Stallluft war einzigartige Medizin. Die Pferde, das Heu, die Sättel - all das ergab einen wundervollen Duft, dessen Wirkung man nur verstand, wenn man mit diesen tollen Tieren zu tun hatte.
Bevor ich zu Primos Box ging wanderte ich zu Miracle und ihrem Fohlen. Scheinbar genau zur richtigen Zeit. Henna war gerade dabei Miracle aufzuhalftern.
"Hey, Camilla." grüßte er als er mich bemerkte. "Wie geht's, wie steht's?"
"Ganz okay, schätze ich. Und dir? Willst du sie rausbringen?"
"Jo, hast du kurz Zeit?"
"Sicher. Soll ich-"
"Schieb mal das Fohlen hinterher, falls sie nicht mitkommt. Ist ihr erstes Mal außerhalb der Box... Und ich will nicht, dass Miri dir auf die Füße trampelt."
Ich ging hinter Henning in die Box, der die Stute hielt. Primos Tochter sah putzmunter aus und wirklich flauschig. Wirklich, wirklich flauschig. Übermütig hüpfte sie von links nach rechts als Henning Miracle rausführte. Das Fohlen war wohl ein wenig überfordert, aber ich half der kleinen einfach ihren Weg zu finden. Als sie auf dem Gang mit ihrer Mutter mitlief musste sie erst einmal ihre langen Beine sortieren. Ein Rätsel wie diese nicht enden wollenden Stelzen jemals in den Mutterleib der braunen Stute gepasst haben!
Mit etwas Abstand folgte ich den dreien. Miracle war sehr mütterlich und versuchte immer wieder sich nach ihrem Fohlen umzudrehen, was einige Male beinahe darin geendet wäre, dass sie Henning auf die Füße trat. Aber Henna war zum Glück kein Neuling in dieser Situation, ich bewunderte wie gut er die Pferde kannte - es war als wüsste er immer was er machen musste.Langsam aber sicher näherten wir uns einem Auslauf und als Mutter und Fohlen drin waren ließ Henna Miracle laufen.
Aufgeregt trabte sie ihrem Fohlen hinterher, welches erstmal Reißaus nahm - vielleicht lag das an der Desorientierung der kleinen."Hat zumindest viel Galoppade." meinte Henna beiläufig.
Ich nickte. "Sie ist schön."
Wir blieben eine Weile am Rand stehen und sahen den Pferden zu. Nicht lange und Miracle nutzte die beste Chance, die sie bekam, um sich zu wälzen. Sie konnte jedoch nur eine Seite panieren, da die kleine Scheckenstute schon wieder andere Ideen hatte und Miracle sofort wieder aufsprang um hinterherzulaufen. Es war wohl wie beim Menschen: sobald die kleinen erstmal laufen konnten gab es kein Halten mehr und auch keine ruhige Minute.
"Kannst du mir nachher vielleicht wieder beim Reinholen helfen?" erkundigte sich Henna.
"Klar. Kann ich vorher noch reiten oder können sie solange nicht draußen bleiben?"
"Sicher."
"Gut, ich wollte heute auch nicht so viel machen."
Primo Victoria wartete bereits in seiner Box. Es war immer so als würde er genau ahnen, wann ich da war. Zufrieden murmelte ich einige Worte der Begrüßung und hab ihm eine Möhre.Das Putzen verlief Recht anspruchslos, seit dem Fotoshooting hatte er schließlich nicht so viel Zeit gehabt um sich wieder einzusauen. Immerhin war es noch früh am Tage.. Obwohl Primo dafür nicht einmal viel Zeit benötigen würde. Ich war trotzdem froh, dass er es nicht getan hatte. Wenn man Schimmel oder Schecken besaß - oder andere Pferde mit viel Weiß, dann war man wohl einfach für jeden Tag dankbar an dem sie nicht aussahen wie frisch aus dem Misthaufen. Zum Glück war heute wieder so ein Tag.
"Ein guter Tag für leichtes Training." murmelte ich, ich hatte immer noch ein schlechtes Gewissen wegen des Dressurtrainings am Tag von Pascal seiner Beerdigung. Der Tierarzt hatte zwar gesagt, dass es okay wäre wieder normal mit Primo zu trainieren, andererseits war das vielleicht doch gleich ein bisschen viel gewesen. Mein Ehrgeiz war da wohl mit mir durchgegangen und das wollte ich einfach nicht... Der Cup war mir zwar wichtig, aber er war nicht so wichtig wie Primo! Der Hengst war alles was mir blieb, vorallem dann, wenn es schwer war.
Ich gurtete nach und stieg dann vom Hocker aus auf. Verglichen mit der Anfangszeit von uns konnte man zumindest sagen, dass Primo jetzt zuverlässig am Hocker stand. Mir war es wichtig die Reitstunde aus der Ruhe heraus zu beginnen und das fing nunmal beim Aufsitzen an. Kadavergehorsam wollte ich trotzdem nicht, kein Pferd musste Sachen einfach so hinnehmen. Primo sollte schon die Chance bekommen Dinge selbst zu interpretieren, das machte ihn zu dem Musterschüler, der er wirklich war - denn ich war gar nicht in der Lage ihm zu sagen wie er jedes einzelne Körperteil wann positionieren muss, geschweige denn ihm meine Idee in den Kopf zu zwingen. Man musste auch ein wenig Verantwortung beim Pferd lassen, wenn man ihm einen Handlungsspielraum gegeben hat. So entstanden neue, interessante Situationen und das Pferd behielt auch seine Lust an der Arbeit - zumindest glaubte ich, dass das ein Faktor von vielen war.Auf unserem Weg zum Springplatz kamen wir bei Miracle vorbei. Interessiert betrachtet Primo Victoria Stute und Fohlen.
Das Interesse war jedoch einseitig. Mit angelegten Ohren sprang Miracle zum Zaun und drohte meinem Hengst. Primo blieb unbeeindruckt, aber ich trieb ihn etwas vorwärts um die Stute nicht zu sehr zu stressen.Der Springplatz war leer, immerhin war es auch erst Sonntagvormittag - da war für gewöhnlich nie viel los, was irgendwie auch okay war. Mir gefiel die Zweisamkeit mit Primo.
Die ersten zehn Minuten befasste ich mich einfach nur mit Schrittreiten am langen Zügel. Verglichen mit dem ersten Monat, wo ich mir nie zugetraut hatte Primo Victoria die Zügel zu überlassen, waren wir jetzt an einem Punkt, wo man sicher schon von Vertrauen sprechen konnte.
Nachdem ich nachgegurtet hatte begannen wir mit leichtem Trab. Heute würde kein ernsthaftes Training stattfinden, vielmehr überließ ich dem Hengst die Auswahl des Tempos, was er dankbar annahm.Als der Tag sich Richtung Mitte neigte war ich auch fertig damit Primo abzusatteln. Nun gingen wir zu seiner Wiese. Auf den Weg dorthin sammelte er sich gelegentlich schon mal ein paar Grasbüschel auf. Mit gespitzten Ohren und der Nase beinahe auf dem Boden schleifend lief er neben mir her.
Als ich den Hengst laufen ließ trabte er lediglich bis zu seiner Sandkuhle, in die er sich, nach einigem Kreiseln, niederließ um sich zu wälzen.
Ich seufzte. Jedes Mal das selbe! Zum Glück war ich fertig mit Reiten.
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Primo Victoria - Von Hengsten und Mädchen
Teen FictionEs war alles perfekt! Camilla hatte sich mit ihrer Reitbeteiligung, der wunderbaren Stute Esperanza, für den Jugend-Fördercup qualifiziert. Doch erstens kam es immer anders und zweitens als man dachte. Die Tochter der Besitzer hatte sich ebenfalls...