Das Kapitel über den Prüfungstag

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Das ganze Getummel auf dem Reitertag, die kleinen Stände mit heißen Waffeln, Pizza, überbackenen Nudeln und der Bierwagen - das alles war so vertraut. Irgendwie hatte ich es vielleicht doch ein bisschen vermisst.
Ich schlenderte zusammen mit meinem Bruder und einer frischen Limo zu den Zuschauerbänken. Über meine weiße Reithose trug ich eine schwarze Jogginghose - das übliche Bild auf Turnier.
Als wir saßen wurde sogar schon Henning aufgerufen.
"Guck mal, da ist Henna!" sagte ich zu Pascal.

Henna saß auf dem braunen Wallach, den er damals auch zum Springtraining bei hatte. Nettes Pferd, eigentlich, dachte ich.
Auf dem LKW standen neben Primo noch der Junghengst Cashmaker und ein anderer Wallach. So war Primo zumindest nicht alleine.
Nachdem Henna gegrüßt hatte und das Glöckchen geläutet wurde begann er den Parcour.
Ich entdeckte Mr. Chapman auf der anderen Seite des Platzes der sich auf seinen Gehstock gestützt mit jemanden unterhielt. Sah aus als würden sie sich kennen.
Dann verfolgte ich wie Henning den ersten Sprung anritt. Es sah bei ihm so einfach aus. Musste es wahrscheinlich auch, immerhin war Henna ein gestandener Reiter - ein Voll-Profi quasi.

Als Henning den Parcour fehlerfrei beendete folgte ich ihm zum Hängerplatz.
"Du tust gut daran, Primo abzuladen und schon mal zu Longieren. Dann ist es nachher leichter." gab Henna zu bedenken.

Kurze Zeit später stand ich deshalb mit dem Hengst auf dem Abreiteplatz und zog den Sattelgurt nochmal etwas fester. Ich hatte Glück, die Springprüfung war vor der Dressur, dann war er wenigstens schön locker. Eine E-Dressur war zwar nicht sonderlich anspruchvoll und ich hatte auch ein etwas schlechtes Gewissen gegen die deutlich jüngere Konkurrenz zu reiten, aber Primo hatte noch nie ein Dressurviereck auf einem Turnier gesehen und für eine A-Dressur saßen die Wechsel einfach noch nicht sicher genug. Naja, Glück auf.

Das Ablongieren war etwas chaotisch. Der Hengst war aufgeregt, ich war aufgeregt, wahrscheinlich, weil er aufgeregt war. Aber wenigstens zog er mir die Longe nicht durch die Hand. Stattdessen lief er wie von der Tarantel gestochen im Kreis... Mit der Eleganz eines hochtragenden Elefanten.
Als die Prüfung vor meiner fertig war kamen Henna und Pascal zu mir.

"Du bist vierter Starter," erklärte Henning und nahm mir den Hengst ab, "geh dich mal umziehen, dann gehst du in Ruhe den Parcours ab und daaaaaann machst du ein paar Sprünge."

Ich war wirklich dankbar, dass die beiden bei mir waren. Unruhe und Hektik konnte ich jetzt nicht gebrauchen. Henning war so abgeklärt und besonnen und mein Bruder, naja, der kannte Nervosität nur vom Hören-Sagen.
Nachdem ich mich also umgezogen und meine Kappe aufgesetzt hatte lief ich wieder zurück zum Platz, Pascal immer im Schlepptau. Er trug seine Kameratasche und meine Springgerte - Turniermaskottchen, wie er es versprochen hatte.

Auch Mr. Chapman stand am Rand des Abreiteplatzes, während Henna mir auf mein Pferd half, hatte er alles im Blick und schenkte mir aufmunternde Worte als ich dann an ihm vorbeiritt.

"Ich besorg mal was zum Trinken," meinte Pascal. "Henning, ein Bier? Kurze, auch ein Bier?"

"Wehe!" drohte ich.

"Also zwei Bier." sagte mein Bruder amüsiert.

Als er weg war bemerkte Henning: "Cooler Typ, dein Bruder."

"Manchmal macht er mich wahnsinnig."

"So sind Geschwister. Und nun trab ihn an und dann kommst du gleich mal über das Kreuz."

"Okay, okay."

Ich tat wie mir geheißen. Primo war zwar ein wenig abgelenkt durch die Szenerie, doch an und für sich war er erstaunlich gut zu händeln. Das machte mir doch ein wenig Mut.
Letztendlich war egal wie viel man trainierte, am Ende konnte man die Pferde auf die Turnieratmosphäre so oder so nicht wirklich vorbereiten. Da half nur Vertrauen... Und Kreuz und Schenkel.

Primo Victoria - Von Hengsten und MädchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt