Die Woche darauf war es endlich soweit. Manche Tage bis hier her waren nur sehr zähflüssig vergangen, andere hingegen gerast.
Gerade verkündete die Schulglocke den Unterrichtsschluss und als ich den Raum verließ wäre ich beinahe über meine eigenen Füße gestolpert. Joanne lachte amüsiert. Ich hatte ihr natürlich gesagt, dass mein Bruder mich abholte und ich es deswegen eilig hatte.Suchend flog mein Blick über den Schulhof, bis ich ihn erblickte. Er winkte, dieser große Kerl.
Ich lief zu ihm und schloss meine Arme stürmisch um ihn.
"Junge, hab ich dich vermisst!" sagte ich aufgeregt und sah zu meinem Bruder auf."Bist du gewachsen?"
"Kaum mehr. Aber es ist trotzdem lange her."
Er grinste. "Naja, der Babyspeck ist zumindest weg."
"Hey!"
"Na komm schon." sagte er und ging zu seinem kleinen, schwarzen Golf.
Es roch wie immer nach seinem Parfüm in dem Auto, Pascal nutzte immer das gleiche.
Als ich saß startete er den Motor und legte den Gang ein.
Wenn man uns nebeneinander stellte sah man auf den ersten Blick kaum, dass wir Geschwister waren. Pascal kam etwas mehr nach meinem Vater. Er war groß, circa 1,89 m, und er hatte meistens eine Wuschelfrisur, auf die er unheimlich stolz war - auch jetzt waren seine Haare endlich wieder gewachsen. Durch die Chemotherapie waren sie alle ausgefallen und er hatte in Folge dessen nur noch Snapbacks getragen. Die Caps waren geblieben, aber er trug sie nicht mehr ständig. Ich wuschelte durch seine Haare."Schön, dass sie wieder lang sind." meinte ich und lächelte.
"Ja, oder? Hab sie auch vermisst. Sag mal, wollen wir morgen Abend einen Geschwister-Abend machen und ins Kino gehen?"
"Klingt gut. Mit Essen?"
"Natürlich mit Essen!" Pascal lachte.
Zuhause war die Freude groß als meine Eltern ihren Sohn wiedersahen. Nach dem großen Hallo ließ ich die drei im Wohnzimmer zurück und ging in mein Zimmer um mich einiger Hausaufgaben zu widmen.
Joanne schrieb mir:
>Und? Wie ist die Stimmung?<>Gut, sie sitzen unten und erzählen. (: Muss noch Hausaufgaben machen... Aber morgen gehen wir zusammen ins Kino.<
Ich legte das Smartphone wieder beiseite und widmete mich den Rechnungswesen-Kram. Ein tiefes Seufzen entschlüpfte mir. Irgendwie hasste ich die Schule... Naja, nur noch anderthalb Jahre, dachte ich.
Der Regen trommelte gegen die Scheibe, weswegen ich fünf Minuten vor meinem Wecker wach war. Manchmal bewunderte ich diese Wetterumschwünge - gestern war es noch so schön gewesen. Vorsichtig streckte ich einen Fuß unter der Bettdecke vor... Dad hatte mit Sicherheit aufgehört zu heizen, zumindest bis wieder Winter war. Kalt. Am liebsten hätte ich mich wieder eingemurmelt und noch geschlafen, fünf Minuten lohnten sich in meinen Augen schon um nochmal zu schlummern, aber ich wusste auch wie geledert ich danach wäre... Beziehungsweise wie schlecht ich dann erst Recht aus dem Bett kam.
"Also gut..." murmelte ich und schlug die Decke beiseite. "Das Leben muss ja irgendwie weitergehen."Zu meiner Überraschung saß mein Bruder auch schon am Tisch als ich frisch gemacht unten ankam.
"Pascal!"Er sah auf.
"Ah, guten Morgen. Kaffee?""Ich trinke keinen," entgegnete ich und setzte mich zu ihm, "wieso bist du schon wach?"
Er zuckte mit den Schultern.
"Dachte, ich bringe dich zur Schule."Ein wenig wunderte mich seine Fürsorge schon, andererseits hatten wir uns lange nicht mehr gesehen, vielleicht wollte er nur möglichst viel Zeit mit mir verbringen.
"Cool." meinte ich mit einem Lächeln. "Und heute Nachmittag fahren wir zusammen zu Primo?"
"Klar, warum nicht? Guck ich mir die bunte Kuh halt mal an."
Ich schnaubte. Bunte Kuh. Ob er je damit aufhören würde Primo so zu nennen? Immerhin wusste doch alle Welt, dass er zur Hälfte Esel war... Okay, vielleicht war die andere Hälfte auch Kuh - manchmal stellte er sich schließlich wirklich an wie ein Ochse.
Die ganze Mannschaft saß in der Cafeteria, mit von der Partie war Joanne.
"Können wir morgen vielleicht vormittags was machen? Ich muss zum Kaffeetrinken bei meinen Großeltern sein, Oma hat Geburtstag." erklärte Felix etwas wehleidig."Klar, von mir aus." meinte Eva.
Die beiden Martins stimmten ebenfalls zu und dann sahen alle mich an.
Ich hob abwehrend die Hände. "An mir soll es nicht scheitern, aber nicht zu früh. Ich bringe noch Besuch mit.""Uuuh," machte Eva verheißungsvoll, "wen denn?"
Ich zog meine linke Augenbraue skeptisch in die Höhe. "Meinen Bruder."
"Ach menno. Ich dachte, du stellst uns wen vor."
Joanne lachte. "Den einzigen, den sie dir sonst vorstellen würde, ist Primo, Eva."
Zustimmend nickte ich. Wo sie Recht hat hat sie Recht.
"Er ist ein wirklich unterhaltsamer Zeitgenosse." fügte ich ironisch hinzu.Wir verabredeten uns für 9:30 Uhr bei Eckert. Ab April konnten wir nachmittags sicher schon draußen Volleyball spielen bei dem anderen Martin. Ich war schon gespannt wie er wohnte.
"Machen wir eigentlich mal 'ne Grillparty?" fragte ich unverblümt. "Also wenn wir draußen spielen können - so im April vielleicht?"
Zuerst waren alle von meinem Gedankensprung verwirrt, doch dann als sie darüber nachgedacht hatten stimmten sie zu.
"Die Idee gefällt mir," meinte Felix mit einem Grinsen, "wir könnten noch einige Leute zum Angrillen einladen. Immerhin hätten wir dann gleich noch ein Gegnerteam."
"Ja, nice!" jubelte Eva.
Wir hatten also einen Plan.
Nach der Schule war ich mit meinem Bruder zu Primo Victoria gefahren.
Gerade standen wir vor der Box des Hengstes:"Das ist er also?" erkundigte sich Pascal und hielt seine Hand an die Gitterstäbe an der Primo nun schnüffelte.
"Ja, das ist er," bestätigte ich und öffnete die Box.
"Irgendwie hatte ich ihn mir größer vorgestellt... Aber vielleicht ist er ja für ein Pferd ziemlich groß."
"Gibt sicher noch größere, aber ich finde ihn schon gewaltig." entgegnete ich während ich meinem Schecken den Hals streichelte.
"Und den kannst du hohe Sprünge reiten?"
Meine Damen und Herren, ich präsentiere: meinen Bruder - der, wie Sie vielleicht schon bemerkt haben, gar keine Ahnung von Pferden hat.
Ein wenig musste ich ja schon schmunzeln, zumindest gab er sich Mühe."Der springt gut, aber ich hab noch nicht alles getestet an ihm." gestand ich.
"Ich dachte, die Testphase wär schon abgeschlossen und du reitest ihn zum Cup." sagte er verdutzt.
"Dass ich ihn zum Cup reite steht außer Frage, deswegen hab ich aber noch nicht alles an ihm getestet. Es ist ein ständiges Lernen."
"Verstehe. Sieht aber so aus als wenn er dich mag. Nicht dass ich Ahnung hätte."
Zumindest hoffte ich dass Primo mich mochte. Aber es deutete alles daraufhin, auch wenn ich mir manchmal nicht sicher war.
Als ich im Sattel saß schoss Pascal einige Bilder. Der Hengst war wirklich fotogen, er stand da wie eine Statue. Nur leider war ich meistens nicht so fotogen...
Ich wollte heute nur eine kleine Runde auf den Dressurplatz gehen, immerhin war es doch ziemlich frisch draußen und ich wollte nicht, dass Pascal sich langweilt.
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Primo Victoria - Von Hengsten und Mädchen
Ficção AdolescenteEs war alles perfekt! Camilla hatte sich mit ihrer Reitbeteiligung, der wunderbaren Stute Esperanza, für den Jugend-Fördercup qualifiziert. Doch erstens kam es immer anders und zweitens als man dachte. Die Tochter der Besitzer hatte sich ebenfalls...