Ich fragte mich schon eine Weile wer Charlie war, ungefähr seit ich das erste Mal von ihr gehört hatte. Unser erstes Zusammentreffen war dennoch sehr unspektakulär. Vor mir stand plötzlich eine zierliche Blonde, mit einem frechen, welligen Bob-Schnitt und beeindruckenden blau-grünen Augen. Ihre Augenringe verrieten zwar, dass sie eine lange Reise hinter sich hatte, aber sie schien bestens gelaunt.
"Du musst Camilla sein." stellte sie fest und streckte mir die Hand entgegen. Ihr Akzent war typisch amerikanisch. "Ich bin Charlie. Also eigentlich Charlotte, aber alle sagen Charlie."
Zugegeben, ich war etwas überrumpelt, aber ich schüttelte höflich ihre Hand und nickte. Fremde Menschen überforderten mich manchmal ein wenig, allgemein fiel es mir leichter mich, wenn man einen gemeinsamen Freund hatte und dieser mich ins Gespräch integrierte. Jörg war allerdings keine große Hilfe. In diesem Moment fehlte mir irgendwie Henna. Aber Charlie war nicht auf den Mund gefallen. Das erste Aufeinandertreffen hätte also wirklich nicht seltsamer, aber auch nicht authentischer sein können: ich, die nach Pferdeschweiß roch und nach Pferdemädchen aussah, und Charlie, die Augenringe hatte und Cowboystiefel trug. Charlie war eine originelle Persönlichkeit und ich war mir nicht sicher, ob jemand mit Cowboystiefel, Glitzertop und Rock überhaupt unsympathisch sein konnte. Sie und zwei weitere Mädchen, die weniger wach waren, stiegen zu mir in den Jimny, während der Rest bei Jörg in den Transporter einstieg. Es dauerte keine fünf Minuten und die anderen beiden waren auf der Rückbank eingeschlafen, ihre bunten Reisekissen stützten ihre Köpfe.
"Onkel hat erzählt, du reitest den bunten Hengst. Funktioniert es gut?" erkundigte sich Charlotte leise.
"Primo? Ja, er ist ein Traum. Kennst du ihn?"
Sie nickte unsicher: "Nur von Behandlungen."
"Bist du ihn nie geritten?"
"Ich? Oh nein. Er war nicht bereit dafür."
Neugierig warf ich ihr einen kurzen Blick zu.
"Was hast du bei ihm behandelt?""Diaphragmen und Kleinigkeiten an der Scapula." Ich war so schlau wie vorher. Sie fügte hinzu: "War als wenn man in ein Nadelkissen fasst."
"Was?"
"Seine Energie. Pure Chaos."
"Keine Ahnung." murmelte ich. Ich wusste wirklich nicht wovon sie sprach.
"Ich zeig es es dir, wenn ich erstmal ausgeschlafen hab."
Ich nickte. Zumindest war Charlie sehr extrovertiert und wir hatten ein Thema zum Erzählen.
Jörg und ich lieferten die Gruppe bei Mr. Chapmans Haus ab. Es gab wohl noch irgendwo ein Ferienhaus im Ort, wo einige von ihnen unterkamen. Ich stemmte die Hände in die Seiten.
"Was machen wir jetzt?" wollte ich wissen.
Der ältere legte einen Arm über meine Schultern und drehte mich mit sich.
"Stallarbeit?""Also quälst du mich nicht weiter mit Training." stellte ich fest.
"Nope." antwortete er und ploppte das P. "Wollen wir zum Mittag Döner essen?"
"Wenn du ausgibst?"
"Na gut. Nächstes Mal bist du dran." seufzte er ergeben.
Wir bereiteten die Boxen für den Abend vor und kontrollierten die Wiesen. Es fühlte sich nicht an wie arbeiten, wenn man auf dem Gestüt war. Hier hatte alles seine eigene Zeit und ich war gerne hier. Jedoch fragte ich mich manchmal schon wie die drei Jungs all das neben dem Training noch schafften - immerhin gab es hier viele Pferde, viele Wiesen und viele Boxen.
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Primo Victoria - Von Hengsten und Mädchen
Teen FictionEs war alles perfekt! Camilla hatte sich mit ihrer Reitbeteiligung, der wunderbaren Stute Esperanza, für den Jugend-Fördercup qualifiziert. Doch erstens kam es immer anders und zweitens als man dachte. Die Tochter der Besitzer hatte sich ebenfalls...