Henning hatte seine kleine Cousine tatsächlich überredet mit zum Geländetraining zu kommen. Deshalb, als kleine Vorbereitung, ritten wir an diesem Mittwochnachmittag zu dritt zum Geländeplatz im Wald.
Ettie, wie alle sie nannten, war wirklich süß. Eigentlich hieß sie Mariette, weil ihre Mutter Französin war und es der Name ihrer Großmutter war.
Glücklich saß die zehnjährige auf Bärchen. Ich war mir gar nicht sicher ob der Fuchswallach ihr Gewicht überhaupt spürte, Ettie war von zierlicher Statur und wog womöglich keine fünfzig Kilogramm. Beim Leichttraben wippte ihr blonder, geflochtener Zopf auf und ab.
Was man ihr allerdings zugestehen musste war dass sie ihr Pferd schon wirklich gut im Griff hatte. Der Wallach lief ganz elegant in Haltung und sah unter ihr einfach so viel größer aus als damals, wo ich ihn das erste Mal unter Henning gesehen habe. Die beiden gaben so ein passendes Bild ab.
Immer wieder blickte die kleine Reiterin zu mir und Primo herüber und grinste uns breit an. Dass sie zwischen zwei Hengsten ritt schien sie gar nicht zu beeindrucken. Primo Victoria und Cashmaker waren allerdings auch nicht beeindruckt.Ein wenig Angst um Mariette hatte ich als es ans Galoppieren ging. Unbegründet. Bärchen passte auf seine Reiterin auf, er stimmte einen ganz ausgeglichenen Galopp an, er hatte es sowieso nie eilig. Und dabei sah er so süß aus mit seinem Stirnband aus braunen, beigen und brombeerfarbigen Perlen. Passend dazu trug er Schabracke und Gamaschen. Mädchenpferd.
Die beiden hatten gar keine Probleme mit uns mitzuhalten.Wie sich herausstellte war das hier ihr erstes Geländetraining. Henna half ihr fürsorglich die kleinen Sprünge anzureiten. Angst war Ettie jedoch völlig unbekannt, sie war einfach unbesorgt. Die kleine vertraute so sehr auf Bärchen und auf Hennings Anweisung.
Noch einmal so unbekümmert sein, dachte ich nostalgisch. Noch einmal so sein als wäre man nie gestürzt, - nie vom Pferd, nie mit dem Pferd- so als hätte man sich nie verletzt. Aber das gab es einfach nicht, allerdings konnte ich mich damit gut arrangieren. Primo gab mir inzwischen ein Gefühl von Sicherheit und wenn ich aufstieg blieb zumindest die meiste Angst auf dem Boden zurück. So wie Bärchen für Ettie sorgte, so war Primo Victoria mein Beschützer geworden. Er passte auf meine körperliche und seelische Unversehrtheit auf. Pferde waren schon besondere Wesen.Ich staunte nicht schlecht über Ettie. Mutig setzte sie ihre lilane Springgerte ein um Bärchen noch ein wenig vorwärtszutreiben, was von ihm mit einen kurzen Ohrenwackeln zur Kenntnis genommen wurde. Fröhlich kichernd sprang sie mit ihrem Wallach über die niedrigen Holzstämme. Es war nicht schwer zu erkennen, dass sie glücklich war.
Hin und wieder nutzte Mariette die Gelegenheit und ritt hinter Henna oder mir hinterher, wenn wir durch das Wasser galoppierten oder andere kleine Sprünge nahmen. Eine fabelhafte Schulung für sie und das Pferd.
Wenn es auf dem fremden Gelände auch so klappte, dann brauchte sich wirklich niemand um diese zwei Sorgen machen.Während Primo und Cash entspannt nach dem Training nebeneinander standen erzählten Henning und ich noch ein wenig - zeitgleich feuerte Mariette Bärchen an, auf dessen Rücken sie um den kleinen Platz galoppierte.
"Ihre Mutter ist sofort mit ihr losgefahren um eine geeignete Sicherheitsweste zu kaufen." sagte er ein wenig lästerlich. "Kann man nur hoffen, dass sie dabei bleibt und nicht nach diesem Kurs nur noch Dressur reiten will."
"Ach Quatsch." entgegnete ich lachend. "Guck doch wie viel Spaß sie hat. Sicher hört sie nicht so schnell auf."
Er grinste während seine Augen auf ihr ruhten.
"Ettie, komm! Wird langsam Zeit für den Rückweg.""Schooooooon?" rief sie quengelig.
"Ja, du weißt dass wir beide Ärger kriegen wenn wir zu spät sind." antwortete Henning.
Manchmal fiel mir nur zu deutlich auf, dass Henna die Mentalität eines großen Bruders besaß, so ein richtiger Beschützer. Dieser Gedanke brachte mich zum Schmunzeln. Irgendwie war er ja inzwischen auch sowas wie mein großer Bruder. Niemand sonst begrüßte mich mit "Hey, Kurze". Das war eigentlich immer Pascals Ding gewesen.
Da fiel mir wieder das Sprichwort ein: Freunde sind die Familie, die wir uns aussuchen. Und es traf voll und ganz zu. Henning war immer irgendwie für mich da.Mariette kam herübergetrabt und strahlte mich an.
"Hat Spaß gemacht." sagte sie fröhlich. "Das wird bestimmt lustig am Montag.""Ja, bestimmt." gab ich lächelnd zurück.
Ihre gute Laune war ansteckend.
Die meiste Strecke des Heimweg trabten wir am langen Zügel. Ettie quasselte noch immer und so dann und wann, wenn es nötig war, gaben wir Antworten, aber Etties Monologe benötigten nicht so viele davon. In der Regel sprach sie mit Bärchen - er hieß übrigens Canterville.
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Primo Victoria - Von Hengsten und Mädchen
Teen FictionEs war alles perfekt! Camilla hatte sich mit ihrer Reitbeteiligung, der wunderbaren Stute Esperanza, für den Jugend-Fördercup qualifiziert. Doch erstens kam es immer anders und zweitens als man dachte. Die Tochter der Besitzer hatte sich ebenfalls...