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Fallons P.o.V.

Ich sah auf die Uhr und trommelte mit meinen Fingern ungeduldig gegen meine Bettkante. 23.50 Uhr.
Mein Kopf wandte sich zu meiner Sporttasche, die ich neben meiner Balkontür hatte stehen lassen. Ich stand auf und band mir einen hohen Zopf. Keineswegs sollte mein Plan an meinen Haaren scheitern.
Ich sah erneut auf die Uhr. 23.54 Uhr. Ich nickte und lief entschlossen zu meiner Balkontür. Meine Tasche schwang ich um meine Schultern, lief raus auf meinen Anbau und sah mich um. Keine Menschenseele befand sich um diese Uhrzeit noch draußen, außer die Wachen.
Ich stieg auf das Geländer und trat auf die tiefgelegne Regenrinne. Diese lief ich entlang bis ich zu einer Feuertreppe gelangte und stieg sie hinab. Als meine Füße den Boden berührten, sah ich mich um.
Keine einzige Wache war zu sehen, Alice hatte also Wort gehalten. Ich wollte keine Zeit verlieren und lief entlang der Grenze zwischen unserem Anwesen und dem der DeLaurants. Nach einigen Minuten traf ich auf die Straße. Zwar befanden sich hier noch Kameras, aber ich wusste sie zu umgehen - das war nicht mein erstes mal, dass ich mich von zuhause wegschleichen wollte.
Die kühle Abendluft sorgte für einen klaren Verstand, der mich an meiner Idee zweifeln ließ, aber nichts konnte mich davon abbringen. Der Weg zu meinem Ziel war nicht weit, gerade einmal fünf Minuten brauchte ich, um vor dem Gebäude zu stehen. Die Trainingshalle, die mich schon vor so manchen Aggressionsanfällen bewahren konnte.
Ich entschied mich für den Hintereingang, der so gut wie keine Aufmerksamkeit erregen würde. Ich sperrte die Tür mit meinem eigenen Schlüssel auf und lief durch die Kabinen. Jeder Cunnigham und jeder DeLaurant hatte so einen Schlüssel. Wir alle sollten dasselbe Recht besitzen können, die Trainingshallen nutzen zu dürfen. Meine Tasche sperrte ich in einen Spind ein und lief durch die Eingangtüren. Als ich das brennende Licht sah, runzelte ich die Stirn. Es kam wirklich selten vor, dass jemand das Licht brennen ließ.
Ich sah mich reflexartig um und hob die Augenbraue, als ich Cayden sah. Er betrachtete mich vermutlich genauso irritiert wie ich ihn. Er schien dasselbe Vorhaben wie ich zu haben: Trainieren.
Ein wirklich komischer Zufall, ihn hier zu sehen. Ob er schon öfter hier war?
Ich lief zu einem der Boxsäcke und band mir Bandagen um die Fäuste. Ich war war wütend und musste dringend Aggressionen raus lassen, aber mein Gehirn funktionierte noch gut genug, dass ich mich nicht selber verletzten wollte.
Cayden warf mir einen kurzen undurchdringbaren Blick zu, den ich nicht deuten konnte. Ich ließ mich nicht davon beirren und fokusierte mich auf den Boxsack vor mir. Ich sammelte all meine Kräfte und bündelte sie in meinen Händen. Ich schlug so hart, dass die Ketten quietschten. Ich räusperte mich leise. Dass ich hier mit Cayden DeLaurant alleine war, verunsicherte mich. Nicht, weil ich Angst vor ihm hatte, sondern eher weil er unberechenbar sein konnte. Möglich, dass er das geplant hatte, mich hier alleine fertig zu machen, aber das war so absurd, dass ich den Gedanken schnell wieder fallen ließ.
Stattdessen konzentrierte ich mich wieder auf den Sandsack und schlug abermals zu, zuerst mit rechts, dann links. Ich drehte mich um meine eigene Achse und schlug den Sack mit meinem Fuß. Ein paar Meter weiter schlug Cayden heftig gegen die Trainingspuppe ein. Er ließ den Holzstab zwischen seine Hände gleiten, was mich leicht beeindruckte. Ich konnte Cayden nicht einschätzen. Oberflächlich wirkte er zumindest wie ein Arsch, aber etwas in mir glaubte, dass noch mehr hinter seiner Fassade steckte. Oder er war einfach nur ein Arsch.
Ich schlug erneut zu, dieses mal härer und noch fokusierter. Zuerst rechts, dann links, dann wieder rechts. Es war keine Reihenfolge, die ich verflogte, ich ließ eher meine Gedanken sprechen. Es war irgendwie alles, was mich im Moment belastete. Mein Vater, die Niederlage gegen Harvey, mein Leben als Cunningham.
In meinem Inneren verspürte ich eine Wut, die ich nicht einfach zur Seite schieben konnte. Ich ließ alles an dem Boxsack aus, doch ich überschätzte mich und riss meinen Oberkörper zu schnell nach links. Die Wunde ziepte und ich fiel vor Schmerz auf den Boden. Ich sog die Luft ein und hielt mir schützend meine Rippen. Cayden hielt inne und sah zu mir rüber. Ich holte meine Flasche vom Mattenrand und schluckte mit dem Wasser eine der Schmerztabletten, die ich dabei hatte.
"Ist alles in Ordnung bei dir?", fragte mich Cayden von der anderen Seite und ich stand wieder auf. Ich warf ihm kurz einen Blick zu und nickte ihm zu. "Ja." Wenn ich nicht voller Schmerzmittel wäre, würde ich denken, dass sich Cayden DeLaurant für einen kurzen Augenblick um mich sorgte.
Ich ließ den Boxsack ruhen und griff ebenfalls nach einem der Holzstäbe. Er fühlte sich leicht und gleichzeitig schwer in meinen Händen an. Ich sah über meine Schulter und betrachtete Cayden für einen Moment. Ich sah ihn nicht oft trainieren, doch er konnte sich wirklich gut bewegen. Seine Ausführung war präzise und konstant. Etwas, was nur einige wenige DeLaurants beherrschten. Ich richtete meine Aufmerksamkeit auf die Trainingspuppe vor mir und stellte mir Harveys hämmisches Gesicht vor. Und sofort wurden meine Hände und der Stab eins. Ich schlug die Puppe von der Seite, drehte mich um die eigene Achse und schlug der Puppe ins Gesicht, so wie ich es auch bei Harvey tat. Ich versuchte so gut wie möglich den Stab nicht zu oft fallen zu lassen, doch es gelang mir nur semigut. Vielleicht war es Cayden, der mich verunsicherte, vielleicht war es auch einfach ich selber. Ich konnte meine Ausführung nicht so gut kontrollieren, wie ich gerne würde. Und das machte mich rasend.
"Kann ich dir einen Tipp geben?", fragte Cayden und ich drehte mich zu ihm um. Er schwang den Stab in seiner Hand um die eigene Achse und ich tat es ihm gleich.
"Ich passe", murmelte ich und schaute zur Puppe. Ich hob den Stab, doch Cayden kam mir zuvor. "Du musst ihn anders halten."
Ich senkte meine Arme und warf einen Blick über meine Schultern. "So", erklärte er und hielt ihn in der Mitte. "Ich halte ihn dort", warf ich ein, doch er schüttelte den Kopf. Genervt sah ich ihn an. Ich wusste, was ich tat.
"Greif' mich an", befahl er mir und ich hob meine Augenbraue.
"Ich werde keinem erzählen, dass du verloren hast", grinste er zynisch. Entweder er wusste, wie man mich umstimmen konnte, oder er war ein arrogantes Arschloch. Letzteres bevorzugte ich.
Ich lief auf ihn mit dem Stab in den Händen zu und griff ihn an, indem ich den Stab über meinem Kopf schwang und ihn gegen Caydens Rippen schlagen wollte. Er kam mir zuvor und wehrte den Schlag ab. Ich holte erneut aus und schlug ihm gegen das Schienbein. Er zeigte keinerlei Reaktionen und traf mich an meiner Schulter. Ich drehte mich und schlug gegen sein Oberarm, doch er nutzte den Moment und schlug mir den Stab aus den Händen. Er fiel mit einem dumpfen Geräusch auf den Boden. Ich atmete tief aus. Cayden hob den Stab auf und übergab ihn mir.
"Halte ihn in der Mitte", entgegnete er fordernd und ich nickte. Er griff mich an, indem er auf meine Beine zielte. Ich wich ihm aus und schlug den Stab gegen seinen Rücken. Cayden drehte sich zu mir um und schleuderte den Stab gegen meinen Oberkörper. Ich wehrte ihn ab, drehte mich um die eigene Achse und traf ihn an den Rippen. Er stieß einen unterdrückten Laut aus. Er hob den Stab und bewegte sich so schnell, dass ich nicht mitkam. Jetzt schlug er mir den Holzstab erneut aus den Händen und traf mich an de Kniekehlen, sodass ich einknickte und auf dem Boden landete.
"Besser, aber das erfordert Übung", kommentierte er und hielt mir die Hand zum Aufstehen hin. Ich drückte mich vom Boden ab und stand selber auf.
"Ein Kompliment von Cayden DeLaurant, heute scheint mein Glückstag zu sein", meinte ich und Cayden schnaubte. Vielleicht war es aber auch ein Schmunzeln, was ich eher bezweifelte.
Ich sah auf die Uhr und erschrack, als ich die Zeit sah. Bereits drei Uhr. Ich legte den Stab zurück in den Geräteständer und nahm meine Flasche.
"Wir sehen uns", verabschiedete ich mich von Cayden, was ich sonst nie machen würde, aber er war auf irgendeine Weise nett zu mir, und diese Freundlichkeit wollte ich ihm entgegen bringen - nur dieses eine mal.
Cayden nickte und drehte sich zu Puppe um. So wie ich ihn vorfand, ließ ich ihn auch zurück.

Forbidden loveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt