge, ohne den Hengst zu berühren. Erst im Schritt und dann im Trab. Er verbesserte all meine bisherigen Bemühungen so einfach, als konnte er in Primos Kopf gucken."So, jetzt versuch es allein." ermutigte er mich. "Aber denke dran, nicht so spektakulär reiten wollen. Das kommt. Jetzt musst du das erstmal festigen."
Die nächste Diagonale nahm ich mir also vor.
Bevor ich aber wirklich an die Lektion ging klopfte ich Primo zweimal leicht mit dem äußeren Schenkel an, quasi unser Geheimsignal. Wie bei vielen Dressurpferden klappten seine Ohren leicht auf die Seite als er sich völlig auf das Kreuzen seiner Beine konzentrierte.
Es war so, so viel Vorarbeit im Schritt notwendig gewesen nur um dann endlich kleine Tritte im Trab zu finden. Wir hatten viel Zeit benötigt um den Ablauf seiner Beine zu automatisieren. Aber jetzt, hier in diesem Moment, hatte ich das Gefühl, dass er es verstanden hatte. Mein kluger Esel.
"Weg mit den Poten vom Maul!" tadelte mein Großvater. Mit Poten meinte er natürlich Pfoten, also eigentlich meine Hände."Verzeihung, mein Junge," murmelte ich so dass nur Primo es hörte, "ich war ein Depp."
Aber Primo Victoria ließ sich natürlich nicht beirren. Er zog seine Linie durch. Es war ganz beeindruckend wie hoch konzentriert und zielstrebig er arbeitete, wenn er herausgefunden hatte was von ihm verlangt wurde.
Zur Belohnung dürfte er wieder galoppieren. Sein Lieblingsgang."Lass ihn tanzen, Camilla."
Tanzen. Das konnte mein Hengst. Mit ganz wenig Aufwand fing ich ihn auf und da war plötzlich diese Leichtigkeit in seiner Aufrichtung, diese selten dagewesene Leichtigkeit. Meine Hände waren schulterbreit auseinander während ich all den Schwung abfederte. Mir erschien sein Hals so massiv und im Vergleich zu früher war er das mittlerweile auch.
Mein Großvater lächelte zufrieden.
"Na gucke mal wer gar nicht mehr landen will."So fühlte sich das tatsächlich an. Primo war endlich ganz und gar zurück aus seiner Zwangspause und er war verdammt bereit.
Ba-dumm. Ba-dumm. Ba-dumm. Galoppsprünge. Große Galoppade auf einem noch größeren Platz. Und mein Herzschlag: ging mir bis zum Hals. Was für ein Gefühl! In diesem Moment gelangte ich zu der Erkenntnis dass wir es wirklich schaffen konnten bis zum Cup für die Dressur fit zu sein.Wie fast immer wenn Großvater da war erschien auch Mr. Chapman am Reitplatz. Auf seinem Gehstock gestützt beobachtete er das Geschehen. Er schaute uns ganz zufrieden und mit einem wohlwollenden Gesichtsausdruck an.
Ich parierte zum Trab durch. Und auch im Trab begeisterte Primo. Er war so locker dass er mir plötzlich Tritte hinzauberte bei denen ich erst einmal Mühe hatte sie auszusitzen. Verrückt... Wenn ich solche Tritte doch nur immer rauskitzeln könnte! Doch bis es soweit war würden wir noch einige Trainingseinheiten benötigen, allerdings sollte es für heute vorerst genug sein. Mein Opa sah das zum Glück genau so, weshalb wir die Schuffterei für heute beendeten. Primo hatte seine Satteldecke bereits durchgeschwitzt und ich mein Shirt, womöglich hatten wir unsere Arbeitstemperatur bereits vor einer halben Stunde erreicht und waren nun kurz vorm Siedepunkt. Fühlte sich zumindest so an.Als ich den Hengst mit dem Schlauch abduschte um den Schweiß abzuwaschen hatte ich auch meine Schuhe ausgezogen und kühlte meine Füße im kalten Wasser. Aus meiner Reithose rauszukommen würde wohl die nächste Katastrophe werden. Unter meinen Chaps musste ich ebenso geschwitzt haben wie Primo unter seiner Satteldecke, weshalb der Volllederbesatz der Hose nun an meinen Beinen festklebte. So fest wie er nur kleben konnte. Unangenehm!
Die beiden älteren Herren unterhielten sich derweil über alle Pferde im Stall. Im Gespräch war gefühlt jedes Pferd einmal geritten worden. Typisch. Der Spruch "Jemandem etwas vom Pferd erzählen" kam nicht von ungefähr.Nachdem ich Primo in den Paddock entlassen und mich selbst umgezogen hatte kehrte ich mit dem Zeitungsartikel zu Mr. Chapman zurück.
"Ich hab gesehen, Pfingsten ist ein Geländetraining in der Nähe. Ich denke das wäre eine gute Gelegenheit nochmal woanders mit ihm zu üben." erklärte ich.
Mr. Chapman nickte. "Mich musst du nicht überzeugen. Nimm jede Möglichkeit mit, die du kriegen kannst, Camilla."
"Ich bräuchte nur jemanden, der uns fährt." murmelte ich etwas verlegen.
"Frag doch einen von den Jungs," antwortete er leichthin, "Henning kann dir da bestimmt aushelfen."
Henna... Ja, ich könnte ihn zumindest fragen. In der Tat, die Idee gefiel mir. Als ich Zuhause war schrieb ich ihm also eine Nachricht:
>Hey, Henna. Ich hab einen Überfall auf dich vor.<
Ich schickte ihm ein Foto von der Ausschreibung des Trainings.
>Du hast nicht zufällig Zeit und Lust mit mir dahin zu fahren?<Es dauerte eine Weile bevor ich eine Antwort bekam und in der Zeit duschte ich noch.
Irgendwann antwortete er mir jedoch:
>Na moin. Du muss ich gucken ob ich da arbeiten muss. Ansonsten gut möglich. Ich frag dann aber noch meine kleine Cousine ob sie dort mit Bärchen mitmachen will. Wenn's okay ist?<>Klar, super okay.<
>Gut, gut. Dann sprechen wir die Tage im Stall nochmal.<
Ich freute mich. Dann würde ich sogar seine kleine Cousine kennenlernen. Wenn er allerdings keine Zeit hatte, dann würde ich doch noch Jörg fragen müssen. Einer von beiden konnte mir sicher aushelfen, meine erste Wahl wäre natürlich Henning.
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Primo Victoria - Von Hengsten und Mädchen
Teen FictionEs war alles perfekt! Camilla hatte sich mit ihrer Reitbeteiligung, der wunderbaren Stute Esperanza, für den Jugend-Fördercup qualifiziert. Doch erstens kam es immer anders und zweitens als man dachte. Die Tochter der Besitzer hatte sich ebenfalls...