Montag war üblicherweise der Tag, an dem ich nicht bei Primo Victoria war, weil es zeitlich nicht so gut passte. Heute allerdings war ich für einen Ausritt zu ihm gefahren. Alles andere wäre auch nicht fair, immerhin hat er am vergangenen Wochenende alles möglich gemacht. Er war mein Partner, nicht irgendein Sportgerät, was man dann wieder in die Ecke stellte.
Seine Mähne war noch wuschelig von den Zöpfen, was ihn ein etwas Burschenhaftes Aussehen verlieh. Irgendwie ganz niedlich. Ich halfterte den bunten Hengst auf und band ihn auf dem Gang an als Henning zu uns kam. Er klopfte Primos Hals, weshalb ich ihn überhaupt bemerkte.
"Henna!" sagte ich überrascht.
"Na, Kurze." begrüßte er mich mit einem breiten Lächeln. "Wie lief dein Gelände?"
Ich begann Primo Victoria zu striegeln, während wir erzählten. "Eigentlich ganz gut. Alles ist heile geblieben, war wichtig, das einfach in trockenen Tüchern nach Hause zu bringen."
"Ist doch super."
Ich nickte. "Joa, Platzierung war natürlich nicht drin, aber das ist ja erstmal nicht so schlimm."
"Kommt schon. Guck mal, in Springen seid ihr jetzt auch ständig vorne dabei. Hast du das am Anfang gedacht?"
"Nein," ich lachte auf, "tatsächlich nicht. Naja, Joanne hat ja die Dressur gefilmt, die will ich später noch mit meinen Großeltern angucken."
"Mach ma. Der wird dir auch sagen, dass du besser geritten bist."
"Hoffentlich..."
Henning klopft noch ein letztes Mal auf Primos Hals und wollte gerade gehen.
"Henna, weißt du von dem Angebot?"
Der Stallbursche hielt inne. "Welchem?"
"Das, was ich von Mr. Chapman bekommen hab?"
"Nein, weiß ich nichts. Worum geht's denn?"
Ich legte das Putzzeug beiseite um das Sattelzeug des Hengstes zu holen. Henna folgte mir und nahm mir schließlich den Sattel ab, damit ich die Trense und die Gamaschen einsammeln konnte.
"Er hat mir eine Ausbildungsstelle angeboten. Und ich weiß nicht so richtig, was ich machen soll, Henna."
"Hmm..." brummte er bedächtigt. "Da kann ich dir auch nicht wirklich weiterhelfen, Kurze. Aber ich denke, wir hätten dich alle gern hier im Team... Du hast die Katastrophen noch nicht gesehen, die sich hier so vorgestellt haben. Ist mehr als verständlich, dass der Chef dich gefragt hat und ich denke, du hättest hier 'ne gute Lehrstelle. Er hat auch kein Problem damit dir richtige Kracher unter den Arsch zu knallen, wenn du reiten willst. Aber du musst dir auch drüber bewusst sein, dass man es als Bereiter nicht leicht hat. Erstmal sind gute Ställe schwer zu finden, es geht auf die Knochen und eigentlich lebt man im Sommer ein Zigeunerleben. Das musst du alles bedenken. Nicht überall geht es so entspannt zu wie hier."
"Wäre ja für Zucht und Haltung..."
"Wir landen letztendlich fast alle auf dem Pferd. Und auf die anderen Arbeitsstellen auf dem freien Markt kommen einige Bewerber, falls du mal nicht mehr hier arbeiten möchtest."
"Das klingt so als wenn du es mir ausreden willst."
Nun sah der ältere mich mit den ehrlichen und warmen Augen eines großen Bruders an und lächelte. "Ich will nur, dass dir das klar ist, bevor du dich entscheidest. Ich hätte nichts lieber als dich hier als Kollegin, aber jemand muss auf dich aufpassen."
Ja, jemand musste wirklich auf mich aufpassen, jetzt, wo Pascal nicht mehr da war. Ich war dankbar dafür und auch für die ehrlichen Worte. Wenn man immer nur in seinem eigenen, kleinen Kreis blieb, dann kam man oftmals immer zu den selben Lösungen, aber womöglich stand meine Entscheidung schon fest.
"Kann ich vielleicht deine Zeit nachmittags mal in Anspruch nehmen?" fragte ich zögerlich. "Wenn mehr Zeit ist, oder so? Ich kann da sonst mit keinem richtig drüber sprechen..."
"Öhm, klar." entgegnete er ein wenig verwirrt.
"Keine Sorge, das soll kein Date oder so sein. Ist vielleicht auch 'ne komische Frage gewesen."
Jetzt lachte Henning. "Nein, das war auch nicht meine Sorge. Dachte nur, wenn du mich schon fragst, dann muss es wohl dringend sein."
"Etwas..."
"Dann gleich morgen."
"Danke, Henna, wirklich..."
Ein hochgezogener Mundwinkel, gefolgt von einem Schnauben und einem Kopfschütteln. Dann nickte er und ging.
Henning behielt übrigens Recht, mein Großvater verstand die Bewertung ebenfalls nicht. Wir saßen im Wohnzimmer und teilten uns ein Radler, während wir das Videomaterial gemeinsam ansahen. Selbst er fand, dass die Prüfung eine meiner besten gewesen war und hatte entsprechend wenig zu bemängeln. Sogar ein bisschen Lob für Primo und mich fiel dabei ab. Stolz hielt ich meiner Großmutter den Umschlag mit den Fotos hin. Wie immer saßen die beiden nah beieinander. Ich bewunderte still ihre Liebe als sie zusammen die Bilder betrachteten.
"So eins hätte ich auch gerne für die Stube." sagte meine Großmutter mit einem Lächeln. "Denkt ihr beim nächsten Mal dran? Oder wir könnten ja auch mal wieder mitfahren. Das wär doch was schönes."
"Ja, das könnt ihr auch gerne." erwiderte ich.
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Primo Victoria - Von Hengsten und Mädchen
JugendliteraturEs war alles perfekt! Camilla hatte sich mit ihrer Reitbeteiligung, der wunderbaren Stute Esperanza, für den Jugend-Fördercup qualifiziert. Doch erstens kam es immer anders und zweitens als man dachte. Die Tochter der Besitzer hatte sich ebenfalls...