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Caydens P.o.V.

Ich stoplerte etwas nach hinten, als mich der Schlagstock überraschenderweise an den Beinen traf. Normalerweise konnte ich durch das Training meinen angestauten Gedanken den Rücken kehren, um mich vollkommen auf die Übungen zu konzentrieren, doch heute war ich mit dem Kopf irgendwie ganz wo anders. Nicht irgendwo, sondern bei Fallon, bei Lexi, bei Harvey, bei meinem Dad, bei den Morden, bei allem, dass rein gar nichts mit dem Training zu tun hatte. Vermutlich wäre es komisch, wenn ich kaum ein Gedanken an die aktuelle Lage verschwenden würde, allerdings schien es so, als sei ich nur noch mit dem Kopf dort. Es drehte sich alles um die Katastrophe, die ich ausgerichtet hatte. Angefangen bei meinen engsten Freunden bis hin zu Fallon, der ich mit meinen Entscheidungen am meisten weh getan hatte. Ich hatte keinerlei Ahnung, was zwischen ihrem Dad und ihr nach dem Abendessen vorgefallen war, ich traute mich auch nicht zu fragen. Es war nicht geplant, sie am Abend zu küssen, es war auch nicht geplant, das vor ihrem Vater zu tun, um sie noch tiefer zu verletzten. Ich wusste immer um die Gefahr, dass das, was wir hatten, irgendwann an's Licht kommen könnte, deshalb handelte ich auch meistens bedacht. Doch nicht an diesem Abend. Mein Vater hatte mir eigentlich ausdrücklich davon abgeraten an diesem Essen teilzunehmen, denn er wollte weitere Fehltritte so gut wie möglich umgehen, aber ich konnte doch nicht einfach in meinem Zimmer eingesperrt darauf warten, dass sich alles wieder in Ordnung renken würde. Als ich Fallen dann am Esstisch sah, so aufgelöst, so durch den Wind, an ihren mentalen Grenzen, fühlte ich im Inneren wie etwas in mir zu Bruch ging. Es war nie meine Intention, sie so sehr zu verletzten, doch ich musste meinem Vater zeigen, dass ich seine Drohung ernst nehmen würde, damit ich sie schützen konnte. Niemals hätte ich es für möglich gehalten, dass sich alles so drehen und wenden würde, dass am Ende ich derjenige war, der mit einem einzigen Kuss alles verlieren würde. Vielleicht hatte ich es aber auch verdient. Ja, vielleicht war das meine gerechte Strafe für all das, was ich im Leben falsch gemacht hatte, weil ich ein verdammter Egoist bin. Ich wünschte nur, dass ich nicht so viele mit ins Verderben reißen würde, wie mir lieb war. Ich würde alles dafür geben, dass ich es rückgängig machen könnte, dass ich mich von Anfang an richtig verhalten hätte, um so niemandem zu schaden, aber das war nun einmal unmöglich.
Ich hörte, wie die Türen aufgingen und ein blonder Haarschopf sich in meine Richtung bewegte. Lexis Augen waren stur nach vorne gerichtet, sie erwiderte keinen meiner Blicke. Das tat sie schon seit einigen Wochen nicht, genauer gesagt, seit sie auf schmerzvolle Weise mitbekommen musste, dass ich ihre Gefühle nicht erwiderte. Sie hatte mir genau gesagt, dass sie Zeit brauchte. Zeit, um alles zu verarbeiten, was sie mitansehen musste. Ich hatte mir fest vorgenommen, mit ihr über die ganze Sache zu reden, allerdings hatte ich auch noch so viel Anstand, ihren Wunsch zu respektieren und mich vorerst von ihr fernzuhalten - so schwer es mir auch fiel. Es war auch hier nicht meine Intention, sie so sehr damit zu verletzten, denn Lexi war meine beste Freundin seit der Jugend. Ich erlebte mit ihr so vieles, dass sie bereits Teil meiner Familie wurde. Sie war wie meine kleine Schwester, deshalb war es für mich unmöglich auch nur daran zu denken, etwas intimeres zu haben, als Freundschaft. Ja, vielleicht hätte ich es bemerken müssen, vielleicht hätte ich sie so schützen können. Natürlich wäre auch das nicht wirklich angenehm geworden, denn ich hätte sie so oder so abweisen müssen, einfach weil ich sie nicht verdient hatte. Hätte ich nie. Ich war kein besonders guter Mensch, ich traf die falschen Entscheidungen, ich handelte falsch. Ich könnte ihr niemals das geben, was ihr zu stand. Ihr das Herz zu brechen war genau das, was ich am wenigsten tun wollte, denn ich wusste nicht, ob ich sie damit vielleicht verloren hatte.
Ich wandte den Blick von ihr ab und widmete mich wieder meinem Gegner, der nur so darauf wartete, dass ich ihn angriff, doch ich war nicht in der Stimmung einen wirklichen Kampf zu führen. Das einzige, was ich wollte, konnte mir weder das Training noch irgendjemand von meiner Familie geben. Ich senkten den Schlagstab und sah auf.
"Tut mir leid", murmelte ich gedankenverloren und machte einen Schritt zurück, um mich von dem Kampf zu entziehen, dabei stolperte ich in einen muskulösen Rücken. Harvey drehte den Kopf zu mir und musterte mich still.
Es war auch eine gefühlte Ewigkeit her, dass ich richtig mit meinem Cousin gesprochen hatte. Fallon hatte mir vor unserem schwierigen Verhältnis erzählt, dass Harvey sie in meinem Zimmer gesehen hatte. Wir hatten uns seit diesem Vorfall nicht wirklich darüber unterhalten, dennoch konnte ich immer wieder seine Blicke auf mir spüren. Ich versuchte sie weitest gehend zu ignorieren, denn ich wollte ihn aufkeinenfall provozieren. Zwar hatte auch ich gegen ihn etwas in der Hand, doch darauf würde ich nicht wirklich setzten. Er hätte meinem Vater nur zu gerne etwas unter die Nase gerieben, um mich dran zu kriegen - Familie hin oder her. Ich wollte das Risiko also nicht eingehen, dass er sich bedroht gefühlt hätte, da ich Angst hatte, ihm würde das ein oder ander über Fallon und meinem Verhältnis rausrutschen. Als Harvey schließlich mitbekommen hatte, wie ich mich am Abend der Veranstaltung verhielt, konnte ich ihm ansehen, dass Fallon nur eine meiner flüchtigen Affairen war, weshalb er auch kein erklärendes Gespräch zu mir suchte.
Sein Verhalten war dennoch anders, als zuvor. Ich kannte meinen Cousin schon mein ganzes Leben und noch nie hatte er mich wegen eine meiner Liebschaften verurteilt, allerdings war das mit Fallon ganz anders. Verständlich, denn Fallon zählte zu unserem größten Feind und war damit eigentlich tabu für mich. Doch Harvey konnte nicht wissen, dass Fallon und ich uns mehrmals heimlich getroffen und zusammen unterwegs waren, nur um ihn zu überführen. Dass sich zwischen uns etwas entwickelt würde, damit hätte wohl niemand gerechnet - aber auch das konnte Harvey nicht wissen. Fallon als eine meiner Affairen zu betiteln, war also genau das, was nötig war, um keine weitere Aufmerksamkeit zu erregen.
"Tur mir leid", brummte ich etwas unverständlich und wandte mich bereits zum gehen, als Harvey mich an der Schulter festhielt. Automatisch drehte ich mich wieder zu ihm um.
"Du läufst vor einem Kampf weg?", fragte er mit verschärftem Blick, doch das ließ mich vollkommen kalt. Ich schob stattdessen seine Hand von meiner Schulter.
"Cayden DeLaurant lässt sich keinen Kampf entgehen", fügte er hinzu, als er meinen gedankenverlorenen Blick sah.
"Ich bin nicht in der Stimmung", erklärte ich neutral und lief bereits einen Schritt von ihm weg, als er mich erneut packte, diesesmal jedoch am Arm. Ich sah zu ihm auf.
"Auch wenn der Gegner Fallon Cunnigham heißt?"
Er hob eine seiner Augenbrauen.
Ich wusste sofort, dass das ein Test war, den ich entweder bestehen oder verlieren würde. Harvey war keinesfalls dumm, er wusste genau, wie er sich zu verhalten hatte, um das zu bekommen, was er wissen wollte. In diesem Fall, ob Fallon mir mehr bedeutete als es den Anschein hatte.
Ich schluckte und drehte mich zu der Wand, an der alle Kämpfe dokumentiert wurden. Sofort fand ich Fallon, die in diesem Augenblick den Kopf in den Nacken legte, um über die Tafel zu sehen. Ich konnte genau beobachten, wie ihr die Farbe aus dem Gesicht wich, als sie in einer der Zeilen ihren und meinem Namen lesen konnte. Ihr Blick wanderte zu mir und seit langem sah sie mir direkt in die Augen. Ich konnte kaum beschreiben, was ich zu fühlen vermochte. Schon immer hatte mich ihr Blick fasziniert, doch diesesmal erfüllte er mich mit Energie, die mir seit Tagen fehlte. Fallon senkte den Kopf, sodass unsere Verbindung brach. Sofort drehte ich mich zu meinem Cousin um.
"Ich habe mich für keinen der Kämpfe eingetragen." Meine Stimme klang etwas wütend, was Harvey zum nachdenken trieb. "Ich werde keinesfalls kämpfen", fügte ich knurrend hinzu, als Harvey mich noch immer nicht losließ.
"Du willst nicht?", wiederholte er als Frage, doch es klang eher wie eine Feststellung.
"Du hast mich eingetragen, stimmt's?", fuhr ich ihn an, dabei achtete ich darauf, nicht meine Stimme gegen ihn zu erheben.
"Nein." Die weibliche Stimme kam von rechts und riss mich aus meiner Starre. "Ich war das", meinte Lexi und verschränkte die Arme vor ihrer Brust. Ihre Augen erwiderten meinen Blick mit so einer Härte, dass ich nicht anders konnte, als einen Schritt nach hinten zu weichen.
"Wieso zum Teufel -", begann ich, doch sie unterbrach mich gleich, indem sie die Hand hob.
"Das hatte ich bereits vor einigen Wochen getan", erklärte sie ruhig. "Du hast dich geweigert gegen auch nur irgendeinen Gegener auf der Plattform zu kämpfen. Ich dachte, zu einem Kampf gegen eine Cunnigham könntest du nicht Nein sagen."
Ich entließ angespannt die Luft aus meinen Lungenflügeln. Mir war klar, dass Lexi das nur getan hatte, um mich zu ärgern, allerdings war das das Unpassendste, das kommen konnte.
"Du kämpst also nicht?", wiederholte Harvey abermals, doch ich blendete ihn aus, genauso wie Lexi oder irgendjemand anderes bis auf Fallon. Sie lief erhobenen Hauptes zu der Plattform, wo sie sich einen der Schlagstäbe nahm und diesem in ihrer Hand rotieren ließ. In ihrem Blick erkannte ich eine Distanz, die mich traf. Aber was hätte ich auch ander erwarten können? Ich hatte sie verletzt, mehr als irgendjemand sonst, deshalb war ihre Wut auf mich nur verständlich. Ihre Augen symbolisierten, dass sie diesem Kampf wollte, dass sie ihn brauchte. Vielleicht um mir zu schaden, vielleicht aber auch um mir zu zeigen, dass sie mich nicht brauchte.
Ich atmete tief aus und nahm Harvey seinen Stab ab. Meine rechte Hand umklammerte das Holz bei jedem Schritt, den ich auf die Plattform zu machte, fester und fester, bis sie irgendwann zu schmerzen begann.
Fallon ließ mich die ganze Zeit nicht aus den Augen, so als würde sie mein Verhalten komplett neu einschätzen.
Ich stieg die Plattform hoch und lief auf die andere Seite, um mich ihr gegenüber zus stellen. Mein Herz pochte wie wild gegen meine Brust, denn ich hatte Angst, ihr noch mehr weh zu tun, als ich es schon getan hatte.
Fallons Kiefermuskulatur zuckte leicht, als sie die Zähne fest aufeinander presste. Die Spannung zwischen uns war so geladen, dass ich kleine Stromschläge durch jeden meiner Synapsen fühlen konnte.
Und dann lief sie auf mich zu. Sie hob den Stab und versuchte mich mit aller Kraft zu treffen. Ich wich ihr aus, indem ich mich zur Seite bewegte, dabei achtete ich darauf, sie nicht zu treffen. Es wäre nicht richtig, ihr noch körperlich zu schaden.
Fallon drehte sich zu mir um und schwang den Stab gegen meine Beine, doch ich war schneller und wehrte ihren Schlag ab, indem ich sie etwas zur Seite schubste.
In ihren Augen konnte ich nur noch Wut entdecken, was mich unkonzentriert machte. Sie schwang den Stab erneut und diesesmal traf sie mich an der Brust, weshalb ich einige Schritte nach hinten stolperte.
Den Moment der Schwäche nutzte sie, um einen weiteren Schlag auszuführen, und einen weiteren, und einen weiteren.
Ich versuchte mit aller Kraft, jeden ihrer Angriffe abzuwehren, doch sie trieb mich im wahrsten Sinne des Wortes bis zur Grenze der Plattform. Fallon war geblendet von ihrer Wut und konnte deshalb nicht mehr kontrolliert handeln.
Ich entschied mich dafür, ihr den Stab aus den Händen zu schlagen und sie anschließend durch einen weiteren Hieb gegen die Kniekehlen auf den Boden zu bringen. Fallon blinzelte mich irritiert an, bis sie wieder zu handeln begann und mich ebenfalls zu Boden riss.
Mit einem dumpfen Knall fiel ich mit dem Rücken auf die Matten. Kurzzeitig trieb mir das den Atem aus den Lungen, doch da war Fallon mir bereits einen Schritt voraus. Sie griff sich meinen Stab, kletterte über mich und fixierte mich, indem sie den Stab auf meine Kehle drückte. Sofort schnürte es mir die Luft ab, doch ich bekam immer noch genügend Sauerstoff, um zu reden.
"Es tut mir so leid", krächzte ich und suchte ihren Blick.
Fallon schien das völlig aus dem Konzept zu bringen, denn auf einmal verschwand ihre Wut aus ihren Augen. Da war nur noch ihre verletzte Seite, ich ich zu verantworten hatte.
"Sei still", flüsterte sie atemlos und schloss die Augen, um mich nicht ansehen zu müssen.
In mir zerbrach etwas, dass sich in einem stechenden Schmerz in meiner Brust äußerte.
Ich presste die Lippen aufeinander, um ihre Bitte zu respektieren, auch wenn es mir schwer fiel. Es kostete sie all ihre Kraft, nicht vor allen und ganz besonders mir in Tränen auszubrechen, doch ich konnte ihre feuchten Augen sehen.
"Ich würde alles dafür tun, um das hier rückgängig zu machen", erklärte ich heiser, doch sie blieb stumm, indem sie sich fest auf die Unterlippe biss.
Sie wandte den Blick von mir ab und versuchte mit aller Macht, stark zu bleiben. Ich wollte sie auf keinen Fall zum weinen bringen, nicht schon wieder, doch ich musste ihr einfach so vieles noch erklären.
"Fallon", flüsterte ich eindringlich, dabei war es mir egal, ob wir gerade von allen anderen beobachtet wurden, denn das einzige, was gerade zählte, war, dass ich zu Fallon durchdringen wollte.
"Bitte", fügte ich fast schon flehend hinzu, nur um auch nur irgendeinen letzten Nerv bei ihr zu treffen, der mich nicht verachtete.
Fallon drehte den Kopf in meine Richtung, ihre Augen erwiderten meine. Mich durchfuhr ein Schwall von Wärme, der mich bis in die Fingerspitzen erfüllte. Ihre Mimik war leicht verkrampft, doch sie wollte, dass ich sie so verletzt sah. Sie wollte mir zeigen, dass ich durch diese eine Handlung, diesen einen Kuss, alles zerstört hatte, was wir uns müheseelig aufgebaut hatten. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass auch meine Augenlider sich leicht mit Tränen gefüllt hatten.
Ich konnte noch nicht einmal in Worte fassen, wie sehr mir alles leid tat, was ich ihr angetan hatte, wie sehr ich ihr weh getan hatte. Ich schämte mich so sehr dafür, ich konnte ihren Blick noch nicht einmal auf längere Zeit erwidern. Wie ein Feigling schloss ich die Augen, um ihren leidigen Blick nicht mehr ertragen zu müssen, obwohl ich der Grund dafür war.
Fallon blieb einige Momente auf mir sitzen, ihre Augen fixierten mich. Sie wartete darauf, dass ich noch irgendetwas sagen würde, noch irgendeinen Blick von ihr erwiedern würde, doch ich schaffte es nicht. Ich hatte keine Kraft dazu.
Mit einem Ruck stand sie von mir auf. Ich hörte ihre dumpfen Schritte auf der Matte, ich hörte wie die Türen auf und wieder zu gingen, dann wurde es wieder ruhig. Die Stille war ohrenbetäubend, fast schon lähmend, ich konnte mich kaum bewegen, konnte kaum atmen, weil sich alles in mir so unglaublich leer anfühlte.

Forbidden loveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt