Das Kapitel über Springtraining

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Nächste Woche war bereits mein Geburtstag und darauf die Woche würde Mr. Chapmans Nichte mit den Mädchen zu Besuch kommen. Große Ereignisse warfen ihre Schatten voraus und auf dem Gestüt herrschte bereits helle Aufregung. Doch noch nutzte ich die freie Zeit um zu trainieren, immerhin gab es da noch einige Lektionen zu lernen. Seit ich meinen Ausbildungsvertrag unterschrieben und den Jungs davon erzählt hatte half mir nun auch Thomas vermehrt mit dem Springtraining. Ich musste zugeben, ich hätte nie gedacht, dass er so ein guter Lehrer war. Technisch lernte ich mehr als ich in all den Jahren davor von anderen Trainern lernen konnte und ich wünschte mir an dieser Stelle, dass mal jemand mit mir so deutlich über meine Finanzen geredet hätte - ich wäre vielleicht schon Millionärin gewesen.

"Reit das jetzt mal auf sieben Galoppsprünge." forderte er mich auf.

Normalerweise wäre ich diese Distanz auf fünf geritten und jetzt sollten wir mit sieben zum nächsten Sprung reiten? Noch zwei Tage zuvor wollte ich ihn für wahnsinnig erklären, doch heute klappte es schon sehr gut. Es war natürlich ziemlich anstrengend von der Kopf-Sache her, aber Primo bewies mir, dass er verstand, was ich von ihm wollte und dass er genug Kraft besaß. Er brannte für diese Aufgabe.

"Prima, Camilla." lobte Thomas uns immer wieder.

Dann stellte er uns Cavalettiblöcke auf einer Linie und ließ mich mit Primo drüber springen. Auf die Idee wäre ich niemals gekommen und beim ersten Versuch lief Primo auch vorbei. Thomas legte zwei Stangen als Einflugsschneise auf den ersten Block und dann verstand Primo das Konzept. Durch das Training mit Thomas lernte ich überhaupt erst Distanzen richtig zu sehen und mir die Galoppsprünge zurecht zu legen. Dieser Unterricht war definitiv mit keinem Geld der Welt zu bezahlen.

Nach unserer Unterrichtsstunde ritt ich Primo wieder auf dem Kiesweg zum Stall während Thomas neben uns herlief. Er war total in seinem Erklärmodus vertieft und gestikulierte grob mit seinen Händen.
"Jetzt federst du schon ganz anders nach unten durch. Da kann man echt hingucken. Aber bei der Versammlung dürfen wir nachher, hinten raus, das Vorwärtsreiten nicht vergessen."

Plötzlich begegnete Jörg uns, der wie immer auf Castlevano saß, gefolgt von drei jungen Männer, die ich nicht kannte. Sie grüßten uns freundlich und einer blieb stehen um mit Thomas zu erzählen. Da Thomas anhielt bremste ich Primo Victoria ebenfalls. Der blonde, drahtige Kerl, der offensichtlich ebenfalls Bereiter war reichte erst meinem Lehrmeister und dann mir die Hand.
"Das ist also euer Wundermädchen und der Schecke, von denen gerade alle sprechen?"

"Camilla, der Schweinehund ist Philipp Meester," stellte Thomas uns vor, "Stutenmeister im Hauptgestüt und Ausbilder von den Lehrlingen dort."

"Oh, o-okay." entgegnete ich überrascht.

Der andere kratzte sich verlegen am Kopf und Thomas fügte hinzu: "Wenn er dir ein Angebot macht, hör nicht hin."

Ich wusste nicht wie ernst Thomas das meinte. Zwar versuchte er es ironisch klingen zu lassen, aber an der Sache war mehr.

"Hey, es ist schwer gute Lehrlinge zu finden." beschwerte Philipp sich.

"Kann nicht klagen." erwiderte Thomas.

"Ist sie eure neue Auszubildende?" erkundigte er sich und als ich nickte fuhr er fort: "Nicht schlecht. Ich bin neidisch. Naja, wir werden sehen."

Was sollte das denn heißen?

Thomas lachte verächtlich, dann sah er zu mir hoch und nickte. Wir setzten unseren Weg fort.
Nun sagte Thomas leise, sodass nur ich es hörte: "So lange wie ich den Typen kenne, will er sich schon mit mir messen. Egal worum es geht." Dabei sah er weiter geradeaus. "Sei etwas vorsichtig."

"Aber..-"

"Henna hat dich vorgewarnt, nicht?"

"Ja..." antwortete ich besorgt.

"Vertrau ihm."

"Ich kann doch sowieso nicht ohne Primo Victoria." meinte ich leicht hin und erntete dafür ein amüsiertes Lächeln von Thomas.

Ja, vielleicht war ich ein bisschen naiv, aber Primo Victoria war mein Ein und Alles. Ich hatte ja gar nicht vor meine Ausbildungsstelle zu wechseln.
"Sollten die nicht eigentlich letzte Woche schon dagewesen sein?"

"Waren sie auch." Er zuckte mit den Schultern.

Was sie nur wollten? Zugegeben: durch Hennas und Thomas' Warnungen hatte ich nicht das beste Bild von den Gestütlern. Aber vielleicht machten sich die beiden auch zu große Sorgen um mich. Vorallem Henna war das durchaus zuzutrauen.
Thomas half mir beim Absatteln als wir im Stall waren. Primo brachte ich danach auf die Weide und entschloss mir die drei dann doch mal von nahem anzusehen. Mr. Chapman war ebenfalls am Dressurplatz anzutreffen während Jörg den Rapphengst ritt.

Früher, als ich ein kleines Mädchen gewesen bin, war es immer mein Traum später mal einen attraktiven Reiter kennenzulernen und ihn zu daten. Jetzt war ich quasi umgeben von einigen attraktiven Exemplaren und dennoch interessierten mich nur die Pferde und die Gespräche über Pferde. Das kleine Mädchen von damals würde mir jetzt wahrscheinlich gegen den Brustkorb trommeln und mich anschreien, was ich denn da tat, aber das half nichts. Der einzige Mann, der, neben dem ganzen Pferdekram, in meinem Kopf Platz hatte, war Martin.

Ich gesellte mich zu Mr. Chapman und beobachtete Jörg. Bei ihm sah das so leicht aus, wenn er die Lektionen der schweren Klasse durch ritt. Ob das jemals jemand von mir behaupten würde?

"Ach, Camilla." stieß Mr. Chapman hervor als er mich bemerkte und auch die drei Herren drehten sich zu mir um. "Wir haben gerade von dir gesprochen?"

"Tatsächlich?"

"Ja, ich habe ihnen erzählt, dass du bei uns anfängst...
... Seitdem machen mir die Herren irgendwie einen etwas trübseligen Eindruck. Ich weiß auch nicht."

Dieser alte Mann! Wie mein Großvater auch, liebte er es ständig und überall Spitzen zu verteilen. Beinahe hätte ich laut losgelacht.

"Ist das so?" fragte ich und schmunzelte.

"Ach, naja," bemühte sich Philipp zu erklären, "immer schön sympathische Leute kennenzulernen."

Wir hatten kaum drei Worte gewechselt und ich war mir noch lange nicht sicher, ob ich Philipp Meester als sympathisch einstufen konnte. Ich blickte ihn an und meinte: "Passiert mir auch nicht oft."

"Kommt ihr mal wieder bei uns zum Training?" erkundigte sich ein jüngerer mit schwarzen Haaren und einer etwas höheren Stimme.

Mr. Chapman sah mich an, also bemühte ich mich zu antworten: "Kann ich noch nicht sagen."

"Wir würden uns freuen."

Plötzlich sagte eine vertraute Stimme hinter mir: "Die drei Ganoven vom Dienst."
Henna. Gott sei Dank. Er stellte sich direkt neben mich und legte mir eine Hand auf die Schulter. Danach wurden die Gespräche irgendwie einfacher und unverfänglicher. Es war sogar möglich sich normal zu unterhalten.

Primo Victoria - Von Hengsten und MädchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt