Die Ohren vor mir waren wieder leicht in die Waagerechte gegangen, es war unschwer zu erkennen dass Primo konzentriert war. Doch etwas war heute ganz anders! Wir wurden von Jörg trainiert und es war ganz anders als jedes Training vorher. Wirklich jedes!
"Es fühlt sich komisch an!" rief ich, gefühlt saß ich viel, viel, viel zu weit über meinem Pferd.
"Das ist beim ersten Mal immer so." entgegnete er nur mit einem Schulterzucken.
Jörg hatte mich ohne jegliche Vorwarnung auf Franklin Bälle gesetzt. Eine Rolle klemmte unter meinem Gesäß und eine unter jedem Arm.
Ich saß also nicht nur über meinem Pferd, was für sich genommen schon ein komisches Gefühl war, sondern ich fühlte mich auch noch als hätte ich die Schulterpartie eines Türstehers.
Dafür versuchte er gar nicht an unserer Traversale weiterzuüben, sondern an geschmeidigen Übergängen - Tempo- und Gangartwechsel - und ich konnte bisher nicht behaupten, dass ich mich auf einen Ball sitzend im starken Trab besonders sicher fühlte. Primo hingegen war wie immer, großartig ebend wie er war."Ich frag ihn nicht nochmal nach Training." murmelte ich meinem Hengst zu.
"Ich kann dich jammern hören!" rief er, obwohl ich gerade durch X ritt, weit genug weg sollte man meinen.
"Guhuuuut!" entgegnete ich.
"Reite einen Zirkel! Wenn du an die offene Seite kommst, reitest du eine Volte nach außen und galoppierst dann an." forderte er mich auf.
"Die Seite sind hier alle offen!"
"Verarsch mich nicht, Camilla." kam zurück und ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. "Du wolltest Training."
"Stimmt schon..." Punkt für ihn.
Das Training war schon gut mit ihm, er forderte viele Figuren und noch mehr Kombinationen, wo viele Reiter niemals drüber nachdenken würden. Das alles wiederum half der Durchlässigkeit des Pferdes und war gut für die Konzentration.
Nach dem Zirkel links herum und der Volte rechts herum galoppierte ich Primo auf der linken Hand an."Wir müssen dich so weit kriegen, dass du merkst, wann der richtige Fuß am Boden ist und du einen Impuls geben kannst. Gerade regelt er das für dich." meinte Jörg.
Als ob er selbst das immer spürte, dachte ich säuerlich. Wobei Jörg ein wirklich guter Reiter war, von ihm konnte man viel lernen. Aber eigentlich wollte man doch auch ein bisschen Selbständigkeit im Pferd. Oder lag ich da falsch? Vielleicht. Jedoch fühlte galoppieren sich auch ein bisschen komisch an mit den Dingern... Aber nicht so komisch wie starker Trab!
Wir mussten drei Runden galoppieren, weil Primo dazu neigte nach zweieinhalb Runden aufzuhören, dann endlich durften wir Schritt reiten. Erleichtert atmete ich aus, bemühte mich im nächsten Moment allerdings wieder vorwärts zu reiten. Nur nicht zu sehr ausruhen...
Dabei war heute so ein schöner Tag; die Sonne schien, es ging ein leichter Wind, der die kleinen Schäfchen-Wolken behutsam vor sich her trieb. Eigentlich der richtige Tag um im Wald bei einem Ausritt Spaß zu haben. Aber nein, ich hatte ja diese brilliante Idee gehabt Jörg nach Training zu fragen. War es falsch gewesen? Nein. Bereute ich es trotzdem? Ja, auf jeden Fall."Kannst die Bälle wegschmeißen." erlöste er mich endlich.
Beinahe hätte ich erleichtert 'Gott sei Dank!' gesagt, verkniff es mir allerdings und gab ihm stattdessen wortlos die Bälle.
Jedoch halfen die Bälle gewaltig. Plötzlich fühlte ich mich viel enger mit dem Sattel und Primo verbunden, so als würde ich viel tiefer drin sitzen. Damit hatte ich definitiv nicht gerechnet."So," sagte Jörg wohlwollend, "und nun auf, auf! Wieder angaloppieren!"
Also wieder von vorn... Geschmeidig sprang Primo Victoria in den Galopp, ich hatte absolut nichts an Gewicht in der Hand.
Jörg ermutigte mich dazu um die Sprünge zu galoppieren und wenn ich die Volte verließ an Tempo zuzulegen.
Gute zehn Minuten ging unsere Galopparbeit, was kein Problem wäre, wenn da nicht all die Zeit zuvor schon gewesen wäre, in der wir trainiert hatten. Primo wurde bereits müde und zeigte das auch indem er ungehalten am Zügel zog.
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Primo Victoria - Von Hengsten und Mädchen
Teen FictionEs war alles perfekt! Camilla hatte sich mit ihrer Reitbeteiligung, der wunderbaren Stute Esperanza, für den Jugend-Fördercup qualifiziert. Doch erstens kam es immer anders und zweitens als man dachte. Die Tochter der Besitzer hatte sich ebenfalls...